Bundestagswahl im Landkreis Starnberg:Große Runde, kleine Erkenntnisse

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Die Direktkandidatinnen Martina Neubauer (Grüne), Carmen Wegge (SPD) und Britta Hundesrügge (FDP) sowie Kandidat Michael Kießling (CSU) beten bei Fragen zu Klima, Kultur und Bildung weitgehend die Programme ihrer Parteien herunter.

Von David Costanzo, Starnberg

Ganz am Schluss blubbern die drei Kandidatinnen und der Kandidat dann doch noch ein paar Luftblasen. Warum das am 25. September keine "Egalwahl" sei, will der Moderator wissen und fordert zu durchaus plakativen Antworten auf. Der Bundestagsabgeordnete Michael Kießling (CSU) lässt sich das nicht zweimal sagen und haut raus, dass eine "Richtungswahl" über eine "bürgerliche oder linke Regierung" anstehe - und erntet manch ungläubigen Lacher aus dem Publikum. Carmen Wegge (SPD) macht in der "kompetenten Führung Deutschlands" das Alleinstellungsmerkmal ihrer Partei aus. Britta Hundesrügge (FDP) singt das Loblieb auf die "starke Stimme" des Liberalismus. Und Martina Neubauer (Grüne) nennt die Abstimmung eine "Klimawahl". Das Schlagwort wie aus dem Wahlkampfhandbuch hat sie zuvor schon mindestens drei Mal mehr oder minder subtil untergebracht, meist minder.

Davor war das erste Aufeinandertreffen der Direktkandidatinnen und -kandidaten der vier größeren Parteien aus dem Starnberger und Landsberger Bundestagswahlkreis eigentlich eine sehr vernünftige und von Argumenten getragene Runde - auch wenn alle im Kern brav die bekannten Programme ihrer Parteien herunterbeteten und selten Brücken in den Landkreis schlugen. Eingeladen hatte das Fünfseen-Filmfestival, um am Samstag im Starnberger Kino über Kultur, Bildung und Klima zu reden, wobei das letzte Thema dominierte, zeitlich wie substantiell. Moderator Alexander Eichberger, der die Initiative "unserklima.jetzt" gegründet hat und die Reihe "Kino & Klima" beim Filmfest leitet, hakte bei den Kandidatinnen und Kandidaten fundiert nach und brachte sie so ins Gespräch. Größere Kontroversen blieben bei der Debatte vor der Leinwand aber aus - das war mehr Familienfilm als Thriller.

Wegge und Neubauer verbündeten sich beim Tempolimit von 130 auf den Autobahnen gegen Kießling. Der CSU-Mann verwies dagegen auf gemeinsam mit der SPD beschlossene Schritte wie den Kohleausstieg spätestens im Jahr 2038. Deren Kandidatin Wegge hofft zwar auf ein früheres Datum, doch es steckten eine ganze Industrie und Arbeitsplätze dahinter. Die Grüne Neubauer forderte den Ausstieg dagegen schon 2030 ein - überhaupt sei vieles der bisherigen Regierungsparteien "zu wenig, zu unkonkret" oder schlicht "Lippenbekenntnis". FDP-Kandidatin Hundesrügge setzt auf den Markt und will den Handel mit Zertifikaten für den CO₂-Ausstoß ausweiten. Steigende Preise sollen Anreize für Klimafreundlichkeit setzen.

Einig waren sich alle, dass mehr Windräder nötig seien und dass sie die Menschen "mitnehmen" wollten, damit der Ausbau nicht ständig per Bürgerentscheid gestoppt werde. Wegge mahnte, dass für Bürgerbeteiligung in dieser Frage keine Zeit mehr sei, was Kießling ablehnte. Neubauer wollte die Menschen über Genossenschaftsmodelle einbinden und kleine Gemeinden bei der Planung unterstützen. Hundesrügge schlug vor, Windräder effizienter etwa auf hoher See zu bauen, deren Strom dann allerdings über große Trassen geleitet werden müsse, wofür wiederum die Akzeptanz der Menschen nötig sei. Dass zwischen Krailling und Gilching vier Windräder geplant sind und Überlegungen, wo der Ausbau im Landkreis weitergehen könnte, war den Kandidatinnen und Kandidaten keine Erwähnung wert.

Die etwa 50 Besucher spendeten zaghaft Applaus, meist aus den Reihen der jeweiligen Parteifreunde. Die Grüne Neubauer merkte einmal süffisant an, dass Schwarz und Rot in der Runde Versprechungen machten, die sie in der Regierung längst hätten umsetzen können, aber das war dann auch schon die Abteilung Attacke. Die 57-jährige Sozialpädagogin präsentierte sich als völlig gelassen - kein Wunder, nach fast drei Jahrzehnten Kommunalpolitik. Die Kreis- und Bezirksrätin hatte sich im Frühjahr während des Umfragen-Höhenflugs der Grünen Hoffnungen machen können, Kießling das Mandat abzujagen. Die Prognosen zumindest sehen das mittlerweile nicht mehr vor.

Der CSU-Abgeordnete war 2017 erstmals in den Bundestag gewählt worden. Davor war der 48-Jährige Bürgermeister von Denklingen. In diesem Wahlkampf hat der studierte Bauingenieur den Poetry-Slam entdeckt, einen literarischen Wettbewerb mit selbst verfassten Texten - schließlich müsse er ja wissen, sagte Kießling, womit sich seine Mitbewerberin Wegge beschäftige, die tatsächlich vor der Pandemie regelmäßig auf der Bühne stand.

Die 31-jährige Juristin zeigte sich als tapfere Genossin, die ein ums andere Mal gegen Konzerne wetterte, sich gegen Vermieter beinahe in Rage redete und bei allen Vorschlägen mahnte, dass diese sich auch alle Menschen leisten können müssten. Ähnlich wie die Neubauersche "Klimawahl" jubelte Wegge den Zuschauern mehrfach den Namen ihres Kanzlerkandidaten mehr oder minder subtil unter, meist minder - schließlich erweist Olaf Scholz sich gerade als Zugpferd in den Umfragen. Dank ihres Listenplatzes 20 rechnet sie sich gute Chancen auf den Bundestagseinzug auch ohne Direktmandat aus.

Hundesrügge versuchte sich zu profilieren und sprach am meisten über Persönliches. Ihre Garderobe etwa kaufe die 54-jährige Radio- und TV-Journalistin in Starnberg, sie bestelle nicht bei Internetriesen. Früher sei auf den Tisch gekommen, was die Großmutter aus dem Garten geholt habe. Ihre Kinder hätten keine Gläschen bekommen, sondern Selbstgekochtes von der Schwiegermutter. Ihren selbst errechneten CO₂-Fußabdruck gab sie mit bundesweit unterdurchschnittlichen 7,5 Tonnen als so niedrig an, dass Zweifel daran laut wurden. Martina Neubauer gestand ihren mit 10,5 Tonnen überdurchschnittlichen Wert - "was ich echt dramatisch finde".

Harmonie herrschte bei den anderen beiden Themen Kultur und Bildung - mal abgesehen von einem Disput zwischen Kießling und Festivalchef Matthias Helwig, der diesen Part moderierte, ob die Kultur im CSU-Programm nun auf Seite 170 von 200 oder doch auf der vorletzten Seite vorkomme. Alle hielten Kultur für lebensnotwendig, weil sie Raum für Begegnung und Diskurs eröffne. Alle forderten, dass sich die Lockdowns nicht in der erlebten Form wiederholen dürften. Helwig nutzte die Gelegenheit für kulturelle Lobbyarbeit - und wies darauf hin, dass im Kino viele Plätze wegen Corona freibleiben müssten, anders als in Flugzeugen. Manche Branchen fänden in Berlin leider kein Gehör.

© SZ vom 30.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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