Münchner Mindestlohn:Notmaßnahme oder Taschenspielertrick?

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Sicherheitsmitarbeiter in städtischem Auftrag dürften in München bald mehr Geld verdienen. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Lebenshaltungskosten in München und der Region sind enorm. Die Landeshauptstadt führt deshalb nun den Münchner Mindestlohn ein. Ist das Modell auch für das Umland denkbar? Die Meinungen darüber gehen auseinander.

Von Ella Adam, Linus Freymark und Madeleine Rieger, Starnberg

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Jahrzehntelang haben Gewerkschaften nach diesem Credo gehandelt, auch Heinrich Birner hat seine Arbeit danach ausgerichtet. Nun aber sagt Birner, Geschäftsführer im Verdi-Bezirk München und Region: Die Lebenshaltungskosten in und um die Landeshauptstadt seien so hoch, dass die bundesweit geltenden zwölf Euro Mindestlohn für das teure Leben in der Region nicht ausreichen. "Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen brauchen jeden Euro für ihren unmittelbaren Lebensunterhalt", erklärt Birner. Und deshalb ist er überzeugt davon: Das, was der Münchner Stadtrat am Mittwoch beschlossen hat, ist überfällig - und sollte auch als Modell für das Umland herhalten.

In München sollen städtische Beschäftigte in Zukunft mindestens 16 Euro pro Stunde erhalten. Zwar betrifft dies bislang nur acht Angestellte der Stadt München - allerdings geht der Vorstoß weit über diese Personengruppe hinaus: So soll der neue "Münchner Mindestlohn" in Zukunft auch eine Rolle bei der Ausschreibung städtischer Aufträge spielen: Reinigungs-, Sicherheits- oder Logistikunternehmen etwa würden ein öffentlich einsehbares Zertifikat erhalten und bei von der Stadt vergebenen Aufträgen bevorzugt behandelt werden - sofern sie ihren Mitarbeitern mindestens 16 Euro pro Stunde zahlen. Wer nicht mitmacht, muss sich laut Birner den Vorwurf gefallen lassen, ein "unsozialer Unternehmer" zu sein.

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Die Rathauskoalition will damit den von Birner ausgemachten hohen Lebenshaltungskosten in der Landeshauptstadt Rechnung tragen. Die höheren Personalkosten bei externen Firmen will die Stadt aber nicht aus eigener Tasche - sprich durch höhere Vergütungen an die beauftragten Unternehmen - finanzieren. Der Deal lautet: Für städtische Aufträge sowie das Zertifikat, das die Firmen als arbeitnehmerfreundlich ausweist und ihnen so nach den Vorstellungen im Rathaus beim Personalmangel in die Karten spielen soll, müssen die Unternehmen Gewinneinbußen hinnehmen.

Im Landkreis Starnberg bietet sich beim Blick auf den Wohnungsmarkt ein ähnliches Bild. Die Kreisstadt und die umliegenden Gemeinden zählen zur teuersten Region der Republik, auch hier herrscht im sogenannten Niedriglohnsektor großer Personalmangel. Ist der Münchner Mindestlohn also auch ein Modell für das Fünfseenland? Und welche Folgen könnte es für das Umland haben, wenn die Gehälter in der Großstadt steigen?

Heinrich Birner ist bei der Gewerkschaft Verdi als Geschäftsführer für München und Region auch für den Landkreis Starnberg zuständig. (Foto: oh)
Landrat Stefan Frey ist skeptisch, ob der Klageweg das erhoffte Ergebnis bringt. (Foto: Georgine Treybal)

Für Verdi-Mann Birner ist die Sache klar. "Ein Münchner Mindestlohn ist keine Luxusforderung", sagt er, "sondern eine Notmaßnahme, um Armut trotz Arbeit zu verhindern". Folglich müsse man diesen Schritt auch im gesamten Münchner Ballungsraum in Betracht ziehen. Bislang sei dahingehend allerdings noch nichts geplant.

Landrat Stefan Frey hält das Vorhaben in München für "glatt tarifvertragswidrig"

Kritisch blickt Starnbergs Landrat Stefan Frey (CSU) auf den Münchner Mindestlohn. Denn wenn in der Landeshauptstadt plötzlich höhere Löhne gezahlt werden, befürchtet er, dass viele Arbeitskräfte lieber dort arbeiten als im Umland. Im Landkreis Starnberg aber seien die finanziellen Ressourcen der Kommunen und auch mancher Unternehmen nicht ausreichend, um die mit den höheren Löhnen verbundenen Mehrkosten zu tragen. "Das führt zu einer Wettbewerbsverzerrung und ist letztlich nicht fair gegenüber dem Umland", sagt Frey.

Auch müssten rechtliche Fragen geklärt werden, der Starnberger Landrat hält das Vorhaben für "glatt tarifvertragswidrig". Denn wofür gebe es schließlich Tarifverträge, wenn diese dann mancherorts umgangen werden? Mit dieser Auffassung ist Frey nicht alleine. Auch Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstages, erklärt: "Einen höheren als den gesetzlichen Mindestlohn anzuwenden, das geht nicht."

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Der in der Landeshauptstadt eingeführte Mindestlohn dürfte jenen zugute kommen, die dringend mehr Geld brauchen. Das Modell sollte daher auch in der Region diskutiert werden. Das Kernproblem des gesamten Ballungsraumes lässt sich damit aber nicht lösen.

Kommentar von Linus Freymark

Auch mit dem kommunalen Vergaberecht könnte es Probleme geben, so Frey. Denn für Städte und Gemeinden gibt es strenge Vorgaben, wem sie bei kommunalen Aufträgen den Zuschlag erteilen dürfen. Die entscheidende Rolle spielt dabei meist der Preis: Der günstigste Anbieter gewinnt. Wie das mit dem Münchner Mindestlohn in Einklang gebracht werden soll, bei dem ja die Bezahlung der Beschäftigten ebenfalls eine gewichtige Rolle für die Vergabe spielen müsste, ist Frey nicht klar. "Ich halte das für einen Taschenspielertrick", erklärt der Starnberger Landrat deshalb.

Auch das Echo aus der Wirtschaft fällt verhalten aus. "Der Arbeitsmarkt ist auch im Landkreis Starnberg angespannt", sagt Annette von Nordeck, Leiterin der Wirtschaftsförderung bei der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung (GWT) Starnberg-Ammersee. Der Personalmangel sei enorm. Der Münchner Mindestlohn könnte zwar durchaus dazu führen, dass sich der ein oder andere nun eher in der Landeshauptstadt nach einem Job umschaut als in Starnberg oder Tutzing. Allerdings würden die Gehälter in den meisten Unternehmen im Landkreis bereits über dem bundesweiten und auch über dem Münchner Mindestlohn liegen, da man aufgrund des Personalmangels sonst kaum an Arbeitskräfte käme: "Das regeln Angebot und Nachfrage".

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