Ehemalige Gärtnerei Demmel:Vom Werden und Vergehen

Lesezeit: 3 Min.

Teile eines gefällten Mammutbaums wurden fächerartig rekonstruiert. (Foto: Georgine Treybal)

Bei der dritten Runde des Seeshaupter Kunstprojekts "Wurzelspitzen" inszenieren sechs Künstler die Vergänglichkeit der Natur - anhand von Glastropfen, einer Brunnenhöhle und einem rekonstruierten Mammutbaum.

Von Reinhard Palmer, Seeshaupt

Kunst braucht Räume und Freiräume. Doch liegen die im Grunde schon seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht zwingend zwischen vier Wänden. Der öffentliche Raum und urbane sowie Industriebrachen sind für Künstler weit reizvoller, zumal wenn explizit für diese Orte quasi spielerisch neue Werke geschaffen werden sollen. Der spielende und spielerische Homo ludens steckt irgendwo in jedem Menschen, für kreatives Tun ist er gar von zentraler Bedeutung.

Während im städtischen Umfeld meist für Freiräume von offiziellen Stellen her gesorgt wird, bleibt der ländliche Raum dahingehend Entwicklungsland. Er ist auf Initiativen von Kunst- und Kulturvereinen angewiesen. Privates Engagement bleibt hingegen äußerst rar. Umso glücklicher kann sich Seeshaupt schätzen. Hier bespielt die Architektin Katharina Heider die quasi geerbte einstige Gärtnerei Demmel mit ihrem Ehemann, dem Bildhauer und Kurator Michael von Brentano mit aktueller Kunst. Unter dem Titel "Wurzelspitzen - ein offenes System" ist nun die Ausstellungsreihe für vier aufeinanderfolgende Wochenenden in die dritte Runde gegangen.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Wem die fernöstliche Philosophie vertraut ist wird in der Idee Parallelen zum japanischen Wabi-Sabi erkennen. Es geht um ein Konzept, das die Vergänglichkeit nach dem Werden und Entstehen als ein schönästhetisches Prinzip versteht. Darauf basiert der besondere Charme der 12 000 Quadratmeter großen Fläche der ehemaligen Gärtnerei, an die noch die gerasterte Grundstruktur mit Früh- und Hochbeeten, Treibhäusern und Anzuchtsflächen erinnert. Dass da im Freien eine Ausstellung stattfindet, ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, erobert sich doch gerade die Natur diesen Raum mit insektenfreundlichen Wildpflanzen zurück.

Es spricht aber auch für die Einfühlsamkeit der sechs eingeladenen Künstler, die sich zeitgemäß der Natur unterordnend mit ihren Arbeiten behutsam in den Wildwuchs wie in den ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens fügen. Nur im wohl einstigen Verkaufsraum am Eingang verraten bildnerische Arbeiten, zum Teil Vorarbeiten zu den Installationen im Freien, was im Rahmen von "Wurzelspitzen" da draußen der Entdeckung harrt. Es geht etwa um die archaische Erfahrung unbekannter Lebewesen, ums Honigwabenprinzip, um natürliche Strukturen und Prozesse, um Naturmythologie, Umweltschutz, Klimawandel. Also um eine Auseinandersetzung mit der Natur in wissenschaftlicher, zeitkritischer, kultureller und auch rein intuitiver Hinsicht.

Im Mittelpunkt steht die Verletzlichkeit der Natur

Manche Künstler nutzen die Weitläufigkeit, um ferne Beziehungen herzustellen. So etwa der Glaskünstler Thierry Boissel, der den Besucher mit einer Glasstele mit aufgetragenen Glastropfen begrüßt. Aus den diffusen, transparenten Flächen in den Farben gelb ("e"), rosa ("a"), und blau ("u") ergibt sich " eau", das französische Wort für "Wasser". Die Punkte korrespondieren mit ebensolchen Farbflächen am Glashaus im Hintergrund. Dessen Ersatz-Glasscheiben hatte Boissel bereits im März in zwei Reihen in die Beete gelegt, was das Pflanzenwachstum an den Stellen verhinderte und die Verletzlichkeit der Natur vor Augen führt.

