Entwicklung:Die Schönheit des Wörthsees ist Fluch und Segen zugleich

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Die Dörfer sind noch Dörfer, doch Ausflügler verstopfen die Straßen, Wohnungen fehlen. Auf 150 Seiten hat die Gemeinde ihre Stärken und Schwächen aufgeschlüsselt.

Von Christine Setzwein, Wörthsee

Das erste Leitbild für die Gemeinde Wörthsee stammt aus dem Jahr 2003 und ist eine kleine Broschüre mit gerade mal 14 Seiten. Die neue Ausgabe ist ein stattliches Buch mit mehr als 150 Seiten und heißt nicht einfach Leitbild, sonder trägt den Titel "Isek - Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept" für Wörthsee. Beiden gemeinsam ist, dass viele daran mitgearbeitet haben: die Bürger in Workshops und Diskussionsveranstaltungen, die Gemeinderäte und Bürgermeisterin auf Klausurtagungen und in etlichen Sitzungen, das Planerteam und die Verwaltung in regelmäßigen Jour-fixes, die Lenkungsgruppe zu Arbeitstreffen. Herausgekommen ist ein "stark erweitertes Leitbild, eine Leitlinie für die weitere Ortsentwicklung nicht nur für die aktuellen, sondern auch für die künftigen Gemeinderäte", sagt Bürgermeisterin Christel Muggenthal (SPD).

Einer der Auslöser, ein Entwicklungskonzept in Auftrag zu geben, war der "Kirchenwirt" in der Steinebacher Dorfmitte. Der drohende Verkauf der Traditionsgaststätte, die die Gemeinde unbedingt erhalten wollte, und die Pläne der Investoren, das Areal massiv zu bebauen, waren der Start eines Prozesses, der insgesamt vier Jahre lang dauerte.

Die drei Büros Dirtheuer, Ingevost und Salm & Stegen, die das Isek erarbeitet haben, haben sich die Gemeinde Wörthsee sehr genau angeschaut. Einwohnerentwicklung, Anzahl der Haushalte, Altersstruktur, Landschaft, Städtebau und Siedlungsentwicklung, Wohnraumangebot, Wirtschaft, soziale Infrastruktur, Mobilität und Verkehr flossen in eine Bestandsaufnahme, aus der Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken der Gemeinde ermittelt wurden.

Die Ortskerne sind gut erhalten, die "Mia san mia-Mentalität" gibt es noch

Dabei gehört die Attraktivität Wörthsees sowohl zu den Stärken als auch zu den Schwächen. Zum einen bietet die Gemeinde ruhige Wohngebiete, einen der schönsten Seen, gut erhaltene Ortskerne in den vier Ortsteilen Steinebach, Auing, Etterschlag und Walchstadt, einen Autobahnanschluss und die S-Bahn. Aber die schöne Landschaft und der attraktive See sind es auch, die den Siedlungsdruck immer weiter erhöhen und die Straßen vor allem im Sommer verstopfen.

In der Gemeinde fehlt es an Rad- und Fußwegen. (Foto: Arlet Ulfers)

Zu den auffälligen Schwächen gehören fehlende Rad- und Fußwegeverbindungen zwischen den Ortsteilen, zu wenig Wohnraum für junge Familien und ältere Menschen. Was eine gesamtörtliche und aufeinander abgestimmte Planung in Wörthsee erschwert, haben die Experten auch herausgefunden: die ländlich geprägten Dorfkerne, die nach wie vor in ihrer eigenen Identität verwurzelt sind. Die "Mia san mia-Mentalität" gibt es immer noch oft, ob in Etterschlag, in Steinebach oder in Walchstadt.

In einer Tabelle listet das Isek nun genau auf, mit welchen Maßnahmen die Altorte gestärkt werden können, was sie kosten, welche Förderprogramme es gibt und in welchem Zeitraum sie umgesetzt werden können.

Was den Kirchenwirt betrifft, den genossenschaftlichen Wohnungsbau mit einem Vollsortimenter am Teilsrain und das geplante Seniorenzentrum der Kirchenstiftung kommt die Gemeinde schon gut voran. Im Herbst sollen die Abrissarbeiten auf dem Raabe-Areal, das die Gemeinde gekauft hat, beginnen. Das Wirtshaus wird saniert, daneben entstehen bezahlbare Wohnungen. Für das Genossenschaftsprojekt und den neuen Lebensmittelmarkt, wie auch für das Seniorenzentrum, wurden erste Pläne vorgestellt. In der Gemeinderatssitzung nach den Ferien soll beschlossen werden, dass Steinebach zum Sanierungsgebiet wird, kündigt Muggenthal an. Dann könnten Verschönerungsmaßnahmen, wie etwa die Seestraße als verkehrsberuhigte Zone auszuweisen, gefördert werden.

Der Dorfladen hat dichtgemacht, der Alte Bahnhof bleibt geschlossen

Ohne das Isek, sagt die Bürgermeisterin, hätte die Wörthsee für den Kauf des Raabe-Areals und den gemeindlichen Wohnungsbau Schulden machen müssen. Dazu, dass die Kommune das selber in die Hand nimmt, habe die Regierung von Oberbayern geraten. "Die Mitarbeiter dort haben uns überhaupt sehr gut beraten", sagt Muggenthal. Das ist auch nötig, denn die zuschussfähigen Kosten zu ermitteln, ist nicht einfach. Die Innenraumsanierung des Kirchenwirts und Stellplätze werden zum Beispiel nicht gefördert, die Wohnungen über der Gaststätte aber schon. Etwa 90 000 Euro kostet das Isek inklusive Verkehrsuntersuchung, aber auch dafür gibt es einen Zuschuss. So bleiben bei der Gemeinde Kosten von 35 000 Euro. Dafür liegt nun ein Konzept für die Ortsentwicklung Wörthsees vor, "mit dem wir nicht nur an Symptomen rumdoktern, sondern Strategien festlegen". Eine Richtschnur für Gemeinderäte und engagierte Bürger.

Freilich, für alle Zeiten festgeschrieben ist das Isek nicht, es wird laufend aktualisiert. Zwei Punkte haben sich jetzt schon erledigt. Einen Dorfladen in Walchstadt, wie er im Isek aufgeführt wird, gibt es nicht mehr. Er wurde im Juli geschlossen. Und den Wunsch vieler Bürger, den Alten Bahnhof Steinebach als Treffpunkt wieder aufleben zu lassen, wird zumindest die Gemeinde nicht erfüllen können. Der Gemeinderat hat es jüngst abgelehnt, das Gebäude zu kaufen.

© SZ vom 19.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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