Jeden Freitagmittag, vielleicht so gegen 11.30 Uhr, gibt es wahrscheinlich bei den meisten Kindern und Jugendlichen in der Schule einen Moment, von dem an sie gedanklich schon ins Wochenende abdriften- ins Freibad, zur Oma, auf irgendeine Party. Das Zuhören fällt schwerer. Was die Lehrerin danach noch erklärt, sollte sie am Montagmorgen besser nochmal erzählen. Außer, die Lehrerin heißt Karin Ganslmeier und das Klassenzimmer ist die Turnhalle des Christoph-Probst-Gymnasiums (CPG) in Gilching. Und was sie erklärt, ist nicht die neue Matheformel, sondern die Ankündigung, dass "am nächsten Donnerstagabend nach der Premiere wahrscheinlich auch die Fünftklässler erst recht spät ins Bett kommen". Hier könnte die Aufmerksamkeit der Zehn- bis 18-Jährigen, die ihr gegenübersitzen, nicht größer sein. "Oha, voll cool, ey...", raunt es durch die verschwitzten, barfüßigen Reihen.
Nicht nur die Bettgehzeiten der Kleinsten sind diese Woche am CPG in Gilching leicht abgeändert. Die ganze Schule schien schon die Woche zuvor auf die anstehende Premiere der rund 100 Kinder und Jugendlichen des Wahlfachs "Bewegungskunst" hinzufiebern: Eine AG, in der Schüler jeder Jahrgangsstufe am Freitagnachmittag in der Turnhalle zusammenkommen, um Akrobatik, Jonglieren und Tanz zu üben, um nach der "langen Schulwoche locker sportlich ins Wochenende über zu gleiten", sagt Ganslmaier.
In der Sporthalle werden Bühne und Sitzplätze für die mehr als 350 erwarteten Gäste aufgebaut, zudem ist für die Show ein Livestream im Internet geplant. "Bewegungskunst" hat sich längst auch außerhalb der Schule einen Namen gemacht: Die Süddeutsche Zeitung zeichnete sie 2019 beim Talentiade-Wettbewerb mit dem Schulsport-Sonderpreis "Klasse!" aus. Das Wahlfach rief Sportlehrerin Ganslmeier 1990 ins Leben, damals "mit zwei Handvoll Schülern". Das Repertoire der Bewegungskünstler hat sich seither stetig vergrößert: Am letzten Tag vor der Premiere turnen und jonglieren die Kids auf beachtlichem Niveau durch die Sporthalle. Thema für die Aufführung mit dem Namen "Favola" sind Märchen: eine Reise durch Grimms Fantasiewelten, durch die Geschichten um Aladin, Peter Pan und Mary Poppins. Außerdem steht eine zweite "Geheimaufführung" an, verrät die Alt-Abiturientin Ronja. Das Wahlfach lässt sie zwei Jahre nach Schulabschluss jeden Freitag ans CPG ins "Kreativteam" zurückkehren: "Die Show ,Memoria' ist ein Geschenk für unsere liebe Karin. Kommendes Jahr wird ihr letztes als ,Hasenmama' sein, wie wir sie nennen." Die "Hasenmama" geht im Sommer 2023 in Rente, die ihr schon seit zwei Jahren zusteht. Tobias Gall, 34 Jahre junger Mathe- und Sportlehrer am CPG, wird ihr Nachfolger. Ob er schon die Namen aller Kinder kenne? "Neee... das kann bis jetzt nur Karin!"
Die 10- und 11-jährigen Kiara, Natalie und Pauline sortieren nach "Kariiins" Ansage - hier in der Turnhalle sind alle per "Du" - die bunten Eintrittskärtchen. Die drei sind seit Anfang der fünften Klasse Bewegungskünstlerinnen - und wurden dabei enge Freundinnen. Sie finden das alles "super aufregend". Es sei schließlich wegen zweijähriger Coronapause ihre erste Aufführung. Ist es nicht anstrengend, Eingewöhnungszeit am Gymnasium und Bewegungskunst bei Karin unter einen Hut zu bekommen? "Es ist natürlich anstrengend, aber das hier ist quasi wie Freizeit: Freunde treffen und Sport machen!", findet Pauline. Kiara betont: "Ich mach fei auch noch Chinesisch als Wahlfach - das ist anstrengend!" Dann ziehen sich die Drei kichernd zurück.
Chinesisch und Jonglieren in der sechsten Klasse: "Unsere Kinder sind schon besonders hier, sie halten sehr engagiert durch. Aber wir finden für jeden einen Platz - auch für die Schüchternen, mit keiner Erfahrung", erzählt Ganslmeier. Am wichtigsten sei immer noch das Beisammensein: "Im Sport ziehen auch Jugendliche keine Grenzen mehr zwischen cool und uncool. Wenn man zu zehnt eine Menschenpyramide bildet, muss man wirklich zusammenhalten" - physisch und mental. Wenn die Menschenpyramide dann klappt, ist das Erfolgsgefühl groß, das Selbstbewusstsein ein bisschen besser und die Gruppengemeinschaft gestärkt.
Ganslmeier schafft es, dass bei ihr auch am Freitagnachmittag kaum eins der 100 Kids gedanklich schon im Wochenende ist. Alle sind voll da. Wie ihr das gelingt? Mit sichtbar großer Zuneigung zu den Schülern: "Ich traue Kindern gerne viel zu. Dann nehmen sie das Wahlfach ernst, das ich am liebsten einfach "unsere Familie" nenne, und stellen Unglaubliches auf die Beine."
Die "Fabula"-Aufführungen finden von Donnerstag, 14. Juli, bis Sonntag, 16. Juli, täglich um 19 Uhr 30 statt, am Samstag zudem um 14 Uhr. Erwachsene zahlen acht Euro Eintritt, Zuschauer mit ermäßigtem Ticket sowie Nutzer des Livestreams nur vier Euro. Die "Memoria"-Show läuft außerdem am Samstag, 23.Juli (19.30 Uhr), und Sonntag, 24. Juli (13 und 17 Uhr). Hier beträgt der Ticketpreis für Erwachsene acht Euro (ermäßigt fünf Euro), für den Livestream vier Euro. Für beide Shows können die Tickets entweder online über https://www.bewegungskuenste-cpg.de/?screen=auffuehrungen oder direkt am CPG bei den Schülern erworben werden.