Vor elf Jahren sind sie erstmals in einer zum Abbruch vorgesehenen Villa in Herrsching in Erscheinung getreten. Nach dem Lockdown erreichte das Schaffen der "Künstler aus dem Einbauschrank" (DKADE) im vergangenen Juli seinen bisherigen Höhepunkt: Auf einem verlassenen Werksgelände in Herrsching präsentierten knapp 40 Künstler in mehr als 50 Räumen Malerei, Fotografie, Skulpturen, Objektkunst, Installationen, Streetart und Performances. Entsprechend der pandemiebedingten Bedingungen wurde der Titel "Kunst fährt auf Sicht" gewählt, was auch auch gut zur Spielstätte der Firma "Heine Optotechnik" passte.
Die frühere Betriebszentrale durften DKADE mit Freunden und Verbündeten vor dem Abriss noch einmal vier Tage lang mit buntem Leben erfüllen. Eingerahmt war die Pop-Up-Kunstmesse in ein Festival mit Live-Acts wie Konzerten, Tanzvorführungen, Lesungen, Poetry-Slams, Kabarett und Comedy sowie einem Kinderprogramm.
Tassilo 2023:Berührend. Begeisternd. Bereichernd
Die Süddeutsche Zeitung verleiht zum zwölften Mal den Tassilo-Kulturpreis, um Kulturschaffende in der Region rund um München für ihr Können und ihr Engagement auszuzeichnen. In den kommenden Wochen werden die Kandidatinnen und Kandidaten vorgestellt.
Spätestens seit 2019 ist die Künstlergruppe auch überregional bekannt. Auf Einladung von Kollegen aus dem Landsberger Landkreis wirkten sie maßgeblich bei "Kunst geht baden" mit. Wegen des anstehenden Umbaus des Greifenberger Warmbads konnten dort ein Hektar Freifläche und alle Räume von der Garderobe bis zum Heizkeller bespielt werden. Das Event zog 5000 Besucher an, wirkte weit über den Ammersee hinaus und war auch dem Deutschlandradio Kultur einen längeren Beitrag wert.
Mit ihren bislang zehn Projekten haben DKADE wesentlich zum Kulturleben im Landkreis Starnberg und der Ammerseeregion beigetragen. Dabei offenbaren ihre Pop-up-Events eine unverwechselbare Handschrift, auch wenn sie immer mehr Kunstschaffende mit einbeziehen. Die Zwischennutzungen werden stets thematisch am Objekt orientiert; soweit wie möglich, findet das vorgefundene Inventar in den Exponaten und Aktionen Verwendung. Die Werke sind so vielgestaltig und facettenreich wie die Personen, die dahinter stecken. Ungeachtet aller künstlerischer Qualität sind sie weniger für die kulturinteressierte Avantgarde gedacht, sondern sollen möglichst viele Besucher ansprechen: "Nahbar, niederschwellig und interdisziplinär" lautet die Devise, der DKADE mit einer gehörigen Portion Witz folgen.
Vor allem aber glänzen ihre Spektakel mit originellen Ideen und werden von spürbar viel Spaß an der Sache getragen. Das ist auch notwendig, denn die zum Teil monatelangen Vorbereitungen, der organisatorische und konstruktive Aufwand stehen in keinem Verhältnis zu dem finanziellen Ertrag, den der vereinzelte Verkauf von Kleinskulpturen, Drucken oder Postkarten abwirft.
Die Struktur der DKADE beschreiben die Künstler selbst als dreischalige Frucht. Den Kern bildet das Team aus Gesine Dorschner, Monika Roll, Nina Fritzsche, Dirk Eckert, Christof Jenauth, Felix Maizet und Enno Müller-Spaethe. Alle üben ihre künstlerische Tätigkeit nur im Nebenberuf aus und sind als Freiberufler meist in der Kulturwirtschaft tätig: als Kunstschlosser, Grafikerin, Illustrator, Designerin, Werbetexter oder Leiterin eines Tanzstudios. "Wir haben ja alle einen kreativen Beruf, fühlen uns aber auch in Sachzwänge eingeengt und können dabei nicht wirklich frei sein", sagt Dorschner. Wie sie genießt auch Eckert, an den eigenen Werken und DKADE-Aktionen "ohne Empathie dem Kunden gegenüber arbeiten zu dürfen".
