Interview mit Starnbergs Bürgermeister:"Wir stehen vor ernsten Problemen"

Lesezeit: 11 min

Zieht eine erste Bilanz nach drei Jahren im Amt: Starnbergs Bürgermeister Patrick Janik. (Foto: Nila Thiel)

Jeder hat sein Päckchen zu tragen, lautet ein altes Sprichwort. Manchmal ist es aber auch ein ganzer Sack mit Päckchen, weiß Starnbergs Bürgermeister Patrick Janik: Ein Gespräch zur Halbzeit seiner Amtsperiode über Probleme der Vergangenheit und Herausforderungen der Zukunft.

Interview von Linus Freymark und Peter Haacke, Starnberg

Es war eine Überraschung, als Patrick Janik, 47, im März 2020 gleich im ersten Wahlgang als Herausforderer den Bürgermeisterposten in Starnberg eroberte. Seit drei Jahren ist der Gemeinschaftskandidat von CSU, UWG, SPD und BLS nun im Amt - drei Jahre, die zunächst von der Corona-Pandemie geprägt waren, aber auch in vielerlei anderer Hinsicht Probleme offenbarten wie Geldmangel und Personalnot. Am 1. Mai war für den Vater einer kleinen Tochter Halbzeit - Zeit für eine erste Bilanz: Ein Gespräch über ungelöste Probleme der Vergangenheit, den Stand der Gegenwart und die Herausforderungen der Zukunft.

SZ: Herr Janik, wir stellen uns das mal so vor: Der neue Bürgermeister tritt sein Amt an und bekommt vom Vorgänger einen Sack mit unerledigten Themen überreicht. Was haben Sie gefunden?

Patrick Janik: Im Sack war tatsächlich eine Menge drin - vieles, was mich nicht total unvorbereitet getroffen hat, aber auch Dinge, die mich überrascht haben. Sehr offensichtlich waren etwa die Bahnklage und das Einheimischenmodell am Wiesengrund. Womit ich nicht gerechnet hab': unsere Finanzprobleme. Der erste Satz unseres Kämmerers war die Frage, ob mir eigentlich klar ist, wie ernst unsere Situation in finanzieller Hinsicht ist. Aber auch Aha-Erlebnisse in anderer Hinsicht.

Wie meinen Sie das? Was ist in Starnberg falsch gelaufen in der Vergangenheit?

Frei von irgendwelchen Schuldzuweisungen hat in meinen Augen der Versuch gefehlt, mal einen Gesamtblick zu bekommen. Konkret am Beispiel von Bebauungsplänen: Ein Bürger hat den Wunsch, den Bebauungsplan ändern zu lassen. Der Ausschuss schaut sich das an, hat damit städtebaulich kein Problem. Dann sagt man dem Bürger: Na klar, machen wir! Dass das alles jeweils mindestens anderthalb bis zwei Jahre Verfahrenslauf nach sich zieht, ist aber eher ausgeblendet worden. Das ist eine Kultur, die wir schon länger entwickelt haben. Wenn wir morgen den Briefschlitz des Bauamtes zukleben würden, wären wir für zehn Jahre ausgelastet. Das ist knapp an der Grenze zur Handlungsunfähigkeit. Das ist ein Grundproblem, und da haben wir einfach in vielen Dingen schon länger die Augen zugemacht.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Wie empfinden Sie aktuell die Stimmung in der Stadt Starnberg?

Ich hab' das Gefühl: nicht schlecht. Ich empfinde es nach wie vor als Privileg, in dieser Stadt wohnen zu dürfen. Es ist ein hohes Maß an Grundzufriedenheit vorhanden. Den Leuten ist aber auch klar, dass wir vor ernsten Problemen stehen - unabhängig vom Offensichtlichen wie Bahnhof und Bahnverträge. Wir haben in vielen Kernaufgaben im laufenden Betrieb Defizite: Feuerwehr, Kinderbetreuung, Schulen, Instandhaltung der Liegenschaften. Ich halte es nicht für zielführend, solche Probleme klein zu reden oder zu versuchen, sie zu verstecken. Wir müssen uns einfach darüber klar werden, was wir auf dem Teller haben, um vernünftige Abwägungen und Entscheidungen treffen zu können.

