Kultur:"Ich möcht' nochmal den Tod spielen"

Lesezeit: 4 min

Hubert Heirler, lange Jahre treibende Kraft bei der Heimatbühne Tutzing, sucht junge Mitstreiter mit Faible für die Schauspielerei. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Tutzinger Heimatbühne fehlen die Laien-Darsteller, dem Verein droht das Aus. Doch so einfach will Mitbegründer Hubert Heirler nicht aufgeben.

Interview von Viktoria Spinrad, Tutzing

47 Jahre ist es mittlerweile her, dass Hubert Heirler als Gründungsmitglied die Tutzinger Heimatbühne aus der Taufe hob. Die Laienschauspieler spielten Stücke wie den "Brandner Kaspar" oder "Im Pfarrhaus is da Deifi los". Doch länger schon ist es ruhig geworden um die Truppe. Nun schlägt Heirler Alarm: Bekommt der 79-Jährige bis zur nächsten Vorstandsitzung im März nicht genügend Leute zusammen, muss sich der Traditionsverein auflösen. Ein Gespräch über widerwillige Tutzinger, seine Rolle als Tod und den besonderen Zauber des Laientheaters.

SZ: Auf Ihrer Webseite steht der Countdown bis zur nächsten Aufführung auf null. Die letzte Aufführung war 2018. Was ist denn los bei Ihnen?

Hubert Heirler: Wir bringen einfach keine Leute mehr zam. Corona hat das Vereinsgefüge durcheinander geschmissen. Die Älteren werden älter, können nimmer oder sterben gleich weg. Und von den Jüngeren kommt nichts nach. Es ist zwei Minuten vor zwölf. Mir blutet das Herz. Ich kann nicht mehr entspannt durchschlafen.

Dabei gelten die Tutzinger doch durchaus als Kultur-affin.

Tutzing ist ein ganz schlechtes Pflaster. Die Leute sprechen mich an: "Wann spielt ihr wieder?" Zuschauen wollen sie, ja, aber mitmachen nicht. "Keine Zeit", heißt's dann. Da kann ich mir aber nichts von abbeißen. Ganz anders in Inning oder Aschering: Dort spielen alle zusammen. Da krieg' ich nen' dicken Hals, den's bald zerreißt. Wie heißens' gleich?

Spinrad, Viktoria.

Frau Spinrad. Hab ich da was zum Spinnen? Wohnen Sie in Tutzing?

Leider nein.

Schade. Ich hätte Sie gern engagiert.

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Vielleicht hilfts, wenn Sie moderner werden, mal Sachen wie "Fack ju Göhte" probieren?

Machen wir ja schon. 2015 haben wir die Komödie "Meine fünf Frauen" aufgeführt. Das ist gut angekommen. Aber das hilft mir jetzt auch nichts. Einer ist nach Weilheim gezogen, ein anderer hat sich für ein halbes Jahr ins Ausland abgesetzt, zum Heimarbeiten. Andere zieht's in naher Zukunft auch weg. So geht's dahi.

Im letzten Stück ging es 2018 um eine Verrückte, die sich mit der Kunst des Kartenlegens über Wasser hält: der "Gspenstermacher". Haben Sie die bösen Geister herbeigeführt?

Ach, wir haben schon oft versucht, heitere Sachen zu machen. Die Zuschauer wollen ja auch lachen. Die Zeit ist eh so traurig, dass es was Belustigendes braucht. Wenn auch gern mit bisserl Hintergrund. Einmal ist mir die Magdalena vorgeschwebt...

...ein tragisches Drama von Ludwig Thoma. Ihr Dorf verschwört sich gegen die vermeintlich unzüchtige Magdalena, am Ende wird sie von ihrem Vater erstochen.

Meine Version wäre nach Thoma gewesen: Der Vater ersticht erst die Tochter und dann aus lauter Gram sich selbst. Das hab' ich bei einem Lehrgang ausprobiert. Der Teilnehmer war dann fix und fertig und fing an zu weinen. Genauso müsst man's ja eigentlich bringen! Man muss sich ja in die Person reinversetzen, die man spielt - das bringt die Würze. Begeistert waren alle schon, aber selber spielen wollten sie im Stück nicht - das war den Leuten zu traurig.

2004 führte das Ensemble in der TSV-Halle die Komödie "Ois bloß Chemie" auf. (Foto: Georgine Treybal)

Wen suchen Sie denn nun zur Rettung des Vereins? Braucht's Vorerfahrung?

