Ausstellung:Von getöpferten Gartenfröschen bis zum "Kapselbrand"

Lesezeit: 4 min

Immer kreativ: Jutta Müller zeigt ihre Werke anlässlich ihres 90. Geburtstags im April. (Foto: Arlet Ulfers)

Die Künstlerin Jutta Müller präsentiert zu ihrem 90. Geburtstag in der Gemeindegalerie Weßling Keramiken, Skulpturen und Gemälde.

Von Patrizia Steipe, Weßling

Viele der Keramiken in der Weßlinger Gemeindegalerie hat Jutta Müller nach Jahren zum ersten Mal wieder gesehen. "Ich musste von der Keramik leben", erklärt sie. Deswegen hat sie selbst kaum eigene Werke behalten. "Die habe ich alle verkauft". Kurator Erich Rüba hatte allerdings so eine Ahnung, wo er im Ort Weßling fündig werden könnte. Für die Ausstellung anlässlich ihres 90. Geburtstags am 21. April 2024 stellten ihm Privatleute ihre Müller-Keramiken zur Verfügung. Der Querschnitt ihres künstlerischen Schaffens umfasst neben Tonskulpturen Gemälde, Zeichnungen und Monotypien.

Sie selbst wird immer wieder von Leuten angesprochen, die als Kind an einem ihrer Töpferkurse teilgenommen haben. Dabei wurden nicht nur fantasievolle Skulpturen getöpfert, sondern auch für das Foyer der Weßlinger Sporthalle ein Maskenfries gestaltet.

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In der Gemeindegalerie bleibt der Blick an der Skulptur "Lausteufel" hängen. Der gebrannte Ton ist sparsam bemalt, Mund und Hörner der Teufelfratze sind blau, Picasso hat offensichtlich Pate gestanden. Es ist eine Gartenkeramik, die man auf einem Stab in das Blumenbeet als Behausung für Ohrwürmer stecken kann, und da Ohrwürmer Läuse verzehren, hat Jutta Müller den Kopf eben "Lausteufel" genannt.

Um finanziell über die Runden zu kommen, hat die Weßlinger Künstlerin Gebrauchskeramiken angefertigt. Ihre getöpferten Gartenfrösche fanden großen Anklang, ebenso die bunten Tonperlen. "Die wurden mit Kinderarbeit hergestellt", lacht sie. Die drei Söhne wurden eingespannt, um Kugeln zu rollen. Die Arbeit habe ihm gefallen, erzählt einer der Söhne in der Gemeindegalerie. Schließlich habe es von der Mutter für die Heimarbeit Geld gegeben. Müller stach Löcher in die Rohlinge und brannte sie anschließend.

"Knoblauch" heißt dieses Ölgemälde. (Foto: Arlet Ulfers/Arlet Ulfers)

Ein Münchner Spielzeuggeschäft hatte einmal 1000 Stück bestellt. "Von dem Erlös habe ich mir meine erste Werkstatt eingerichtet", erinnert sich die Künstlerin. Zuvor hatte sie nur einen kleinen Emaillier-Brennofen, in dem höchstens ein paar Tonperlen hineingepasst hatten. Die ersten Brennversuche schlugen aber fehl. An den Kugeln klebte der Schamott fest. "Ich hatte ja keine Ahnung". Jutta Müller suchte nach einem Drahtgestell, das 1000 Grad aushält und in das sie die Perlen zum Brennen hängen konnte. Eine weitere Einnahmequelle waren ihre bunten Holzstühle. Die Künstlerin hat nämlich alte Holzstühle, die zum Wegwerfen zu schade waren, mit Farben zu Kunstwerken aufgewertet. In der Galerie sieht man einen Lila- und einen Fliederfarbenen mit farblich abgesetzten Zierstreifen.

Jutta Müller wurde in Hamburg geboren. Heute wohnt sie nicht weit entfernt von der Gemeindegalerie. Bei ihren Spaziergängen verweilt sie dort öfter im Garten und unterhält sich mit Erich Rüba. So kam er auf die Idee mit der Ausstellung zum 90. Geburtstag.

Seit den 1970er-Jahren lebt Jutta Müller mit ihrer Familie in Weßling. Ihr erster Wohnsitz, die Villa Ostenrieder, hätte kaum passender sein können. Der bedeutende Münchner Architekt Max Ostenrieder hat sie am Weßlinger See erbaut. Acht Jahre lang hat die Familie in dem Haus gewohnt. Eine Studentin hat die Mutter bei der Kinderbetreuung unterstützt. Beide Frauen setzten sich mit Erfolg dafür ein, dass die Villa in die Denkmalliste aufgenommen wird.