Hofft auf vernünftige Entscheidungen für Starnberg: Patrick Janik. (Foto: Nila Thiel)

Damit kann man als Bürgermeister nicht unbedingt punkten. Ihre Vorgänger hatten da verheißungsvollere Aussichten.

Ich hatte ein sehr prägendes Erlebnis auf einem Seminar für Bürgermeisterkandidaten im Jahr 2019. Ein sehr altgedienter Bürgermeister hat da den schönen Satz gesagt: Das Einzige, was wirklich wichtig ist, ist authentisch zu sein. Der Wähler muss nicht der Klügste sein, aber selbst der Dümmste merkt, wenn du was sagst, was du nicht meinst - das ist einfach so, das merkt man. Wenn man eine ernste Situation hat, kann man nicht sagen: alles prima!

Viele Starnberger verspüren leichtes Unbehagen beim Blick in die Zukunft: Seeanbindung, B2-Tunnel, Moosaik, Museumsquartier, Bayerischer Hof, Wittelsbacherstraße - vor allem Großbaustellen werden das Gesicht der Stadt prägen.

Das ist ein Aspekt, der auch den einen oder anderen "Sackinhalt" erzeugt hat. Starnberg ist eine Kleinstadt und kein größeres Dorf mehr. Da müssen wir auch städtischer werden, um städtische Probleme zu lösen. Wir haben enormen Zuzugs- und Baudruck. Im Jahr 2022 hatten wir mit 450 Baugenehmigungen fast doppelt so viele wie in den Vorjahren.

Unter Zuzugs- und Baudruck: Das Starnberger Einheimischenmodell am Wiesengrund war von Beginn an von Widrigkeiten gekennzeichnet. (Foto: Georgine Treybal)

Die bauliche Verdichtung macht Starnberg nicht unbedingt attraktiver.

Da widerstreite ich schon der Prämisse der Fragestellung. Bei einer Diskussion der Stagenda kam die Frage auf nach der Identität von Starnberg: In baulicher Hinsicht haben wir halt keine, auch nie gehabt. Wir sind nicht Tegernsee. Wir hatten immer geldige Leut', aber nie eine klare Linie, weil wir viel zu schnell Stadt geworden sind. Das war kein organisches Wachstum. Hinzu kam eine sehr spezielle Klientel, die in der Lage war, nicht das Haus von der Stange zu kaufen, sondern das Bauwerk als Ausdruck der Persönlichkeit und des Zeitgeistes zu begreifen.

Gäbe es denn Alternativen?

Die haben wir nicht. Schäftlarn hat gesagt: Wir sind ausentwickelt und wollen nicht weiter wachsen. Das ist eine Wahl, die wir als Kreisstadt und Mittelzentrum nicht haben. Wenn wir dicht machen und keine neuen Gebiete ausweisen, wäre das Ergebnis, dass wir in zehn oder 15 Jahren überhaupt keine Einheimischen mehr hier haben: Wir hätten Benzin ins Feuer der Preisentwicklung gegossen.

Vor ungefähr zehn Jahren hat es den Beschluss gegeben, "Verdichtung vor Neuausweisung von Bauland" - mit der Konsequenz, dass das Stadtbild noch kleinteiliger und gedrängter erscheint.

Natürlich hat es Gesichtsveränderungen gegeben. Aber wir werden dem Wohnungsproblem nicht Herr, ohne dass man es im Straßenbild sieht. Wir können entscheiden, ob wir Starnberg, Söcking und Perchting zusammenwuchern lassen wollen oder versuchen, den Schwerpunkt in der Innenentwicklung zu setzen. Das heißt aber auch, dass ich mich an manchen Stellen mal mit einem Geschoss mehr anfreunden muss.

Seit mehr als 167 Jahren trennen Bahngleise und Bahnhof die Stadt Starnberg vom See. Die "Seeanbindung" könnte diesen Missstand beheben, doch das Vorhaben ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unbezahlbar. (Foto: Stadt Starnberg)

Der größte Handlungsbedarf besteht wohl bei der Seeanbindung. Sie haben ein Jahr herausgehandelt, in dem die Finanzierung stehen soll. Wie ist der aktuelle Stand? Wie realistisch sind die Chancen?

