Sieger bei den Special Olympics:Der besondere Goldjunge

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Hockeyspieler Yannick Stojanovic jubelt nach einem Tor im Halbfinale gegen Slowenien bei den Special Olympics World Games 2023. (Foto: Stefan Holtzem/Special Olympics Deutschland)

Wegen eines kognitiven Handicaps schien es für Yannick Stojanovic im Hockeysport lange keinen richtigen Platz zu geben. Jetzt darf er sich seit Kurzem sogar Olympiasieger nennen.

Von Ella Adam, Starnberg/Neuried

Berlin, letztes Gruppenspiel der Special Olympics im Hockey, Deutschland gegen Frankreich. Es läuft nicht gut. Fehlpässe, verpasste Torchancen. Auch die Tribünen sind fast leer. Außer einer Gruppe von Cheerleadern sitzen dort nur vereinzelt ein paar Zuschauer. Die Franzosen sind schneller, dominieren. Yannick Stojanovic stampft mit dem Fuß auf, wirkt frustriert und entkräftet.

Ende Juli sitzt der 16-Jährige mit seinen Eltern Timea und Alexander Stojanovic am Esstisch in Neuried. Eher schmal, dunkelblonde Haare, stille Gesten. Er trägt ein rotes Shirt, auf dem in weiß "Germany" steht - das Hemd seiner Delegation. Während seine Eltern erzählen, wie ihr zweitältester Sohn Olympisches Gold gewann, sitzt Yannick leise lächelnd dabei. Fragen beantwortet er spärlich. Was er mag am Hockey? Alles! Damit ist für ihn alles gesagt. So flink, wie er über das Hockeyfeld sprintet, so verhalten antwortet er.

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Seine Geschichte erzählt von der integrativen Kraft des Sports. Denn Yannick Stojanovic ist einer, der eben hier auf dem Hockeyfeld ein Stück Normalität und Zugehörigkeit fand. Als er klein war, erzählt seine Mutter, habe ihr Sohn sich genau so entwickelt wie seine Freunde. Auch beim Hockey: Als Stojanovic mit sieben Jahren beim HC Wacker anfängt, läuft das Training gut. Er übt Koordination, Schnelligkeit und Kraft. Erst als es darum geht, Spielverläufe und Taktik zu verstehen, fallen Schwierigkeiten auf.

Kaum zu glauben, wenn man die Videos von den Special Olympics aus diesem Sommer sieht. Beim Gruppenspiel gegen Chile trabt er über das Feld, stürmt vor in die gegnerische Hälfte und verwandelt einen Pass zum 1:0. Er klatscht sich mit seinen Kameraden ab, hebt die Arme, legt den Kopf in den Nacken: ein Überflieger bereit zum Abflug. Bei den Special Olympics geht es um mehr als nur ums Gewinnen. Sie sind die Olympischen Spiele für Menschen mit geistigen Behinderungen. Es geht um Teilhabe. Denn es gab Epochen, da wurden Menschen wie Stojanovic versteckt und ausgegrenzt.

Normalerweise spielt er auf einem Hockeyfeld und nicht im Garten seiner Eltern: Im Juni gewinnt Yannick Stojanovic (16) bei den Special Olympics World Games eine Goldmedaille. (Foto: Florian Peljak)
Der 16-Jährige liebt den Hockey-Sport. Hier kann er zeigen, was er drauf hat. (Foto: Florian Peljak)

Das Leben von Rosemary Kennedy, der Schwester des 1963 ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy, zum Beispiel, fand vor allem im Geheimen statt. Ihre Familie wollte Rosemarys geistige Behinderung unbedingt verstecken. Inspiriert vom Schicksal ihrer Schwester engagierte sich später Eunice Kennedy Shriver für die Rechte und die Förderung von Menschen mit geistiger Behinderung. Teil ihres Engagements war die Gründung der Special Olympics World Games, die mittlerweile die weltweit größte Sportveranstaltung für Menschen mit geistigem Handicap sind.

Wie die Paralympics für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung sind die Special Olympics vom Internationalen Olympischen Komitee (IOK) anerkannt. Bei den 16. internationalen Sommerspielen, die im Juni in Berlin stattfanden, war Hockey noch Demonstrationssportart. Es wurde getestet, wie groß die Resonanz des Publikums sein würde. Sie muss groß gewesen sein, denn von jetzt an ist Hockey ständiger Teil des Programms. Möglicherweise hat Stojanovic mit seiner Einsatzbereitschaft und seiner Spielbegeisterung zu diesem Erfolg beigetragen.

Yannick Stojanovic (mit der Nummer 9) jubelt mit seinen Teamkollegen bei den Special Olympics World Games. (Foto: Sarah Rauch/Special Olympics Deutschland)

Dabei sah es lange Zeit nicht danach aus, als ob er seinen Weg im Teamsport finden würde. Als Stojanovic sich auch in der Grundschule zunehmend schwer tut, wollen die Eltern Gewissheit: Was ist anders mit Yannick? Mehrere Ärzte stellen eine "kognitive Entwicklungsverzögerung" fest. Eine Diagnose, die nichts erklärt, aber zusammenfasst, womit Yannick Stojanovic Schwierigkeiten hat: mit neuen Dingen, fremden Personen - und vor allem mit Zahlen.

Er wechselt auf die Förderschule nach Starnberg. Nachmittags spielt er lieber mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder David als mit Gleichaltrigen. Sie zocken Fifa auf der Playstation, teilen den gleichen Freundeskreis und erzählen sich alles. Die Eltern nennen sie liebevoll "unsere Zwillinge". Als Yannick Stojanovic frustriert feststellt, dass er in seiner Hockeymannschaft nicht mehr mitkommt, wechselt er in Davids Team.

Wegen des Alters- und Größenunterschieds darf Stojanovic bei den Auswärtsspielen jedoch nicht mitspielen. Heute, so erzählt seine damalige Trainerin Nina Stambrau, bereue sie, sich nicht stärker für ihn eingesetzt zu haben: "In der U8 und U10 geht es nicht darum, Spiele zu gewinnen. Wahrscheinlich hätten die anderen Trainer nichts dagegen gehabt, ihn mitspielen zu lassen." Als David sich entscheidet, eine Pause einzulegen, hört auch Yannick auf. Das Kapitel Hockey scheint beendet, ein Stück Normalität bricht weg.

2021 gründen drei Trainer das Specialhockey-Team München

Zurück bei den Special Olympics in Berlin. Zweite Torchance gegen Chile. Yannick Stojanovic nimmt einem Gegenspieler den Ball ab, läuft entschlossen an seiner Teamkameradin Chloé Beloin vorbei und zielt aufs Tor: knapp daneben. Vom Rand ertönt die Stimme seiner Trainerin: "Yannick! Das war prima, aber guck mal, wie du die Chloé mitnehmen kannst, die ist auch da gewesen."

Als Yannick Stojanovic mit dem Hockey aufhörte, war plötzlich alles anders. Weil seine Schule rund 20 Kilometer von zu Hause entfernt ist, war der Hockeyverein sein sozialer Treffpunkt. Und nun? In ganz Bayern gab es damals kein Hockeyangebot für Menschen mit geistigem Handicap - ein blinder Fleck auf der Landkarte des integrativen Sports. 2021 jedoch gründen die Münchner Trainer Bärbel Holzmüller, Peter Schweizer und Sven Lindemann in Unterföhring das Specialhockey-Team München. Stojanovic ist direkt Feuer und Flamme.

2022 sucht Deutschland talentierte Spielerinnen und Spieler für die Special Olympics. Stojanovic wird von seinen Trainern vorgeschlagen. Doch ob er es schafft? Er will unbedingt teilnehmen. Im Oktober 2022 fährt Stojanovic zur sogenannten "Sichtung" an die Sporthochschule Köln. Dort muss er Kondition und Selbstständigkeit beweisen. Die Special Olympics sind nicht nur körperlich eine Herausforderung, sondern auch mental. Vor Publikum spielen, mit der Presse reden, Programmpläne einhalten: Die Teammitglieder sollen das möglichst eigenständig meistern. Stojanovic besteht die Prüfung.

Auch wenn die Ränge fast leer sind, genießt es Yannick Stojanovic, bei den Special Olympics World Games auf dem Spielfeld zu stehen. (Foto: privat)

Nach vier Lehrgängen geht es nach Berlin. Dort wartet ein volles Programm: Eröffnungsfeier mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Empfang in der bayerischen Vertretung, Athletenparty und Stadtbesichtigungen. Dazwischen Fotos mit Fans, Autogramme, Interviews. Ob man bei so viel Rummel nicht nervös wird? "Nein, ich spiele einfach drauf los und schieße Tore", sagt Stojanovic. Das mache ihm eh am meisten Spaß.

13 Tore schießt Stojanovic im Laufe des Turniers, wird Medaillenträger, gewinnt den Bayerischen Sportpreis. Zu Hause postet David Bilder von ihm, erzählt in der Schule von seinem Bruder, dem Torschützen, und ist traurig, weil er wegen des Schulunterrichts nur an den Wochenenden dabei sein kann.

Elf Spiele bestreiten Yannick Stojanovic und sein Team: Qualifizierung, Gruppenrunde, Halbfinale und schließlich das Endspiel gegen die Niederlande. Als der Abpfiff ertönt, rennen Spielerinnen und Spieler, die gerade noch am Seitenrand standen, aufs Feld. Fans klatschen, alle umarmen sich, springen, jubeln. Gold! Gold, Gold! Auch Stojanovic freut sich. Er hat allen Grund dazu. Springen und Jauchzen sind aber nicht so sein Ding. Er hält ein bisschen Abstand zu den anderen und freut sich still. Das ist ihm lieber.

Ob er Hockey mal beruflich machen will? Stojanovic zuckt mit den Achseln: "Lieber Tierpfleger oder Lokführer." Züge und Bahnen sind Stojanovics große Leidenschaft. Mit Zahlen mag er sich schwer tun, aber die Fahrpläne des öffentlichen Nahverkehrs kennt er auswendig.

Das Specialhockey-Team München sucht dringend neue Mitglieder. Vorerfahrung ist nicht nötig. Interessierte können sich unter folgender E-Mail-Adresse melden: specialhockeymuenchen@thehockeyzone.de .

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