Tutzinger Kommunalpolitik:"Du warst eine gute Bürgermeisterin"

Lesezeit: 3 min

Bis zum 26. Januar ist Marlene Greinwald noch im Dienst. Nach 34 Jahren als Gemeinderätin und Bürgermeisterin ist sie dann erst einmal nicht mehr im Rathaus anzutreffen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Zum Abschied der abgewählten Tutzinger Rathauschefin Marlene Greinwald (FW) geht es im Gemeinderat emotional zu.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Als es um ihr politisches Vermächtnis geht, schließt sie die Augen. All die Sanierungen, die Corona-Zeit, das Schließen der Reihen im Gemeinderat. Erfolg um Erfolg zählt Thomas von Mitschke-Collande (CSU) am Dienstagabend im Sitzungssaal des Tutzinger Rathauses auf. Neben ihm steht Noch-Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW). "Du kannst stolz sein, was du erreicht hast", sagt er zu ihr. Und: "Du warst eine gute Bürgermeisterin." Greinwald kämpft mit den Tränen.

Sie, der die einen vorwarfen, zu emotional zu sein, und andere, dass sie zu wenig empathisch sei. Es ist ihre letzte Gemeinderatssitzung, nach 34 Jahren. Unfreiwillig, muss man sagen. Eigentlich hätte sie gerne weitergemacht, die Projekte vorangetrieben. Doch die Bürgermeisterwahl Ende November verlor sie krachend gegen Herausforderer Ludwig Horn (CSU). Und so steht sie an ihrem neuntletzten Arbeitstag inmitten von Applaus im Rathaus, in der einen Hand einen Blumenstrauß, in der anderen Geld für einen Baum zum Selberpflanzen.

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Ein bleibendes Denkmal für die Naturverbundene also. Es ist der Versuch einer Würdigung und auch Wiedergutmachung gegenüber einer Bürgermeisterin, die Verschlepptes vorantrieb, am Ende aber nicht zuletzt an ihrer saloppen Art scheiterte. Nach nur einer Amtszeit verlor die 62-Jährige gegen den 35 Jahre jüngeren Horn - ein Politikum, das es selbst in den Sonntags-Stammtisch des Bayerischen Rundfunks schaffte. Wie macht man weiter, wenn man so tief fällt?

Eine halbe Stunde vor ihrer Verabschiedung steht Greinwald am Treppenabsatz des Rathauses und wippt mit einem Glas Sekt in der Hand. Zur Einstimmung aufs neue Jahr spielt das Saxonphon-Ensemble der Musikschule "Hit the Road Jack". Hau ab, und komm nie wieder? So etwa dürfte es sich für sie angefühlt haben, als sie im November gerade mal 36 Prozent der Stimmen einfuhr. Ein Ergebnis, das in seiner Deutlichkeit selbst ihre Kritiker überraschte.

Nach 34 Jahren hat Tutzings Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) am 16. Januar ihre letzte Gemeinderatssitzung. CSU-Gemeinderat Thomas von Mitschke-Collande hält eine Rede, in der er sich für den Einsatz Greinwalds bedankt. (Foto: Viktoria Spinrad)

Am Tisch nebenan steht Ludwig Horn und nippt am Orangensaft. Der Mann, der zu den Menschen ging, sich frisch und empathisch zeigte, mehr Transparenz und Miteinander versprach. So holte der 27-Jährige das Bürgermeisteramt zum ersten Mal nach 16 Jahren wieder in CSU-Hand. In den vergangenen Wochen hat Greinwald ihren Nachfolger nach und nach in die Materie eingearbeitet, damit alles läuft, wenn er am 31. Januar übernimmt. Keine Missgunst? Es gehe ihr schließlich um den Ort, sagt sie.

Um 18.30 Uhr bimmelt sie im Sitzungssaal zum letzten Mal das Glöckchen zur Gemeinderatssitzung und setzt ihre schwarz gerahmte Brille auf. Sie hält ein Mikro in der Hand. Über Weihnachten hat sie sich Corona eingefangen, und so recht mag die Stimme immer noch nicht. Doch dann erhebt sich Thomas von Mitschke-Collande. Mit 73 Jahren ist er der Älteste im Gemeinderat. Es gilt, Greinwald zu verabschieden. Ausgerechnet er hat sich das zur Aufgabe gemacht, der den Wahlkampf Horns orchestrierte und an seinem Grundstück ein meterbreites Banner mit dessen Gesicht aufhängen ließ.

Greinwald (2.v.r.) 2007 zwischen ihren Parteifreunden der Freien Wähler... (Foto: Georgine Treybal)
Zusammen mit der Zweiten Bürgermeisterin Elisabeth Dörrenberg (CSU) im Jahr 2017... (Foto: Nila Thiel)
...und zuletzt als Chefin im Rathaus. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Er ist aber auch einer, der der stets omnipräsenten Bürgermeisterin einen gewissen Respekt zollte. Einen Redezettel braucht er nicht. Sein Zeugnis für Greinwald hat er im Kopf. Ihre Projekte? "Nicht einfach." Ihre Führung des Gemeinderats? "Sehr souverän." Ihr Zeiteinsatz? "Unwahrscheinlich." Eine Versöhnung in Superlativen, was Greinwald nicht entgeht. Demonstrativ kess legt sie den Arm um seine Schultern. "Lieber Thomas", sagt sie. Eigentlich wäre es ja nicht schlecht gewesen, "hättest du das mal vor der Wahl gemacht". Die Lacher hat sie diesmal auf ihrer Seite.

Dann holt sie Luft. "Es ist nunmal so, wie es ist", sagt sie und bedankt sich bei den Bürgern fürs Vertrauen. Eine Lässigkeit, die so direkt nach der Wahl nicht zu sehen war. Da zog sie noch umher wie ein verletztes Reh und monierte eine mangelnde Solidarität unter Frauen. Sieben Wochen später zeigt sie sich gefasst, verhehlt aber auch nicht, dass ihr der Abgang schwerfällt. Stets hatte sie sich wie eine schützende Wand vor die Rathausverwaltung gestellt, die sich immer häufiger persönlichen Angriffen ausgesetzt sieht. Auch diesmal nutzt sie die Bühne für einen Appell, die Mitarbeiter mit Respekt zu behandeln: "In einem kleinen Ort wie Tutzing ist jeder mit dem Herz dabei."

32 Sekunden lang gibt's Standing Ovations

Gleich 32 Sekunden lang Standing Ovations erntet sie, fast so viele Sekunden wie Jahre im Gemeinderat. Dann geht es ins Tagesgeschäft. Bürgersolarpark, Asylunterkunft, Klimaneutralität. Lesebrille rauf, Lesebrille runter. Die Hände mal gefaltet, mal gespreizt, mal über die müden Augen reibend. Sie schnieft und schnäuzt sich durch die Sitzung. Irgendwann bringt ihr Gemeinderätin Christine Nimbach (Die Basis) Lutschbonbons nach vorn.

Angeschlagen, das ist Greinwald, am Boden liegt sie aber nicht. Sie freue sich inzwischen auf ihre neue Freiheit, hatte sie zuvor in ihrer Rede gesagt. Was sie damit machen will, wo sie mitmischen will, das muss sie noch entscheiden. Von Hundert auf Null, es ist eine beträchtliche Fallhöhe, an der schon so manche auch im Privaten gescheitert sind. Doch sie hat ja ihren Mann, ihre beiden Töchter, die Enkel. "Eine starke Familie", wie auch Laudator Mitschke-Collande betonte.

Um 19.43 Uhr legt Greinwald die Lesebrille ab. Acht Tagesordnungspunkte sind abgehandelt, alle davon einstimmig. "Das wäre es von meiner Seite", sagt sie, "sonst hab' ich nichts mehr." Sie lächelt.

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