Starnberger See:Robinson Crusoe auf der Roseninsel

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Der Kastellan Alexander Hartl ist der einzige Bewohner der Roseninsel im Starnberger See. Im Sommer hat er allerhand zu tun, im Winter ist es still. Besonders jetzt, ohne seine Hündin.

Von Astrid Becker, Roseninsel

Normalerweise würde er einen mit seiner Hündin Kito erwarten. Zumindest war dies in den vergangenen zwölf Jahren so. Je nachdem, um welche Besucher es sich handelte, wurden sie von Kito freundlich empfangen - oder eben auch bellend und böse knurrend. Denn die Gäste, die Alexander Hartl bisweilen bekommt, sind nicht immer gute Freunde, die auf einen Ratsch oder ein Bier vorbeikommen. Manchmal sind es auch Eindringliche. Menschen, die vergessen, dass der Wohnort Hartls ein Weltkulturerbe ist und Fremden nur zu Besichtigungszwecken in der warmen Jahreszeit offensteht.

Der einzige Bewohner der Roseninsel

Hartl, 48, lebt seit gut zwölf Jahren als einziger Bewohner auf der Roseninsel im Starnberger See; einer Insel, die sich direkt gegenüber des Feldafinger Lenné-Parks befindet. Er lebt nicht nur auf der Insel, sondern er verwaltet sie auch als Kastellan. Hartl organisiert Führungen, kümmert sich ums Handwerkliche und ums Organisatorische, zum Beispiel wenn ein Paar auf der Roseninsel heiraten will. Auch für Vorabrechnungen oder gar Warenbestellungen ist er zuständig. Vor allem im Sommer ist das ein recht anstrengender Job.

Denn im Zeitraum von Mai bis Oktober dürften es mittlerweile etwa 45 000 Menschen sein, die sich mit einer schmucken Fähre zu diesem Kleinod bringen lassen. Und dann sind da ja auch noch diejenigen, die selbst mit dem Boot oder schwimmend vom nahen Festlandufer herüberkommen. Man muss schon einen Blick in die Vergangenheit der Insel werfen, um zu verstehen, warum sich diese Leute eine solche Freiheit herausnehmen.

Für 600 000 Mark kaufte der Freistaat das kleine Paradies

Bereits nach dem Tod König Ludwigs II., der sich hier auch mit Kaiserin Sisi oder Richard Wagner traf, waren die Insel, ihre Bauten und ihr Rosengarten zunehmend verfallen. Nach dem Ende der Monarchie landete das Eiland schließlich 1924 im Wittelsbacher Ausgleichsfonds. 1970 kaufte es der Freistaat für 600 000 Mark, erst von 1997 an wurde es langsam wieder hergestellt. In all den vielen Jahren zuvor diente dieses kleine Paradies den Einheimischen als Erholungs- und Freizeitoase.

Wilde Feste müssen dort gefeiert worden sein - zumindest dann, wenn es der "Insel-Willi" zuließ. Denn jeden, so erzählt es heute auch Alexander Hartl, soll sein Vorgänger nicht auf das einst königliche Refugium gelassen haben. "Manchmal soll der Insel-Willi, der mit bürgerlichem Namen Willi Friebe hieß und die Insel seit 1967 verwaltete, sogar zum Gewehr gegriffen haben, um Fremde zu vertreiben", sagt Hartl.

Im Winter allerdings ist es auf der Insel ganz ruhig - so ruhig sogar, dass sich ein Nicht-Insulaner fragen muss, wie der Kastellan die Einsamkeit erträgt, vor allem jetzt, wo ihm seine Hündin keine Gesellschaft mehr leistet - Kito ist seit dem 24. September spurlos verschwunden. "Ich habe ja noch zwei Katzen", sagt er dazu und lächelt. Traurig wirkt das. Doch eines merkt man dem lässig und jugendlich wirkenden Mann mit den braunen, leicht verstrubbelten Haaren auch an: Er ist einer, der an sich recht gut mit sich selbst zurecht kommt, aber auch jemand, der viele gute Freunde in der Umgebung gefunden hat.

Die Feldafinger Feuerwehr rückte mehrmals aus, um Kito zu finden

Bei der Feldafinger Feuerwehr etwa, die gleich mehrmals ausrückte, um Kito zu finden. Auch mit dem Bürgermeister Feldafings, Bernhard Sontheim, ist er bestens bekannt. "Der Insel-Alex ist einfach ein feiner Kerl", sagt der über den Kastellan. Einer, der immer freundlich und hilfsbereit sei, einer, auf den man sich verlassen könne. Daher haben die beiden Männer seit Jahren ein amüsantes Spielchen ausgekartelt, weil die etwa 2,5 Hektar große Roseninsel, die eigentlich "Wörth" heißt, ein eigener Ortsteil Feldafings ist. Wenn ihm also der Sinn danach steht, greift Hartl zum Telefon, ruft offiziell im Rathaus an, lässt sich mit dem Bürgermeister verbinden und sagt: "Herr Sontheim, ich fühle mich schlecht informiert." Dann trifft man sich auf der Insel zur Ortsteilversammlung. "Das ist dann eigentlich immer so: Ich eröffne die Versammlung, fordere den Bürger auf, Fragen zu stellen, da kommt naturgemäß dann meist nichts, dann schließ' ich die Versammlung und wir gehen zum gemütlichen Teil des Abends über", erzählt Sontheim.