"Treibhaus: Efekt II-EAU" nennt Thierry Boissel seine Glasstele mit fingierten Fingertropfen. (Foto: Georgine Treybal)
Einen Perspektivwechsel verschafft die Künstlerin Susanne Hanus den Besuchern. Von ihrem Hochsitz aus können diese mit dem Fernglas das Gelände erkunden... (Foto: Georgine Treybal)
...so auch blau umrahmte Wesen an einer Betonmauer... (Foto: Georgine Treybal)
...als auch mystische Figuren, die in die alte Glashauswand geritzt wurden - und unter anderem die Wandlung einer Baumfrau zeigen. (Foto: Georgine Treybal)

Den zentralen Blickfang der Ausstellung kreiert Susanne Hanus mit "Perspektivwechsel". Ein traditioneller Hochsitz, mit spitzen Dreiecksläden verschließbar, ist mit einem Fernglas für den allseitigen Weitblick ausgestattet. Dieser führt auch auf ihre bildnerischen Arbeiten an einer Betonmauer als auch auf "Lichtzeichnungen", also Ritzungen in blauer Fläche auf einer Glashauswand. Mit der Wandlung einer Baumfrau zeigt sie die mystische Verbindung mit der Natur. Überaus mystisch wirkt auch, was in der Tiefe eines Sickerschachts zu vernehmen ist. Eine amorphe und nasse urzeitliche Brunnenhöhle wurde daraus, deren Wände mit konsolenartigen Nestern übersät sind, in die ein unbekanntes Wesen sein unförmiges Gelege verteilt zu haben scheint. Fremdartige Geräusche dringen aus dem "Brutloch", wie Judith Egger ihre unterirdische Arbeit betitelt hat.

Unbedingt begehbar ist indes die Installation von Anna Schölß, die bemalte Bettlaken, Handtücher und andere Wäschestücke in ein Treibhaus gehängt hat, einerseits mit natürlichem Faltenwurf in windbewegtem Stoff, andererseits erstarrt in Acrylglas. Wind und Wetter setzt Schölß hingegen den allmählich verblassenden Schriftzug "Care" in reinem Pigment auf drei im Wind flatternden Laken an der Wäscheleine im Beet aus. Eine Aufforderung zum Naturschutz? Sogleich in den Wind geschlagen?

'Intervention', hat Achim Booth seine hängende Installation getauft. (Foto: Georgine Treybal)
Hier wiegen sich die Äste im Wind. (Foto: Georgine Treybal)

Mit organischem Material setzt sich Achim Booth auseinander. Er hat auf einer enormen Fläche einen einst die Gärtnerei zierenden Mammutbaum rekonstruiert, der gefällt wurde. Äste einer Korkenzieherweide, Schilf und vertrocknete Königskerzen hängen im Freien wie im dachlosen Gewächshaus als mobiles oder als geflochtene Gebilde, das sich im Wind wiegt. Die Äste sind teils in Silber getaucht oder mit darunter eingelassenen kleinen Wasserbecken mit künstlicher Vegetation oder Steinen korrespondierend. Christiane Fleissner hat sich ausschließlich mit natürlichen Strukturen befasst, einerseits im immer wieder anders erstarrenden Bienenwachs, mit dem sie auch Risse und Abnutzungen eines Gebäudes verfüllte, oder die sie auch in Gegenlichtaufnahmen offenbart. In durchscheinenden Glasfotos auf übereinander liegenden Scheiben widmete sie sich zudem ihrem zweiten thematischen Schwerpunkt: der Gletscherschmelze. Einer Vergänglichkeit, deren Schönheit eher zwiespältig ist.

Dass Heiders Mutter Gabriele Demmel mit ihrem "Gemüsegarten" in die Ausstellung integriert wurde, ist vielleicht augenzwinkernd geschehen, ergibt aber durchaus einen Sinn, zumal mit Beuys' Äußerung, jeder Mensch sei ein Künstler, im Hintergrund.

Bis einschließlich 9. Juli ist die Ausstellung samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Samstags um 15 Uhr gibt Kurator Michael von Brentano jeweils eine Führung. Der Eintritt ist frei.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: