Kinder- und Jugendpornografie:Frühmorgens klingelt die Polizei

Lesezeit: 3 min

Eine Kriminaloberkommissarin sitzt vor einem Auswertungscomputer bei Ermittlungen gegen Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Polizei und Justiz kommen immer häufiger Tätern auf die Spur, die Missbrauchsbilder und Pornovideos mit Kindern auf ihren Computern speichern. Wie das gelingt und welche Rolle dabei Hinweise aus der Bevölkerung spielen.

Von Christian Deussing und Linus Freymark, Starnberg

Meistens klingelt es um 6 Uhr morgens an der Tür - und die Fahnder betreten die Wohnungen der Tatverdächtigen. Es handelt sich fast immer um Männer, die von dem Besuch oft völlig überrascht sind. Die Kripobeamten durchsuchen die Räume und beschlagnahmen Tablets, Handys und Computer mit externen Festplatten, um gespeicherte und verschlüsselte Dateien auszuwerten. Es geht um den Besitz von kinder- und jugendpornografischen Bildern und Videos, die teilweise tausendfach aus dem Internet und über Tauschbörsen auf externe Festplatten heruntergeladen und verbreitet werden.

Von dem Leid der sexuell missbrauchten Opfer profitieren skrupellose Geschäftemacher. Auch im Fünfseenland werden die Ermittler immer häufiger fündig - egal, ob bei Mechanikern oder Akademikern, ledigen Einzelgängern oder bei Familienvätern. "Für die Täter wird es jedenfalls unsicherer, nicht entdeckt zu werden", sagt Manfred Frei, Chef der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Selbst erfahrene Ermittler sind schockiert, was sie auf den Bildern und Videos zu sehen bekommen: sexuelle Gewalt, Geschlechts- und Oralverkehr mit wehrlosen Kindern, die mitunter gefesselt sind. Missbraucht werden sogar Säuglinge. Bei einer größeren Anzahl und besonders aufwendig verschlüsselten Datenträgern beauftragen Staatsanwaltschaften IT-Forensiker, die Dateien auszuwerten. Die Experten erläutern in Gutachten, zum Beispiel vor dem Schöffengericht in Starnberg, die entsetzlichen Fotos und Videodateien.

So hortete ein 57-jähriger Mann im westlichen Landkreis Starnberg über Jahre hinweg auf seinen Laptops mehr als 183 000 Fotos und 3846 Videos mit einer Spieldauer von fast zehn Tagen. Es handelt sich hier zwar überwiegend um sogenannte "Posings", also sexuell orientierte Körperhaltungen, aber fast 600 Dateien gehen weit darüber hinaus. Besonders gravierend ist auch der Fall eines 51-jährigen Angestellten, auf dessen Computern 16 119 Bilder und 444 Videos mit großer Anzahl von Taten sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen zu finden waren. Der geständige Angeklagte wurde zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe mit etlichen Auflagen verurteilt, darunter zu einer Therapie bei der Fachambulanz für Gewalt- und Sexualtäter in München. Die Straftaten seien eine Krankheit, die behandelt werden müsse, sagte der Verteidiger in dem Prozess, bei dem die Staatsanwältin aber in Berufung ging: Sie fordert für den Mann eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten.

SZ PlusKinder- und Jugendpornografie
:"Pädophilie heißt nicht gleich Missbrauch"

Für pädophile Menschen und Konsumenten von Kinderpornos gibt es verschiedene Therapieangebote. Wie kann man ihnen helfen? Ein Gespräch mit Sharon Schumann von der Fachambulanz für Gewalt- und Sexualstraftäter.