Von den Mitbegründerinnen sind Cristina Blank, Steffi Kieffer und Stefanie Pietsch aus verschiedenen Gründen im Lauf der Jahre ausgeschieden. "Wir haben die Gruppe schon gut wieder aufgefüllt, die Zahl sieben passt zu uns", sagt Dorschner. Um dieses Siebengestirn rotiere "ein zweiter Kreis von Künstlern aus der Umgebung, auf die wir bei Aktionen zurückgreifen", erklärt Maizet. Die äußere Schale bestehe schließlich aus Kollegen, die je nach verfügbarem Raum beteiligt werden können. Und dann gibt es noch ungezählte Freunde und Verbündete, die bei den jeweiligen Pop-Up-Events bei der Organisation, dem Aufbau oder in der Gastronomie mithelfen.
Meist bleibt der persönliche Einsatz dennoch beträchtlich. Maizet etwa hatte für seine Installation "Last Exit Lampedusa" in Greifenberg 200 Schubkarren Sand zu einem Strand aufgeschüttet. Im Planschbecken des Warmbads dümpelten ein schlaffes Gummiboot, Dutzende Schwimmwesten und ein betagtes Motorboot. Immerhin das sei ihm von seiner Installation geblieben, mehr aber auch nicht, merkt Maizet süffisant auf die Frage nach dem monetären Gewinn an.
Abgesehen von der eigenen Arbeit, die bei weitem nicht nur aus kreativem Austoben besteht, sondern auch auf viel handwerklichem Schaffen, gehen die Künstler aus dem Einbauschrank beträchtliche finanzielle Risiken ein. Dies galt besonders für "Kunst auf Sicht": Wochenlang hatte man in Doppelschichten auf dem brachliegenden Firmenareal von Heine Optotechnik Wände eingerissen, Räume entrümpelt, gemalert und geputzt, aus altem Mobiliar wurden Bühne und Bar gezimmert. Doch wegen infektions- und feuerschutzrechtlicher Richtlinien blieb bis zum Vorabend die behördliche Genehmigung der Veranstaltung aus.
"Mittwoch um 18 Uhr kam das Fax, dass wir am Donnerstag um 11 anfangen können", erinnert sich Jenauth. Beim Gedanken, dass man andernfalls bereits verwendete Sponsorengelder wieder erstatten hätte müssen, schaudert ihm noch heute. "Aber es ist ja gut gegangen". Diesmal habe man dank öffentlicher und privater Spenden "dickere Bretter gebohrt", hatte Müller-Späthe zur Eröffnung gesagt. Auch wenn die Veranstaltung nun acht Monate zurückliegt, sind die Arbeiten auf dem Werksgelände immer noch nicht ganz abgeschlossen, erst vergangene Woche musste man dort noch einmal Müllsäcke umräumen.
Um rechtlich und organisatorisch abgesichert zu sein, haben DKADE eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet. Acht Jahre lang sei man ohne Rettungsschirm gesprungen, was ein beträchtliches Haftungsrisiko darstellte: "Bis dahin waren wir immer mit einem Bein im Gefängnis", sagt Jenauth. Allerdings habe man mit der Rechtsform "viel von der ursprünglichen Lockerheit eingebüßt. Wir sind noch nicht sicher, ob wir das immer so haben wollen," wendet Eckert ein. Vielleicht wolle man die Gruppe letztlich doch in einen Verein umwandeln, ergänzt Maizet.
