Stammzellspende:Lucia lebt

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Lucia liebt Tiere, die 14 Jahre alte Mischlingshündin Aisha ist ihr eine treue Spielkameradin. (Foto: Nila Thiel)

Als Baby leidet das Mädchen aus Hechendorf an einer tödlichen Immunkrankheit. Ihr Arzt bittet ihre Familie noch, die Diagnose nicht zu googeln. Sie hat nur eine einzige Chance.

Von Carolin Fries, Seefeld

Wer Lucia fragt, was sie sich zu Weihnachten wünscht, bekommt die ganze Lebensfreude des blonden Mädchens entgegengeschleudert: Ein echtes Pferd wäre recht, ein Stall voller Meerschweinchen und Hasen, eine Uhr, das Spiel Ligretto und "gaaaanz viel von Bibi & Tina", also CDs und Puzzles. Die Familie der Siebenjährigen aus Hechendorf verfolgt die Auflistung mit einem seligen Lächeln. Für sie ist Lucia das größte Geschenk - dass sie überhaupt noch lebt.

Das Baby ist fünf Monate alt, als das Fieber einfach nicht sinken will und die junge Mutter Melanie keinen Rat mehr weiß. Im Starnberger Krankenhaus nimmt man dem Säugling Blut ab und schickt die Familie aufgrund der Ergebnisse unverzüglich weiter in die Haunersche Kinderklinik nach München. Lucia landet auf der Intensivstation, ihre Mutter erzählt von einem völlig apathischen Kind, angeschlossen an zig Schläuche und Apparate. Die Diagnose der Ärzte ist erschütternd: Lucia leidet an dem lebensbedrohlichen Immundefekt Hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH), bei der das Abwehrsystem des Körpers die eigenen Blutzellen angreift. "Der Arzt gab uns nur einen Tipp: Googeln sie das nicht", erzählt Lucias Großvater Klaus Kögel, 61. Stattdessen drückte er der Familie eine Broschüre in die Hand.

Dass sie als Baby schwer krank war, weiß Lucia nur von Erzählungen und Fotos. (Foto: Privat)

Gegoogelt haben sie die Krankheit dennoch. Mutter Melanie, 23, erinnert sich: "Ich dachte es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder müssen wir Lucia gleich gehen lassen, oder wir schaffen es, ihr Leben zu verlängern." Von einer Chance auf Heilung erfährt sie erst später. Von diesem Zeitpunkt an, sagt sie, habe sich alles geändert.

Der Zusammenhalt in der Familie Kögel ist schon immer groß. Als Melanie mit 16 Jahren schwanger wird, stärken die Eltern ihrer ältesten Tochter den Rücken - obwohl das Ehepaar mit drei pubertierenden Kindern und einem anstehenden Umzug von Wörthsee nach Seefeld gut ausgelastet ist. Sie gehen den Familienzuwachs pragmatisch an und unvoreingenommen. Das ungeborene Leben hat keinerlei Schuld. Dass sie Monate später um dieses Leben würden bangen müssen - damit konnte keiner rechnen.

Mit Opa Klaus, Mutter Melanie und Oma Gundi (von links) wohnt die Siebenjährige in einem Mehrgenerationenhaus in Hechendorf. (Foto: Nila Thiel)

"Man funktioniert dann einfach", erzählt Klaus Kögel rückblickend. Neben HLH hat Lucia auch das Chediak-Higashi-Syndrom, eine seltene Form des Albinismus, die Haut und Augen betrifft. Wenn sich der Marketingleiter heute die Bilder von Lucia im Krankenhausbettchen ansieht, dann kann er ein Stück weit wieder seine Hilflosigkeit spüren.

Lucias einzige Chance ist eine Stammzellspende. Hilfesuchend wenden sich die Kögels an die Aktion Knochenmarkspende (AKB) mit Sitz in Gauting. Die Stiftung ist eine von deutschlandweit 30 Stammzellspenderdateien und vermittelt todkranken Patienten potenzielle Lebensretter - vorausgesetzt, diese sind in den weltweit vernetzten Datenbanken zu finden. Für das Baby aus Hechendorf gibt es zunächst keinen passenden Spender, weshalb die Familie zusammen mit der AKB zwei Typisierungsaktionen organisiert. Am damaligen Arbeitsplatz von Klaus Kögel in München lassen sich etwa 600 Menschen ein bisschen Blut abnehmen, in Wörthsee sind es fast 800. Kögel ist überwältigt von der großen Anteilnahme. "Es ist mir ein Bedürfnis, ihnen allen zu sagen, dass Lucia es geschafft hat."

Allerdings kann auch bei den Typisierungsaktionen kein passender Spender gefunden werden. Jetzt bleiben nur noch die Zellen der Mutter. "Eigentlich ist die Übereinstimmung sehr gering, aber bei mir haben acht von zehn Merkmalen gepasst", erzählt Mutter Melanie. Im Klinikum Großhadern werden ihr die benötigten Zellen über eine Armvene abgenommen. Wenige Tage später, am 12. Dezember 2012 bekommt Lucia die lebensrettende Spende. Die Wochen vor der Transplantation erhält Lucia ihre zweite Chemotherapie, "sie war so schwach, hatte die Tage zuvor kaum getrunken", so die Mutter. Alles verläuft nach Plan, Ende Januar darf das Mädchen nach Hause. "Eine erste Erlösung", sagt Klaus Kögel. Lucias vierter Geburtstag ist die zweite Erlösung: Nun gilt sie als geheilt.

Lucia selbst weiß zwar, dass sie schwer krank war, hat daran aber keine Erinnerungen. Sie hält die Familie mit ihrer Energie auf Trab, "sie ist schon ein rechter Treibauf", sagt Kögel. "Ohne ihren starken Willen hätte sie es wohl nicht geschafft", sagt Melanie. Einen Monat nach Lucias Geburt hat sie ihren Quali gemacht, 2013 eine Lehre zur Fachkraft für Logistik begonnen. Die alleinerziehende Mutter lebt mit Lucia in einer Einliegerwohnung im Haus der Eltern und arbeitet Vollzeit. Lucia besucht im zweiten Jahr die Fünfseenschule, nachmittags ist sie im Hort. Der Alltag bestimmt das Leben der Familie. Doch die Dankbarkeit ist geblieben. Jedes Jahr zu Weihnachten besucht Klaus Kögel zusammen mit Lucia die Stiftung in Gauting.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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