Zum aktuellen Stand möchte ich nicht viel sagen. Verhandlungen und Gespräche helfen, Bereitschaft und guten Willen zu erzeugen. Wenn ich die Leute dadurch unter Druck setze, dass ich alles veröffentliche, hat das zur Folge, dass sich niemand mehr in irgendeiner Form verbindlich äußern möchte - und das will ich nicht. Tatsächlich gibt es drei Szenarien, vor denen wir im Dezember stehen. Situation A: Wir haben es geschafft, haben die Zusagen und können reinen Gewissens sagen: Prima, wir verzichten auf das Rücktrittsrecht. Situation B: Wir wissen, dass wir die Mittel nicht haben und wissen mit einigermaßen metaphysischer Gewissheit, dass wir das in der Konstellation nie hinkriegen werden, weil wir definitive Absagen haben von Bund und Land zu der von uns angedachten Konstruktion. Dann üben wir das Rücktrittsrecht aus und dann gibt's die Klausel im Vertrag, dass wir uns mit der Bahn wieder zusammensetzen müssen, um zu schauen, ob wir anders zum Ziel kommen. Worst-Case-Szenario: Wir finden keine Lösung und wir führen den Prozess weiter die nächsten 20 Jahre. Das ist aber weder in unserem noch im Interesse der Bahn.

Der Seebahnhof ist keine Augenweide, aber auch schon geraume Zeit im Besitz der Stadt Starnberg. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das hieße, alles bleibt vorerst, wie es ist?

Ja, und wir müssten den Prozess mit der Bahn zu Ende führen. Der Punkt ist: Der Bahnhof ist einerseits unser Alltags- und andererseits ein politisches Problem, und letzteres stellt eine existenzielle Bedrohung der Stadt dar. Wir reden über 170 Millionen Euro. Das wäre - völlig losgelöst vom Zustand des Bahnhofs - eine Katastrophe. In der Wahrnehmung des Innenstadtbesuchers zählt die Barrierefreiheit und das Aussehen des Gesamtarrangements. Aber das, was uns zum Handeln verdammt, ist vor allem die Gefahr 170 Millionen zahlen zu müssen. Das begrenzt unseren Verhandlungsspielraum. Es ist vergleichsweise egal, ob ich 170 Millionen zwangsweise durch Urteile oder einvernehmlich durch Einigung zahle. Das können wir nicht eingehen. Wir haben verhandelt, und irgendwann gibt es einen Punkt, wo ich sagen muss, höher geht nicht.

Ein Prozess böte aber auch die Chance, dass nur hundert Millionen rauskommen. Oder auch gar nichts.

Da kann rauskommen, das es hundert Millionen sind oder null, aber eben auch 170 Millionen. Aber da wird es dann sehr juristisch, und es stellt sich abschließend auch noch die Frage, ob eine Gesellschaft des Bundes eine Kommune zu Tode vollstrecken darf, weil sie ein Urteil hat. Das halte ich im Lichte von Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz (Garantie der kommunalen Selbstverwaltung; Anm. d. Red.) zumindest für diskutabel. Da landen wir in letzter Instanz garantiert vorm Bundesverfassungsgericht. Aber da hat keiner Interesse daran.

Gibt es zu den Varianten A und B auch noch einen Plan C?

Eher ein Szenario: Plan C wäre, wir haben verhandelt und uns zwickt nur die Frist. Wir sind guten Mutes, kriegen positive Signale von überall, aber es reicht uns nicht die Zeit bis Dezember, um das Ganze verschnürt zu bekommen. Dann müssten wir auf die Bahn zugehen und die Frist zum Rücktrittsrecht entsprechend einvernehmlich verlängern. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir bei A oder C landen werden.

Barrierefrei ist anders: Wer sein Fahrrad im Zug mitnehmen möchte, muss es über Treppenaufgänge hinaufschleppen. (Foto: Nila Thiel)

Welches Interesse hat eigentlich die Bahn? Kann man den Bahnhof nicht so lassen, wie er seit mehr als 150 Jahren ist und einfach eine barrierefreie Station bauen? 180 Millionen Euro dafür, dass man den See besser sehen kann, sind schon happig.

