Kunstprojekt:Wie der Pinguin uns den SUV ausreden soll

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"Die Pinguine retten die Welt": Sebastian Jung (vorne) mit Museumsleiter Benjamin Tillig in den Ausstellungsräumen des Museums Starnberger See. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Mit einer Ausstellung im Museum Starnberger See will Sebastian Jung auf den zerstörerischen Umgang des Menschen mit seiner Umwelt hinweisen.

Von Katja Sebald, Starnberg

Ist das nun ein Kunstprojekt oder eher ein Kinderparadies? Eine Dokumentation, eine Versuchsanordnung oder gleich eine ganze Denkwerkstatt? Die Ausstellung "Die Pinguine retten die Welt" im Museum Starnberger See eröffnet wird, ist nichts von alledem - und doch auch alles zugleich. Pinguine sind nur vordergründig die Protagonisten dieser Ausstellung, in der Sebastian Jung mit den Mitteln der Kunst das Verhältnis des Menschen zu einer Welt untersucht, die dieser sich untertan gemacht und in selbstzerstörerischer Weise verändert hat.

Jungs fulminante Pinguin-Show im Untergeschoss des Museums ist Teil des Projekts "Bio Bio SUV" der Nachwuchsgruppe "Flumen - Mentalitäten im Fluss" an der Universität Jena. Dieses Kunstprojekt beschäftigt sich mit Bioökonomie und gesellschaftlichen Mentalitäten. Jung realisierte für "Bio Bio SUV" im vergangenen Jahr zwei künstlerische Eingriffe im Botanischen Garten Jena und im Museum Starnberger See. Im Rahmen der Intervention "Die Pinguine am Starnberger See sind beinahe ausgestorben" ließ Jung aus hellblauen Dämmstoffplatten geschnittene Pinguine zwischen den historischen Exponaten der Dauerausstellung aufmarschieren, er plakatierte Pinguinbilder mit der Aufschrift "Rettet die Pinguine" an der Seepromenade und dokumentierte die Reaktionen von Museumsbesuchern und Passanten. Die damals entstandenen Fotografien, Videos, Collagen und Bildmontagen sind nun in das neue Ausstellungsprojekt eingeflossen.

Vergangenes Jahr war Jung mit seinen Pinguinen schon einmal im Starnberger Heimatmuseum. Im Rahmen einer künstlerischen Intervention kaperten die Figuren andere Exponate. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Neu hinzugekommen sind die Texte verschiedener Wissenschaftler, die das Thema Bioökonomie aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. So stellt etwa der Theologe Franz-Theo Gottwald die Frage: "Wie wäre es, wenn Leben als unverfügbar angesehen würde, also allen Lebewesen und Lebensräumen Würde, Eigenwerte und Freiheitsrechte zugesprochen würden?" Und der Forstwissenschaftler Alex Giurca fordert im Sinne einer nachhaltigen, kreislauforientierten Bioökonomie eine radikale Veränderung von Produktion und Konsum. Sebastian Jung aber, der gerade noch zur Rettung der Pinguine aufgefordert hat, stellt nun fest, dass die Pinguine selbst die Rettung der Welt übernommen haben. Im Begleittext zur Ausstellung heißt es dazu: "Wie verlockend ist die Aussicht auf Rettung in einer Zeit, in der die Welt von Krise zu Krise zu treiben scheint. Wie angenehm, nicht wieder einmal zur Rettung aufgerufen zu sein, sondern selbst gerettet zu werden. Mögen sich die Menschen ruhig zwischen Anspannung und Verzweiflung verlieren, die Pinguine bewahren die Haltung. Mit unerschütterlicher Ruhe stehen sie einer zerrissenen und nervösen Menschheit gegenüber."

Jung zeichnet an den Kulminationspunkten einer auseinanderfallenden Gesellschaft - so etwa auch am Rande des NSU-Prozesses

Für Museumsleiter Benjamin Tillig ist Sebastian Jung der "vielleicht präziseste Chronist unserer Zeit". Bekannt geworden ist der 1987 in Jena geborene Künstler durch seine Serien von Bleistiftzeichnungen, die er an den Kulminationspunkten einer auseinanderfallenden Gesellschaft anfertigt: Dazu gehören die Aufmärsche von Querdenkern und Neonazis ebenso wie der Münchner NSU-Prozess, ein Einkaufszentrum am Stadtrand ebenso wie eine Erotikmesse, das Oktoberfest in München ebenso wie das Pinguinbecken im Zoo von Halle. Jung zeichnet direkt vor Ort, mit einem herkömmlichen Bleistift auf einem Block im Format DIN-A5, ganz ohne zeichnerische Finesse. Seine Technik besteht darin, dass er keine Technik hat. Sein Strich ist ebenso unbeholfen wie prägnant, für ein Blatt braucht er im Schnitt drei Minuten. So entsteht Szene um Szene, die er zu großen Tableaus aneinander reiht, auch beklemmende Situationen werden fast trickfilmartig verdichtet. Seine Zeichnungen waren unter anderem im Münchener Stadtmuseum und im NS-Dokumentationszentrum in München zu sehen. Im Strafjustizzentrum des Oberlandesgerichts München ist dauerhaft ein Relief installiert, das sich auf den dort geführten NSU-Prozess bezieht.

Jungs Strichzeichnungen sind ebenso unbeholfen wie prägnant. Für ein Blatt braucht er im Schnitt drei Minuten. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

So leicht und niedrigschwellig die Ausstellung mit den freundlich-blauen Pinguinfiguren mitten im Raum, den Plakaten und Collagen rundum, der vor einer schwarzen Wand präsentierten starkfarbigen Bildserie in Aquarell auf Leinwand und dem knallroten Raum mit den lustigen hölzernen SUV auf den ersten Blick erscheinen mag, so spannend ist sie doch auch in formaler Hinsicht: Sebastian Jung hinterfragt mit seinen technisch oft "unzulänglichen" Arbeiten nicht nur den Kontext von Bild und Abbild, sondern mit der Wiederverwertung von bereits in anderen Zusammenhängen gezeigten Elementen auch den künstlerischen Prozess an sich.

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