Abkürzung zur B2:Dicke Luft

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Wegen des Verkehrs haben manche Warnwesten zu Abstandhaltern umfunktioniert. (Foto: Viktoria Spinrad)

Die Tutzinger Hauptstraße ist ein Nadelöhr. Und so schieben sich durch die Kustermannstraße mittlerweile Kolonnen an Ausweichlern. Über eine Umfahrung, die keine sein will.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Früher, sagt Ina Hildmann, sei die Luft hier oben gut gewesen. Wenn sie aus München kam, sagt sie und atmet tief durch, dann sei das jedes Mal wunderbar gewesen. Sagt sie und blickt gen Wald, gen See. Am oberen Ende der Tutzinger Kustermannstraße hat sie sich vor 20 Jahren ein Refugium geschaffen, das keines mehr ist. Bereits ihre letzten Worte gehen im Verkehrslärm unter. Gleich mehrere SUVs hintereinander brettern den Hügel hinab und rollen an einem Schuttwagen vorbei, der sich den Weg nach oben ächzt. "Furchtbar", sagt Hildmann.

Hier, zwischen Bäumen und Büschen, zwischen Wald und See haben die Autofahrer für sich eine informelle Umfahrung der bauarbeitsgeplagten Hauptstraße B2 ausgemacht. Und so spielen sich längst Szenen wie auf dem Mittleren Ring in München ab. Mitten durch das Vorgartenidyll westlich der S-Bahn rauscht im Sekundentakt der Verkehr. Pendler donnern den Hügel hinab, Motorradfahrer schlängeln sich durch das Gewirr. Regelmäßig blinkt die neu aufgestellte Geschwindigkeitsanzeige mit dem traurig dreinblickenden Männchen rot. Der digitale Fingerzeig scheint längst nicht jeden zu interessieren.

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Die Gegenwehr der Anwohner hebt sich in Neonfarben aus der Landschaft ab. Verkehrsmännchen in grün und orange, aufgestellt von der Tutzinger Liste, dem Bürgerverein der Gemeinde, der das Treiben hier schon länger kritisch beäugt. Andere Anwohner haben einfach ihre Mülltonnen draußen stehen lassen und dort orange Warnwesten befestigt. Vor einem Haus steht ein Verkehrshütchen, andere haben Wimpel an ihren Zäunen befestigt. Eine Umfahrung, die keine sein will.

Das ist auch im Rathaus angekommen. "Schwer leidgeprüft" sei die Straße im Moment, sagte Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) diese Woche im Verkehrsausschuss. Dieser beschloss, die acht Halteverbotsschilder, die sich noch vom Winter wie Perlenketten die Straße hochsäumen, schlicht stehenzulassen. Parkende Autos bremsten den Verkehr zwar ab, so zitierte Greinwald die Polizei,"aber Kinder sehen den Verkehr nicht und der Verkehr sieht die Kinder nicht".

Roswitha Gasch wohnt zurückgesetzt in der Hausnummer 23. "Das hier ist ein Wahnsinn", sagt sie. (Foto: Viktoria Spinrad)

Dass es mit der Sicht so eine Sache ist, zeigt auch ein Unfall, bei dem vor Kurzem zwei entgegenkommende Autos zusammenkrachten. Eine ältere Frau musste ins Krankenhaus gebracht werden. Kein Wunder, sagt Roswitha Gasch. Sie wohnt etwas zurückgesetzt im mittleren Teil der Straße. Diese sei "die reinste Zumutung", und bei den großen Schlaglöchern oben könne man eben nur den Reifen kaputtfahren oder ausweichen. Derweil braust der Verkehr vorbei.

Eigentlich gilt hier Tempo 30, doch so manches Schild ist vor lauter Wildbewuchs kaum lesbar. Zwei, drei zusätzliche Tempo-30-Schilder, sagte Claus Piesch (FW) im Ausschuss, könnte die Straße schon noch vertragen. Die Anwohner hier fordern schon länger Geschwindigkeitskontrollen, und möglicherweise könnten diese auch bald kommen. Man versuche derzeit, die Einverständniserklärung zu bekommen, dass Messgeräte aufgestellt werden dürften, sagte die Bürgermeisterin.

Beliebt ist es auch, die Mülltonne zum Verkehrshindernis zu machen. (Foto: Viktoria Spinrad)

Eine Frau geht mit Kinderwagen hinunter, derweil versucht ein Lastwagen, an ihr vorbei zu rangieren. Schrecklich sei es, sagt sie, aber hier sei nun einmal kein Gehweg. Eben einen solchen hatte die Gemeinde in der Vergangenheit geprüft, mit dem Ergebnis, das die Grundstücksverhältnisse durchaus komplex sind. Im oberen Teil sei teilweise nur ein Meter im Besitz der Gemeinde, so Greinwald. Trotzdem soll nun geprüft werden, ob man einen Teil nicht mit einem gelben Streifen abtrennen könne.

Florian Höfter hat wenig Freude daran, sich regelmäßig wahlweise durch die Hauptstraße oder die Kustermannstraße zu quälen. Das müsste doch alles besser gehen, sagt er. (Foto: Viktoria Spinrad)
Die Tutzinger Bürgermeisterin Marlene Greinwald mahnt die Bürger zum Zusammenhalt. Ihr Credo zur Hauptstraße lautet: "Da müssen wir jetzt durch." (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Eine Maßnahme, die es für Menschen wie Florian Höfter nicht leichter machen dürfte. Wie so viele quält sich der Tutzinger am Dienstagnachmittag mit seinem Auto die Straße hoch, oben auf der Kuppe hält er kurz an. Gerade am Abend sei der Verkehr besonders schlimm, sagt er, da habe er Verständnis, dass die Bürger Wimpel aufstellen. Wie viele kann er sich beim Stichwort "Hauptstraße" geradezu in Rage reden, die Koordination, das Arbeitstempo, die Staus, "ein Scheiß", sagt er und spricht so aus, was hier viele denken.

All dies wird die Tutzinger noch länger begleiten, als ihnen lieb ist. Die Baustelle im Nordteil soll bis Ende Juli abgeschlossen sein, die gesamte Sanierung der Hauptstraße ist bis 2025 avisiert. Doch auch dann wird in der Kustermannstraße so schnell keine Ruhe einkehren. Sobald die Hauptstraße fertig ist, soll auch sie generalsaniert werden, inklusive zeitgemäßer Entsorgung des Niederschlagswassers. Das, so Greinwald, "wird eine größere Baumaßnahme sein."

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