Interview von Linus Freymark

Die Zahl dieser Verfahren, bei denen auch Heranwachsende sich verantworten müssen, wächst am Amtsgericht Starnberg kontinuierlich. Das habe sicher auch mit der intensiveren Nutzung "sozialer Medien" zu tun, in denen entsprechende Bilder und Videos zunehmend verbreitet werden, wie der Starnberger Gerichtssprecher Franz von Hunoltstein erläutert. Zudem sei im Jahr 2021 eine Gesetzesverschärfung erfolgt, wonach es bei diesen Delikten nunmehr ausnahmslos um Verbrechen handele - also um Straftaten, die bei Erwachsenen mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden sind, so Hunoltstein. Allerdings erwägt der Gesetzgeber - worauf in Prozessen seitens der Anwälte oft hingewiesen wird - künftig geringere Strafen bei weniger gravierenden Fällen anzudrohen.

Pädophile Neigungen würden von den Angeklagten immer wieder verneint, wobei das bei der Verbreitung einzelner Dateien in den sozialen Netzwerken (insbesondere durch Jugendliche) auch durchaus zum Teil zutreffe, berichtet der Sprecher des Amtsgerichts, der zudem Richter ist. Erwachsene, die erhebliche Mengen entsprechender Dateien besitzen, räumten aber oftmals spätestens im Lauf der Hauptverhandlung pädophile Neigungen ein und erklärten sich therapiebereit.

Die 30-jährige Frau konnte sich vor dem Starnberger Amtsgericht nicht mehr an alles erinnern. (Foto: Arlet Ulfers)

Bei denjenigen, die allein wegen Besitzes oder Verbreitung derartiger Dateien angeklagt sind, habe sich bei Ermittlungen kein Tatverdacht dafür ergeben, dass diese Angeklagten auch selbst Kinder oder Jugendliche missbraucht hätten, erklärt Hunoltstein. Denn ansonsten würde die Anklage auch wegen der Missbrauchsdelikte erhoben, die regelmäßig vor dem Landgericht verhandelt würden.

Das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) verzeichnet einen Anstieg der Fälle von Kinderpornografie. Die Anzahl der Fälle, in denen wegen dieses Deliktes ermittelt wurde, ist in den vergangenen Jahren in die Höhe gegangen. Erfasste die Behörde im Jahr 2018 bayernweit noch 1034 Fälle, waren es im ersten Jahr der Corona-Pandemie 2020 bereits 2762. Zwei Jahre später hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt: 2022 erfasste das LKA gleich 6460 Fälle im Zusammenhang mit Paragraf 184b, der Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Inhalte unter Strafe stellt.

Da diese Vergehen nur schwer festzustellen sind, ist das LKA bei den Ermittlungen in diesem Kontext meist auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen. Den deutschen Behörden kommt dabei ein Gesetz aus den USA zugute: In den Vereinigten Staaten sind Internetdienstanbieter verpflichtet, Verdachtsfälle an Stellen wie das "National Center for Missing and Exploited Children" (NCMEC) zu melden. Auch aus Kanada gehen Hinweise von Meldeportalen ein. Handelt es sich dabei um Tatverdächtige aus Deutschland, ist zunächst das Bundeskriminalamt am Zug, das die Hinweise prüft und an die entsprechenden Landeskriminalämter weiterleitet.

Da nicht jeder Hinweis in einem Ermittlungsverfahren endet, ist deren Zahl noch einmal deutlich höher als jene der erfassten Fälle. Hier fällt der Anstieg noch deutlicher aus: Waren es im Jahr 2021 in etwa 3400 Hinweise, stieg die Zahl 2022 auf etwa 8700. Da diese Meldungen nicht zwingend stichhaltig sind, aber dennoch überprüft werden müssen, rüstet das Bayerische Landeskriminalamt auf, durch die Steigerungen seien "kontinuierliche Weiterentwicklungen der Geschäftsprozesse und der technischen Infrastruktur unabdingbar", teilt die Behörde mit. Zudem gibt es inzwischen eine Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, die in gravierenden Fällen die Anklagen erhebt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusProzess in München
:Freund soll Prostituierte erwürgt haben

Der Mann war offenbar mit dem Beruf seiner Lebensgefährtin nicht einverstanden, die Familie lebte aber von ihrem Geld. Vor dem Landgericht redet der Angeklagte nur auf Nachfragen - und sagt nichts.

Von Susi Wimmer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: