SZ-Kulturpreis Tassilo:Der Kunstwerker

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Werkstatt und Zwischenlager im Keller des Museums Starnberger See sind für Benjamin Tillig auch Inspirationsquellen. Dort wird ihm klar, dass noch viele Aufgaben auf ihn warten. (Foto: Georgine Treybal)

"Es gibt noch viel zu tun", sagt Benjamin Tillig, der Leiter des Museums Starnberger See. Und er meint es auch so. Denn er will sein Haus zu einem "regionalen Leuchtturm" machen.

Von Sabine Bader, Starnberg

Das Entscheidende, was es über Benjamin Tillig, den Leiter des Museums Starnberger See, zu sagen gibt, klingt leider banal - ist es aber gar nicht: Der Mann hat Ideen! Denn das kann man nicht über jeden Museums-Chef sagen. Vor knapp vier Jahren hat der heute 41-Jährige das Haus in Starnberg übernommen; seither wird er nicht müde, den angehäuften Staub vieler Jahrzehnte wegzublasen. Gemeint ist das natürlich sinnbildlich. Er will das Museum, wie er es ausdrückt, "zu einem ganz lebendigen, regionalen Leuchtturm" machen. Sein Haus soll die Geschichte der Stadt spiegeln, aber auch als Impulsgeber fungieren.

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Tillig erstarrt nicht in Ehrfurcht, wenn er vom historischen Lochmannhaus spricht, dem früheren Heimatmuseum, das mit dem neuen Museumsgebäude verbunden ist. Er ehrt den historischen Bau dennoch ganz bewusst als bedeutendes Stück der Starnberger Stadtgeschichte und essentiellen Bestandteil des heutigen Museumskomplexes. Doch die dort ausgestellten historischen Kunstobjekte machen für ihn in einem modernen Museum hauptsächlich Sinn, wenn sie etwas zu erzählen haben, also in einem Kontext stehen, der einen zweiten Blick auf sie lohnt. Die Ausstellung "Schätze schauen" war dafür ein Beispiel: Man förderte gezielt Objekte aus den Tiefen der Museumsdepots zu Tage, viele von ihnen wurden noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt. Und jedes einzelne hatte eine eigene Geschichte zu entdecken, zu erforschen und zu erzählen.

Das Gästebuch des Museum ist erstaunlich international, aber auch die Starnberger sollen kommen

Das ist spannend. Doch für manchen Starnberger war es bisher klar gewesen, dass die Ausstellungsstücke im Lochmannhaus unverrückbar an ihrem festen Platz standen. Darum waren einige Ortskundige auch in ihrer Grundschulzeit zum ersten und bislang letzten Mal im örtlichen Museum. Tillig hat aber einen anderen Anspruch: Er will, dass sein Haus nicht nur für Touristen interessant ist ("unser Gästebuch ist erstaunlich international"), sondern auch für die Starnberger selbst. Er will die Bürger der Kreisstadt immer wieder neu zu einem Besuch animieren. In diesem Zusammenhang gilt für ihn auch: "Menschen wollen bewusst eingeladen werden." Das sei der Grund, warum das Museum regelmäßig Einladungsmails für Veranstaltungen und Projekte verschickt. Und das zieht, die Leute kommen.

Noch einen großen Vorteil hat eine Ausstellung wie "Schätze schauen" - zumindest aus Sicht der Rathausverwaltung: Sie kostet so gut wie kein Geld. Eine Tatsache, die angesichts der desolaten Haushaushaltslage der Stadt Starnberg wohl Bürgermeister und Stadträte insgeheim applaudieren lässt. Kultur für lau! Wo gibt's denn so etwas? Eigentlich sollte das kein vorrangiges Ziel einer Museumsleitung sein. Doch Tillig weiß: "Ja, es ist weniger Geld da als früher. Wir haben deshalb Unausweichlichkeiten und die sind super bitter." Konkret bedeutet das auch, dass die Öffnungszeiten des Museums heruntergefahren werden müssen.

Als Museumsleiter muss man auch mal eine Kröte schlucken: Das Kunstobjekt von Tom Schmelzer prangte im "Schaukasten 4". (Foto: Nila Thiel)

Und eben weil der Etat schwindet, muss Tillig besonders kreativ sein, was Low-Budget-Events angeht. In dieses Genre passt der "Schaukasten 4", eine Ausstellungsreihe in der letzten erhalten gebliebenen Vitrine, die um 1913 zur Erstausstattung des damaligen Heimatmuseums gehört hatte. Der Kasten hatte zuvor bloß immer im Weg gestanden, bis ihn sich der Museumschef kurzerhand gegriffen hat. Nun werden darin monatlich wechselnde Ausstellungen im Miniformat veranstaltet, zu denen ein Kuratoren-Team zeitgenössische Künstler einlädt. Der provokant gemeinte Titel "Gegenwartskunst im Heimatmuseum" sagt schon alles.

Tillig hat nichts gegen den Begriff Heimat. Im Gegenteil: Er betrachtet Heimat aus vielen Blickwinkeln. Und er setzt dabei auf Kunstobjekte, die sein Haus einzigartig machen - wie zum Beispiel den "Delphin", das einzige vollständig erhaltene Ruderboot aus der königlich-höfischen Flotte. Das Schiff aus dem Jahre 1838 ist das Glanzstück des Museums. Auf ihm lud der Leiter zu einer musikalischen Lesung mit dem Klangkünstler und Multiinstrumentalisten Rupert Bopp ein und entführte die Zuhörer so in die Zeit prunkvoller Feste auf dem Starnberger See; in Sagenwelten auf dem Wasser, die er mit Weltliteratur verwob.

Die Sammlung der Fotografenfamilie Wörsching ist von entscheidender Bedeutung für das Gedächtnis der Stadt. (Foto: Stadtarchiv Starnberg/Bestand Wörsching)

Noch mit einem weiteren Pfund kann das Museum wuchern: Es verfügt über eine illustrierte Stadtgeschichte. Wie niemand sonst hat die Fotografen-Familie Wörsching das Geschehen in Starnberg über Jahrzehnte begleitet und dokumentiert. Tillig hat zurecht vom "fotografischen Gedächtnis" der Stadt gesprochen und den Aufnahmen im vergangenen Mai eine Ausstellung mit mehr als 100 Bildern gewidmet. Insgesamt umfasst das Werk der Fotografen-Dynastie, das die Stadt 2010 erwarb, fast 4000 Einzelmotive auf 492 Glasplatten und 559 Negativen sowie zahllose Schwarz-Weiß-Fotos.

Der Museumsleiter wünscht sich mehr Wertschätzung für Kreativschaffende

Tillig ist in Leipzig geboren und aufgewachsen. Er hat dort und in Köln Malerei und Bildhauerei studiert; schon früh konzipierte und kuratierte er Ausstellungen, was ihm jetzt natürlich sehr zugute kommt. Seit Ende 2011 lebt er in der Münchner Region. Er wohnt mit seiner Frau und drei Kindern im Stadtteil Neuhausen und hat auch Familienangehörige in Ammerland am Starnberger See. Das Museum in Starnberg ist seine zweite Leitungsfunktion, zuvor hat er in Nordrhein-Westfalen das Geburtshaus von Wilhelm Busch geführt.

Generell - und vor allem in diesen Zeiten der knappen Kassen - wünscht er sich mehr wertschätzenden Umgang mit den Kreativschaffenden: "Kultur ist nicht mit Freizeiteinrichtungen wie einem Strandbad vergleichbar, sondern sie ist Basis unserer Gesellschaft." Ein Museum richte man also nicht ein und dann sei es fertig. Benjamin Tillig jedenfalls will das Konzept seines Hauses immer wieder neu erfinden.

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