Gar ned. Man muss sich halt trauen. Frauen sind oft leichter überredet als Männer. Die haben oft Bammel, sich zu blamieren.

Wie bajuwarisch muss man sein?

Bairischer Dialekt ist nicht zwingend notwendig. Im Gegenteil: Ich hab' gern andere Dialekte drin, das belebt das Stück. Wir haben auch Preißn. Selbst einen mit Sachsensprache haben wir schon eingebunden.

Sehr inklusiv. Wie schaut's mit Kindern aus? Die könnten Sie ja praktisch von den Schulaufführungen her abwerben. Wie ein Fußball-Scout.

Schön wär's. Minderjährige dürfen nach 20 Uhr eigentlich nicht mehr auf der Bühne sein. Jugendschutzgesetz halt. Da braucht's Mordsbestätigungen von den Eltern. Immer diese Bürokratie, da hat man nur Ärger. Wir haben das Theater ja auch immer im Ferienprogramm drin, aber auch da fruchtet nichts. Liebespärchen sind im Übrigen herzlich willkommen.

Als Romeo und Julia?

Könn' ma auch machen. (lacht)

2008 folgte "Da rote Jakl", ein tiefsinniges Volksstück über Leben und Tod. (Foto: Georgine Treybal)

Wie schaut's mit Requisiten aus? Haben Sie da noch was im Fundus oder muss man die selbst ranschaffen?

Da hamma genügend. Im Übrigen auch an Möbeln. Einmal hab' ich 'ne Couch in der Straße gefunden, die hat uns gut gedient.

Wo steht das jetzt alles? Der Verein ist doch praktisch heimatlos. Erst mussten Sie Ihre Sachen aus der Mittelschule räumen, dann aus der Klosterhalle.

Requisiten und Gewänder hab' ich noch in meiner Privatgarage in Diemendorf untergestellt, den Rest bei einem Landwirt. Das ist natürlich kein Dauerzustand. Wobei wir uns in der Vergangenheit auch immer mal was von den Bavaria-Filmstudios leihen konnten. Einmal hab' ich von denen 'nen uralten Herd bekommen, der war sauschwer. Ein andermal einen Betstuhl. Alles gesucht und geholt. Die waren wirklich freundlich. Ich hab' denen nur 'ne Flasche Sekt gebracht, da waren die herzhaft zufrieden.

So viel Liebesmüh. Was treibt Sie denn an?

Beim Theaterspielen entsteht eine besondere Gemeinschaft. Wenn im September die Proben losgehen, man sich dreimal in der Woche sieht, dann wächst man zusammen. Das ist einfach schee. Wenn das Stück dann im November aufgeführt ist, geht's einem schon wieder ab.

Das letzte Stück war 2018 der "Gspenstermacher". (Foto: Arlet Ulfers)

Ihr größter Erfolg war der "Brandner Kaspar". Der Büchsenmacher betrügt den Tod im Kartenspiel und ergaunert sich zusätzliche Lebensjahre. Das war 1988, also vor 36 Jahren.

Eigentlich hätten wir das ein Jahr früher spielen sollen. Aber mich hat's damals auf die Schnauze gelassen. Da bin ich ganz unglücklich auf 'ne scharfe Tischkante gefallen. Da hat's mir die Zähne rausgehauen. Selbst das Kiefergelenk ist raushupft. Ich konnte nur noch klare Suppe essen, ohne Pipapo. Selbst Schnittlauch war zu viel.

Das ist ja schon nah dran an der Rolle des Todes, den Sie als Boandlkramer übernahmen.

Des hat mir getaugt. (Seine Stimme wird zu einem flüsternden Zischen) Jaja - die Zeit. De hod an woltern Biss - de kaut die größten Trümma zsamm - de dickstn Mauern beißt's oft schartig. Oft - oft hob i ma denkt, wenn die Zeit zahnluckert wur - und kunnt nimma beißen - und nix gang z Grundes gab a Gwirkst! Waar koa Platz mehr für Neu's auf da Welt - vor lauter oidm Graffi...

Das sitzt ja immer noch. Und das nach all den Jahren.

Mir gefällt das so sehr, des möcht' ich noch mal spielen. Egal, ob tot oder lebendig.

Interessierte können sich melden unter der Festnetznummer (08158) 1201 und der E-Mail hu-hei@t-online.de

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