Tutzinger Brahmstage:Wien trifft New York

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Die Tutzinger St. Joseph-Kirche - hier eine Aufnahme aus dem Vorjahr - ist in diesem Jahr ein experimenteller Veranstaltungsort: Der renommierte Kirchenmusiker Werner Zuber wird auf der Orgel improvisieren. (Foto: Arlet Ulfers)

Die Münchner Symphoniker und Dirigentin Alondra de la Parra verzücken ein anspruchsvolles Publikum anlässlich des 25. Festivals in der Kirche St. Josef mit einer spannenden künstlerischen Kombination: Johannes Brahms und Antonin Dvořák

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Brahmsens sogenannte Pastorale, die bilder- und farbenreiche Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73, war sicher eine sinnvolle Kombination zu Dvořáks beliebter Sinfonie Nr. 9 e-Moll "Aus der neuen Welt" op. 95. Letzterer Titel war hier bei den Tutzinger Brahmstagen in der Kirche St. Josef geradezu Programm, andererseits lagen nicht nur in der Naturauffassung Welten zwischen den beiden Werken. Zum 25. Jubiläum des Festivals die Münchner Symphoniker einzuladen, um sich auch mal den orchestralen Werken zu widmen, war eine glänzende und wie sich erweist publikumswirksame Idee der Programmmacher in Kooperation mit Loftmusic. Denn sie bringt nicht nur große Musikliteratur auf die Bühne, sondern auch die immer spannende Paarung der beiden Komponisten: Den zum Entstehungszeitpunkt des Werkes bereits berühmten Brahms und den von ihm protegierten und zunächst kaum bekannten Dvořák.

Der jüngere Böhme wäre ohne Brahms wohl nie in den USA mit der Entwicklung eines musikalischen Nationalstils beauftragt worden. Die den Prärieweiten huldigende Sinfonie "Aus der neuen Welt" voller indianischer Würde ist der beste Beweis für seinen Erfolg, wenn auch nicht ohne tschechisch-folkloristische Färbungen. Aber schließlich waren die USA von Anfang an ein Vielvölkerstaat mit nahezu weltweiten Wurzeln. Doch was begeisterte Brahms an der Musik Dvořáks? Bewunderte der Hamburger die folkloristisch-melodische Klarheit und transparente Ordnung des bodenständigen Böhmen? Das ist jedenfalls eine prägende Qualität der e-Moll-Symphonie, in der es dem mittlerweile gereiften Komponisten gelang, mit einfachsten Mitteln beeindruckende Wirkungen und vielfältige Stimmungen zu erzeugen.

Die Klarheit und Eindeutigkeit des Dirigats nahm das Orchester dankbar an

Besonders deutlich ausgeprägt mit der mexikanischen Dirigentin Alondra de la Parra, die über ein enormes Vokabular in der Körpersprache verfügt und für jede noch so feine Ausdrucksnuance stets eine adäquate Geste findet. Mal abgesehen von der tänzerischen Ästhetik ihres Dirigats: Diese Klarheit und Eindeutigkeit nahm das Orchester dankbar an und vermochte mühelos jede Bewegung treffsicher zu deuten. In einer so engen Verständigung kennt das Ausdrucksspektrum kaum Grenzen. Und de la Parra nutzte es üppig von geschmeidiger Melodik in zarten Pastelltönen bis zu gewaltigen Ausbrüchen, von getragen feierlicher Langsamkeit des Eingangs-Adagios bis zum wilden Ritt im Schlusssatz, von heiter tänzelnden Leichtigkeit bis zum triumphalen Feuerwerk mit scharfem Bläserblech. Dabei immer auch auf Kontrastwirkungen und überraschende Wendungen bedacht.

Anspruchsvolle Aufgabe: Beim Jubiläum der Tutzinger Brahmstage in der Tutzinger Kirche St.Joseph fand Dirigentin Alondra de la Parra für jede noch so feine Ausdrucksnuance stets eine adäquate Geste. (Foto: Arlet Ulfers)

Für Brahms bekam de la Parras Nuancenreichtum eine andere Aufgabe. Seine D-Dur-Symphonie ist auf Stimmungen, Farbigkeit und philosophisches Sinnieren angelegt. Seine Themen sind nicht minder schön, aber komplexer als bei Dvořák, wenig eingängig und immer von einer Ausdeutung abhängig, vor allem was Tektonik und Dramaturgie betrifft. Während de la Parra bei Dvořák treffend auf die Inszenierung solistisch vorgetragener Themen Akzente gesetzt und mit kammermusikalischer Klangbalance für berührende Passagen gesorgt hatte, war ihre Differenzierung bei Brahms stets für gesamtorchestrale Wirkungen bedacht. Eine vielschichtige Aufgabe, die nicht nur Brahmsens komplexe Persönlichkeit offenbarte, sondern auch auf die Andersartigkeit des Publikums verwies. Die New Yorker feierten Dvořák genauso überschwänglich wie die Wiener Brahms. Aber hätte ein Tausch dasselbe Ergebnis herbeigeführt? Wohl kaum auf Anhieb. Das geschulte Ohr der Wiener vermochte die pastoralen Naturschönheiten und die beschwingten Volkstänzchen aus dem vergleichsweise reicher polyphonen Orchestersatz leicht herauszufiltern. Die thematische Vordergründigkeit bei Dvořák hätte sie wohl eher irritiert und um ein wichtiges Hörvergnügen gebracht.

Die Münchner Symphoniker boten ein lustvolles und mitreißendes Musikerlebnis

Alondra de la Parra verstand es gut, den Entdeckerfreuden genügend Raum zu überlassen, wobei mehr Sorgfalt im Detail der ausführenden Musiker den Hörgenuss optimiert hätte. Dennoch boten die Münchner Symphoniker ein lustvolles und mitreißendes Musikerlebnis. Und das nicht nur in den blechgeschmetterten Höhepunkten, sondern gerade auch bei feinsten Zwischentönen und zartblühenden Passagen. Das Publikum zeigte mit seiner Euphorie, dass es die weiteren Orchesterkonzerte an den beiden nachfolgenden Sonntagen wohl auch besuchen will.

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