Die Initialzündung habe man einem Besuch mit Roll und Blank der Stroke Art Fair auf der Münchener Praterinsel zu verdanken, erzählt Dorschner. Noch im gleichen Jahr wurde der Entschluss, ein ähnliches Konzept wie diese Messe für junge unkonventionelle Kunst zu verfolgen, in die Tat umgesetzt: Tatort war "eine richtige James Bond-Villa" an der Herrschinger Schönbichlerstraße, die man über einen befreundeten Immobilienmakler vorübergehend überlassen bekam. "Vollkommen illegal", erinnert sich Dorschner.
Und warum das alles? "Weil wir es können."
Weil es dort keine Wände zum Aufhängen von Bildern gab, musste man mit den Exponaten unter anderem ins Mobiliar ausweichen. Diesem Umstand verdankt das Künstlerkollektiv seinen Namen. Zum zehnjährigen Bestehen hat man sich offiziell das Kürzel DKADE zugelegt. Bis dahin hatten die "Gelegenheitskünstler" eine weitere Abbruchvilla, einen maroden Wohnblock in Söcking, das Treppenhaus im Berger Marstall, das Kaminzimmer im Herrschinger Kurparkschlösschen und ein ehemaliges Sportgeschäft in Pop-Up-Musentempel verwandelt.
Nach der Motivation befragt, sagt Jenauth: "Weil wir es können." Er ist der einzige unter den sieben, der nicht im Ort sondern in München lebt, sich aber "gefühlt schon immer als Herrschinger" betrachtet. "Gerade weil man die Dinge nicht verkaufen muss, macht es besonderen Spaß," findet er. Eckert, sein Kompagnon in der Zweier-"Ästheten-WG", freut sich über die Wertschätzung, die man in den "Vergnügungsparks" erfahre. Ein Grund dafür sei aber leider auch, "weil regional fast nichts mehr stattfindet". Allen sei der direkte Kontakt zum Publikum und unter den Protagonisten sehr wichtig, dadurch habe sich Eckerts Horizont beträchtlich erweitert.
Beim vorerst letzten Engagement wurde von vielen bedauert, dass die temporäre Ausstellung nur ein verlängertes Wochenende lief. Jenauth erinnert sich, er sei "danach voll im Eimer gewesen und in ein depressives Loch gefallen". Auch sein Compagnon in der "Ästheten-WG" findet, den Reiz dieser Pop-Up-Events mache eben auch ihre Einmaligkeit aus: "Wer dann nicht da war, hat es halt versäumt," sagt Eckert. Zudem sei auf dem Werksgelände ein "sehr großes Areal mit vielen Risken verbunden". Dorschner hingegen hätte eine Verlängerung des temporären Galeriebetriebs "schon wünschenswert" gefunden, was freilich nur mit einem angestellten Aufsichtsdienst praktikabel gewesen wäre. Nina Fritsche, die als Tänzerin den performativen Teil der Gruppe vertritt, meint: "Die Tage waren so intensiv, eine Fortführung an Wochenenden hätte ich nur mit Freunden leisten können."
Trotzdem hatten DKADE längst wieder neue Objekte für kreative Zwischennutzungen im Auge. Im Frühjahr 2020 wollte man eine leer stehende Villa in Wartaweil bespielen. Alles war schon hergerichtet, als der erste Lockdown zuschlug. Noch wurden diese Pläne nicht aufgeben, aber inzwischen habe sich der bauliche Zustand des Hauses deutlich verschlechtert, sagt Eckert. Jenauth träumt mittelfristig davon, die Herrschinger Finanzschule zu bespielen. Der monumentale, ,"denkmalgeschützte Nazibau" könnte frei werden, wenn die Ausbildungsstätte wie beabsichtigt bis 2030 nach Kronach verlagert wird. Außerdem würden in absehbarer Zeit zwei Krankenhäuser im Landkreis frei, ergänzt Maizet. Monika Roll würde sich auch mit einem offen gelassenen Campingplatz zufrieden geben, "Dann könnte jeder einen Wohnwagen bespielen". Man sieht: Das kreative Potenzial und die Spielfreudigkeit sind bei DKADE noch längst nicht ausgeschöpft.