Die Bahn ist auch nicht glücklich mit dem alten Bahnhof, hat hier technische Dinge zu tun und auch eine gesetzliche Verpflichtung, ihren Bahnhof barrierefrei zu machen. Die Stadt bekäme allerdings keine Grundstücke dazu, wir würden viel Potenzial verschenken. Selbst wenn Starnberg auf die städtebaulichen Veränderungen verzichten würde, geht es geschätzt immer noch um ein 120-Millionen-Projekt. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in den alten Fehler zurückfallen: Es ist unerheblich, was die Stadt Starnberg intern diskutiert, was sie am schönsten findet. Entscheidend ist: Unser Vertragspartner muss auch damit einverstanden sein.

Nicht wenige empfinden das Agieren der Starnberger FDP als Störfeuer. Sind die Bemühungen, Forderungen und Hintergrundgespräche der Liberalen hilfreich? Eine Forderung besteht etwa darin, alten wie neuen Bahnvertrag öffentlich zu machen. Wie stehen Sie dazu?

Da ist so wie Fische aus dem Eimer angeln - also 'ne Petition starten, nachdem ich eine Woche zuvor gesagt habe, wir möchten die Verträge veröffentlichen. Es ist in der Prüfung, wobei wir letztlich nicht beurteilen können, was ein Betriebsgeheimnis der Bahn ist. Und die Aktionen helfen definitiv nicht: Ich habe darum gebeten, dass Starnberg mit einer Stimme spricht und alles abgestimmt ist. Ich fand's schade, dass gleich der erste Aufschlag anders gelaufen ist. Aber mein Ärger bezieht sich hier eher auf Personen als auf Parteien.

Das Hotel Bayerischer Hof ist das prominenteste Beispiel historischer Bauten in Starnberg, die zusehends verfallen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Lassen Sie uns erneut in den Sack greifen: Das Thema "Bayerischer Hof" ist fast ebenso alt wie das Thema Seeanbindung und emotional aufgeladen. Wäre es nicht einfacher, das funktionslose Haus unter Denkmalschutz abzureißen und in seiner äußeren Erscheinung neu zu bauen?

Es ist nicht so, dass ich solche Stimmen nicht auch gehört hätte. Ich glaube, dass die Mehrheit der Starnberger emotional sehr daran hängt. Das Gebäude ist stadtbildprägend. Der Stadtrat hat ohnehin beschlossen, dass die äußere Gestalt so erhalten sein muss. Dazu, wie es weitergeht, haben wir die wesentlichen Pflöcke schon eingeschlagen.

Wie sieht der grobe Fahrplan dazu aus?

Wir haben den Wettbewerb so geplant, dass wir den Gewinner im September 2024 küren. Jetzt vor der Sommerpause beschließen wir die Ausschreibungsunterlagen, machen in diesem Jahr die Vorauswahl der Bewerber und wollen dann im Oktober mit dem eigentlichen Architekturwettbewerb starten.

Holen wir die nächsten Päckchen aus dem Sack: Feuerwehren?

Wir haben allgemein eine Krise des Ehrenamtes, und bei der Feuerwehr trifft sie uns essentiell - ein ungelöstes Problem, mit dem wir uns schon vor Jahren hätten intensiver beschäftigen müssen. Da holen uns die heutigen Zustände ein. Auf absehbare Zeit wird eine Lösung nur über das Ehrenamt, befürchte ich, vorbei sein. Der Schlüssel lautet: Hauptamtliche Unterstützung, um Ehrenamt weiter zu ermöglichen.

Die Feuerwehr hat es schwer: Allein mit ehrenamtlichen Rettern - hier beim Tag der offenen Tür in Starnberg 2019 - wird das Brandwesen in der Kreisstadt nicht zu bewerkstelligen sein. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Einheimischenmodell Wiesengrund?

