Energiewende:Strahleneuphorie

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Sonnenpaneele, so weit das Auge reicht: So wie hier in Unterbrunn sieht es eines Tages vielleicht auch in Tutzing aus. (Foto: Georgine Treybal)

Tutzing plant den größten Solarpark im Landkreis Starnberg. Bereits in zwei Jahren könnten die Kollektoren für die Energiewende stehen - wenn denn alles so läuft, wie es sich die Menschen hier vorstellen.

Von Kathrin Kessler und Viktoria Spinrad, Tutzing

Er könnte bis zu 20 Hektar groß werden, 20 Millionen Euro kosten und zwei Drittel des Tutzinger Strombedarfs abdecken: der mögliche Bürgersolarpark, für den die Gemeinde nun bei Neuseeheim Grundstücke angeboten bekommen hat. Am Dienstagabend erteilte der Gemeinderat seinen grundsätzlichen Segen für das Genossenschaftsprojekt, bei dem sich Bürger eines Tages am kollektiven Sonnenstrom beteiligen könnten.

Entsprechend überschwänglich waren die Reaktionen am Mittwoch. "Der Gemeinderat hat die Zeichen der Zeit erkannt", sagte der Vorstandsvorsitzende der Energie-Genossenschaft Fünfseenland, Gerd Mulert. Von einem "Superprojekt" schwärmte Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW): "Es würde uns einen großen Schritt in Richtung Klimaneutralität bringen."

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Fakt ist: Der "PV-Park-Tutzing" entlang der B2 wäre - Stand jetzt - das größte Solarprojekt im Landkreis Starnberg. Er soll, wenn es denn klappt, bis zu 20 Gigawattstunden Energie im Jahr erzeugen - und Tutzing so großteils stromautark machen. Und zwar mithilfe der Energiegenossenschaft Fünfseenland und durch Investments von Bürgern und Banken.

Vor fünf Jahren hat Franz von L'Estocq, 52, den familieneigenen Forstbetrieb von seinem Vater Heino übernommen. Nun will er Grundstücke für ein Solarfeld in Tutzing zur Verfügung stellen. (Foto: privat)

Schon länger hatte die Gemeinde, in der eine der aktivsten Klimaneutralitätsbewegungen im Landkreis zuhause ist, nach entsprechendem Grund für eine großflächige Photovoltaikanlagen Ausschau gehalten. Was sich in Tutzing nicht so leicht gestaltet, da die Gemeinde selbst kaum noch unbebaute Grundstücke hat und Privatbesitzer allen Anlass haben, ihren Boden zu versilbern. Fündig sind die Genossenschaft und die Gemeinde nun bei Franz von L'Estocq geworden. Er ist einer der Nachkömmlinge des hugenottischen Adelsgeschlechts, das in den Dreißigerjahren Grund in Tutzing kaufte. Irgendwo, sagte L'Estocq am Mittwoch, müsse man den Strom ja klimaneutraler herbekommen. Und: "Auf jeden Fall" würde er auch selber einsteigen beim Bürgerprojekt.

Diese liegen entlang der Kreuzung zwischen der B2, Kerschlach und Monatshausen. (Foto: Nila Thiel)
Der Sitz der L'Estocq'schen Guts- und Forstverwaltung liegt unweit der möglichen Solarfelder. (Foto: Nila Thiel)

Konkret geht es um insgesamt drei Grundstücke westlich und östlich der B2 zwischen Kerschlach und Monatshausen. Wo man heute Ackerland und Wiesen sieht, könnten in Zukunft Dutzende Solarpaneele in Reih und Glied stehen, Sonnenenergie einsammeln und ins allgemeine Stromnetz einspeisen. Entsprechend weniger müssten die Tutzinger dann von den gängigen Anbietern einkaufen - und wenn alles gut läuft, fällt für die einzelnen Bürgerinvestoren auch noch etwas Rendite ab. Tutzing würde von bislang etwa 18 mittelmäßigen Prozent erneuerbarem Energieanteil zu einem der Vorreiter im Landkreis aufsteigen. So jedenfalls die allgemeine Wunschvorstellung.