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Am 24. September hätte so eine "Ortsteilversammlung" stattfinden sollen, doch dann verschwindet Kito. Tragisch sei das, sagt der Bürgermeister. Sehr gern spricht auch Hartl nicht darüber. Lieber ist es ihm, vom Starnberger See zu schwärmen. Er ist einer, der ihn von Herzen liebt. Hartl nennt die Verbundenheit zu diesem Gewässer eine Grundvoraussetzung, um es auf der Roseninsel auszuhalten. Schon als Kind sei dieser See "einfach alles" für ihn gewesen.

Alexander Hartl ist in Seeshaupt aufgewachsen. Häufig besuchte er damals seine Großmutter, die im Teehaus einen Ort weiter, in Bernried, als Haushälterin arbeitete. Der See, so sagt er heute, lässt Kindheitserinnerungen in ihm wach werden. Damals sei er gern zum Bäcker gelaufen, habe auf dem Steg eine Decke ausgebreitet und dann dort gefrühstückt.

Etwas, was für ihn Luxus bedeutet - noch heute. Denn Reichtum hat für ihn nichts mit materiellen Besitztümern zu tun. Reichtum, das ist eher so etwas wie die Freiheit der Seele. Oder die Entscheidung, auch im Winter, wenn er endlich mal ausschlafen könnte, trotzdem früh aufzustehen, "weil der Tag um diese Zeit noch frisch und unverbraucht ist".

Früher war das ganz anders. Ein Langschläfer sei er gewesen, bekennt er, einer, der am liebsten erst mittags aus den Federn gekrochen sei. Auch mit Schule oder gar einem Studium hatte er nicht so viel im Sinn - anders als seine um vier Jahre ältere Schwester, die Bayerische Geschichte studierte, oder sein zwei Jahre älterer Bruder, der Priester geworden ist. Hartl absolviert die Mittlere Reife und dann zwei Ausbildungen, einmal zum Bürogehilfen, dann zum Schreiner. Mit einem Freund, der sich auf Heizung und Sanitär spezialisiert hat, gründet er eine Firma. Als die Auftragslage eines Winters nicht ganz so üppig ist, heuert er als Gartenarbeiter bei der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung an - nur für eine Saison, denkt er. Eine Entscheidung, die sein Leben ändern sollte.

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Denn sein Einsatzort ist schon damals die Roseninsel. Er ist dabei, als der Rosengarten, der der Insel seinen Namen gibt, in den Jahren 2000 bis 2003 wieder neu angelegt wird. Die Arbeit und dieser besondere Flecken mitten im See bereiten ihm viel Freude, und so kann er schließlich nicht mehr widerstehen, das Angebot anzunehmen, das ihm 2002 unterbreitet wird: als Kastellan auf die Insel zu ziehen, die dann 2003 wieder fürs Publikum geöffnet wird.

Der Kastellan lebt in der ersten Etage des Gärtnerhauses

Er lebt nun im sanierten Gärtnerhaus direkt neben der Villa "Casino", die sich einst, von 1851 bis 1853, König Maximilian II. von Bayern zur privaten Erholung der königlichen Familie erbauen ließ. Hartl bewohnt die erste Etage des Hauses, im Erdgeschoss können Besucher Eintritt bezahlen, Lektüre und Souvenirs der Insel erwerben oder sich im kleinen Museum über die Geschichte des Eilands informieren.

Eine ganz eigene Taktik hat sich Hartl übrigens zurechtgelegt, wenn er wieder mal im Sommer auf feiernde Jugendliche trifft. Dann schleicht er sich an, setzt sich einfach dazu und spricht kein Wort, bis man auf ihn aufmerksam wird. Diese Methode sei wirkungsvoller, als barsch und laut aufzutreten, sagt er. Es geht bei dieser Aufgabe aber nicht allein darum, das Hausrecht des Freistaats zu verteidigen. Es geht um den Schutz eines Weltkulturerbes, das im Flachwasserbereich am Inselufer entdeckt worden ist: prähistorische Pfahlbauten. Ein wertvoller, aber fragiler Fund, der ohnehin durch die stete Erosion, aber auch durch Bootsfahrer und Schwimmer permanent bedroht ist.

Im Winter wird er Kito weiter suchen

Deshalb passt der Kastellan so besonders gut darauf auf. Aber auch, weil ihn dieser Fund persönlich sehr fasziniert. Alles hat er sich über die Bauten und deren Bedeutung angeeignet. In einem der Winter, in der Zeit, in der er für derlei Dinge Muße findet: "Ich nehme mir immer am Ende der Saison ein Thema vor, das ich in den kalten Monaten beackere." Diesmal wollte er sich eigentlich noch einmal intensiv mit Rosen beschäftigten. Doch nun ist Kito weg, und er wird sie weiter suchen: "Dieser Winter ist für mich einfach kein normaler Winter."

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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