Dieses Projekt ist mit dem falschen Fuß aufgestanden: Es hat unglaublich viel Zeit gefressen, viel Arbeit gemacht, einfach verkorkst. Ich bin froh darüber, dass die meisten Leute gebaut haben, ohne sich über den Bauablauf die Köpfe einzuschlagen. Politisch sinnvoller wäre es gewesen, mit dem Geschosswohnungsbau zu beginnen. Ich würde auch gerne schon das nächste Baulandmodell angehen, aber ich fang' nicht das nächste Projekt an, wenn ich offenkundig aus Kapazitätsgründen das letzte Projekt noch nicht ordentlich fertig gekriegt habe. Das macht einen zwar auch nicht populärer als Bürgermeister, aber so ist die Realität.

Der Zustand der Straßen . . .

. . . ist wirksamer als die Geschwindigkeitsüberwachung: Auch da haben wir viel von der Substanz gelebt, wie bei praktisch aller Infrastruktur. Tiefbau, Hochbau, auch die städtischen Gebäude sind nicht alle im Zustand, wie sie sein sollten - letztlich aus Geldgründen. Wir werden versuchen, es nachzuholen. Es wird aber auf absehbare Zeit Flickwerk bleiben. Natürlich ist das wenig, aber mehr können wir nicht leisten.

Vor der Entlasung kommt die Belastung: Der Bau des B2-Tunnels mit sämtlichen Nebeneffekten werden noch über Jahre spürbar sein für motorisierte Verkehrsteilnehmer. (Foto: Georgine Treybal)

Das nächste Packerl: "Verkehr".

Ein Riesenproblem in Starnberg - aber ein hausgemachtes, das ist nicht neu. Den Schlüssel dazu haben wir selbst in der Hand. Da muss man den Grünen einfach recht geben: Verkehrsprobleme löse ich nicht durch mehr Straßen und dadurch, es dem Autofahrer möglichst bequem machen zu wollen. Trotzdem müssen wir auch als Fakt akzeptieren, dass das Kfz aktuell für die Mehrheit der Starnberger das Verkehrsmittel der Wahl ist, wie jüngst eine Umfrage ergeben hat.

Was will die Stadt denn genau? Die Starnberger Gesellschaft scheint sich darüber nicht klar darüber zu sein. Ist es nicht Job des Bürgermeisters, da eine Vision zu entwickeln und zu sagen, wo wir hinwollen?

Im Moment wäre es meine Vision, dass wir insgesamt wieder so breit aufgestellt sind, dass wir uns Visionen leisten können. Es tut mir leid, dass ich das so offen sagen muss, aber wir müssen ein Stück weit den Kopf aus den Wolken kriegen. Wir haben genug Hausaufgaben. Es macht keinen Sinn, die nächste Vision für die Wohnzimmereinrichtung zu entwickeln und dabei auszublenden, dass das Dach undicht ist.

Neue Schilder, neue Regeln: Vorfahrt für Anlieger und Radfahrer - doch zu einer fahrradfreundlichen Stadt wird Starnberg wohl nie. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wie sehen Sie den Umbau Starnbergs zur fahrradfreundlichen Stadt?

Wir sind nicht Kopenhagen oder Stockholm, so dass mir der Glaube daran fehlt, dass Verkehrswende und Radverkehr irgendwas miteinander zu tun haben. Nicht falsch verstehen: Ich bin sehr dafür, dass wir die Radwege ordentlich ausbauen, allein schon aus den Interessen der nicht motorisierten Jugend. Aber von ein paar wenigen Aufrechten abgesehen fährt kaum einer zwischen November und April Fahrrad, und ich kann ein Verkehrssystem nicht auf eine Säule stützen, die nur sechs Monate im Jahr Tragkraft hat.

Kommen wir zu Ihrer Rolle: Sind Sie eher Gestalter oder Problemlöser?

Also im Moment fühle ich mich als Problemlöser, viel lieber wäre ich natürlich mehr Gestalter. Aber jetzt mal ehrlich: Mit dem ersten Lockdown im März 2020 war der Zug zumindest für die ersten Jahre abgefahren. Aber es ist nicht immer nur das Entlangdrücken zwischen Zwängen, die von außen vorgegeben werden. Du kannst schon viel bewirken in diesem Job, auch wenn du aus mannigfaltigen Gründen Ballast mit dir rumschleppst.