In der Praxis lauern noch einige Hürden. Bürokratisch wird das Bürgerprojekt in spe unter anderem dadurch, dass die Felder nicht an einer Autobahn oder Bahntrasse liegen. In dem Fall würde ein neues Schmalspurverfahren der Bundesregierung greifen - so aber muss die Verwaltung im Rathaus nun erstmal einen Bebauungsplan ausarbeiten, den die Energiegenossenschaft zahlt. Dafür muss geprüft werden, an welcher Stelle der Strom überhaupt ins Netz eingespeist werden könnte. Der sogenannte "Einspeisepunkt" darf nicht zu weit vom Netz entfernt sein - "sonst kostet die Leitung soviel, dass am Ende kein vernünftiger Strompreis rauskommt", so Mulert von der Energiegenossenschaft.

Einstimmig bringt der Gemeinderat das Projekt auf den Weg

An der politischen Rückendeckung im Ort dürfte es indes nicht scheitern. Der Gemeinderat zeigte sich am Dienstagabend angetan vom Projekt, das Marco Lorenz, Gründer der Initiative "Tutzing Klimaneutral 2035" vorstellte. Eine Zielsetzung, die die Gemeinde vor Kurzem nochmals erneuert hatte, die aber zuletzt zunehmend unrealistisch erschien angesichts leerer Kassen und explodierender Bodenpreise. Zwar gibt es kleinere Bürgersolaranlagen, ein Effizienznetzwerk, Elektrofahrzeuge, Balkonkraftwerke und LED-Leuchten, doch der große Wurf hin zur Klimaneutralität war der Gemeinde bisher nicht gelungen.

Hohe Strompreise, niedrigere Hürden: In der Szene herrscht Goldgräberstimmung. Derzeit liefern sich die Gemeinden ein regelrechtes Wettrennen bei den Solarfeldern, immer mehr Projekte landen auf dem Schreibtisch des Vorstandsvorsitzenden der Energiegenossenschaft. Während Berg bereits einen Sachverständigen losgeschickt und Gauting ein Standortkonzept für die Flächensuche in Auftrag gegeben hat, hat Pöcking bereits einen Standort gefunden. Als Vorbild gilt Gilching, wo bei Geisenbrunn seit fast einem Jahr auf 14 Hektar die mit Abstand größte Freiflächen-Photovoltaikanlage im Landkreis Starnberg am Netz ist. Alles andere wäre in Tutzing auch gar nicht möglich: Denn im Teilflächennutzungsplan sind hier keine Flächen für Windkraft ausgewiesen.

Im nächsten Schritt müssen die Flächen von l'Estocq nun dem Realitätstest standhalten. Dann müssen bis zu 20 Millionen Euro zusammenkommen, pro Hektar rechnet man in der Szene mit einer Million Euro. Etwa zwei Drittel kommen traditionell von Banken, etwa sechs Millionen müssten also von privaten Investoren, also den Bürgern, zusammenkommen - eine stolze Summe. Bei der Energiegenossenschaft rechnet man damit, dass die Anlage in zwei Jahren stehen könnte, wenn alles gut läuft. Entsprechend optimistisch und kämpferisch zeigt sich der Vorstandsvorsitzende Mulert. In Tutzing säßen schließlich die Zugpferde, sagt er. Und: "Wenn der Wille da ist, geht schon viel."

Und viel, das braucht es auch. Denn auf die Frage von Ludwig Horn (CSU), wie sich der immer höhere Stromverbrauch überhaupt auffangen ließe, wenn beim Heizen zunehmend auf Kohle und Gas verzichtet werde, erklärte Marco Lorenz: Um den Bedarf perspektivisch auch für Wärme abzudecken, "da bräuchte es im Grunde drei solcher Anlagen."

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