Daneben blieb Zeit, um mit anderen Frauen 1972 die Nachbarschaftshilfe Weßling zu gründen. 1975 wagt die dreifache Mutter als Keramikerin den Schritt in die Selbstständigkeit. Das Experimentieren und Ausprobieren verschiedener Techniken sei ihr wichtig gewesen. Zum Beispiel habe sie bei ihren Keramikarbeiten "seltsame Brenntechniken" wie den sogenannten Kapselbrand versucht, erinnert sich Müller. Mit dieser Technik wird jedes Stück zu einem Unikat. Verschiedene Materialien wie Kaffeesatz, Orangenschalen, Harz oder Heu werden dabei mit dem Brennmaterial in einer Tonkapsel luftdicht eingepackt und anschließend gebrannt. Auch die japanische Brenntechnik Raku beherrscht Müller. Dabei wird die Glasur in der offenen Flamme geschmolzen und die Werkstücke in kaltem Wasser abgeschreckt.

In der Weßlinger Gemeindegalerie sind auch Zeichnungen und Collagen zu betrachten. (Foto: Arlet Ulfers)

Mit dem Malen begann Jutta Müller Ende der 1980er-Jahre. Die Autodidaktin belegte Kurse an der Volkshochschule und bei Malerinnen aus dem Landkreis Starnberg wie Hannelore Jüterbock und Juschi Bannaski. "Den Einfluss von den Lehrern sieht man zwar nicht in den Bildern, aber ich kenne ihn", erklärt sie. Ihre Farben rührt sie mit Pigmenten selbst an. Eine "irre Serie" hat sie beispielsweise mit dem tiefschwarzen Bitumen kombiniert mit strahlendem Pink und Lila angefertigt. "Samaya" heißt das abstrakte Bild, das in der Galerie ausgestellt ist. Auf einer Reise nach Südfrankreich hat sie einen Ockerbruch besucht und sich Tüten voller buntem Sand von weiß, über rot bis braun mitgebracht. Das abstrakte Bild "Ocker aus der Provence" ist damit entstanden.

In feiner Technik angefertigt: Tonperlenketten glasiert. (Foto: Arlet Ulfers)

"Die Sehnsucht nach den roten Schuhen" hat sie ein abstraktes Gemälde mit einer blauen und grünen Fläche sowie den stilisierten roten Schuhen übertitelt. Es ist nach einem Urlaub an der Nordsee entstanden. Mit einer Freundin ist sie dort gewesen, die sei ganz besessen von ihrem Wunsch sich rote Schuhe zu kaufen gewesen. Davon sei sie schon ein wenig genervt gewesen, gibt die Künstlerin zu - das Bild war ihre Art diese Erfahrung zu verarbeiten.

Auch mit fast 90 Jahren ist Jutta Müller kreativ geblieben. Ihre jüngsten Werke stammen aus dem Bereich "Upcycling". Es sind Collagen, die sie auf weiße Papiertüten aufbringt. Sie habe einen Riesenfundus an Sprüchen, die sie dafür verwendet, erklärt sie. Und einen Auftrag 50 Tüten anzufertigen. "Verwöhnprogramm", steht auf einer, auf einer anderen "Einfach ausprobieren" und "nachhaltig? Natürlich".

Eine Collage auf Leinwand: Stabpuppen aus einem indonesischen Puppenspiel. (Foto: Arlet Ulfers)

Doch seit Corona mache ihr alles nicht mehr so viel Freude, gesteht sie. Eine eigene Corona-Erkrankung habe ihr zusätzlich zugesetzt. Mittlerweile geht es ihr abgesehen von "altersgemäßen Einschränkungen" besser. "Aber ich habe keine neuen Ideen". Vielleicht muss sie das gar nicht, schließlich lagern zuhause noch "haufenweise angefangener Sachen", die darauf warten beendet zu werden. Am 21. April 2024 wird die vielseitige Künstlerin 90 Jahre alt.

Die Ausstellung in der Weßlinger Gemeindegalerie in der Hauptstraße 57 kann freitags und sonntags von 14 bis 17 Uhr besichtigt werden.

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