Ohne Angst vor der öffentlichen Meinung: Starnbergs Bürgermeister Patrick Janik (Foto: Nila Thiel)

Abgesehen mal vom Thema Seeanbindung und der unbestritten besseren Stimmung im Stadtrat: Was sind die drei Dinge, die Patrick Janik zur Halbzeit seiner Amtszeit besonders gut gemacht hat?

Der Bayerische Hof - auch wenn mir da energisch und forciert die Hand geführt wurde durch den baulichen Zustand der Immobilie. Das war zuvor eine zu heiße Kiste. Wir sind das Thema angegangen - ohne Angst vor der öffentlichen Meinung. Punkt 2: Die Feuerwehr, eine wahnsinnig sensible Geschichte - auch wenn wir noch weit von einer Lösung entfernt sind. Ich glaube, Teilen des Stadtrats wäre es recht gewesen, wenn man den Feuerwehrbedarfsplan allein aus Kostengründen in die Schublade gelegt hätten. Wir müssen aber die Tatsache realisieren und akzeptieren, dass wir da ein Problem haben. Die Politik und die Verwaltung ist insgesamt ehrlicher und damit berechenbarer geworden. Drittens: Mit der Einigung mit der Bahn und der weitgehend konsensfähigen technischen Lösung bin ich schon zufrieden, auch wenn ich noch nicht weiß, ob das alles Früchte trägt. Aber wir haben wenigstens den durch die Klage eingetretenen Stillstand aufgebrochen.

Bislang war nicht viel Zeit für Bürgermeister-Janik-Denkmäler. Derzeit könnte man den Eindruck gewinnen, Sie sind eher ein Verkünder der harten Realitäten. Einer, der sagt, was alles nicht geht.

Eine Wiederwahl kann man nicht kaufen, und man sollte kein Geld ausgeben, das man nicht hat: Wir müssen in dieser Stadt aufhören, kommunalpolitische Erfolge in laufenden Metern Gehweg zu messen. Ich glaube, das versteht die Bürgerschaft auch. Mein Ziel ist, die Stadt besser zu hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe. Wenn mir das insgesamt gelingt, ist mir das als Denkmal genug.

Die ersten drei Jahre sind schnell vergangen. Macht Ihnen der Job noch Spaß?

Das macht es! Auch wenn die Belastung ab und zu grenzwertig ist. Das Grundproblem war letztes Jahr das parallele Betreiben von acht Monate alter Tochter, Bürgermeisteramt und meine Mutter über Monate auf dem letzten Weg zu begleiten. Da war das "System Patrick" sozusagen im Dauerbetrieb jenseits der Kapazitätsgrenze. Das war schon hart, und gesundheitlich auch nicht ganz folgenlos.

Was sind die Hauptkritikpunkte an Bürgermeister Patrick Janik? Ihre Stellvertreterinnen Angelika Kammerl (CSU) und Christiane Falk (SPD) sind in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich präsenter.

Das ist ein Punkt der Prioritäten. Ich sehe meinen Aufgabenschwerpunkt aktuell einfach deutlich bei unseren nicht unerheblichen grundsätzlichen Problemlagen. Da kann ich einfach nicht auf jedem Termin präsent sein. Das tut mir leid im Einzelfall, aber ich mache das, was ich nach Wissen und Gewissen richtig und am besten für die Stadt halte. Wir haben einfach viel zu tun. Und so ungewöhnlich ist das auch nicht, dass ein Zweiter Bürgermeister so präsent ist. Nach sechs Jahren gibt es die Möglichkeit, mir ein Zeugnis auszustellen. Wichtig ist mir in erster Linie, dass ich morgens gut in den Spiegel schauen kann. Es wäre aber sicher schön, wenn es auch für eine Wiederwahl reicht.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGastronomie
:"Im Fett liegt der Geschmack"

Stéphane Reynaud betreibt in Paris mit dem "Oui Mon Général" eines der besten Bistros Frankreichs. Im Interview offenbart der erfolgreiche Gastronom das Geheimnis der französischen Küche.

Interview von Léonardo Kahn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: