Naherholung am Ammersee:Strandbäder als Sicherheitsrisiko

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Das Strandbad ist zentraler Treffpunkt in Utting, der Sprungturm gilt längst als Wahrzeichen des Dorfs. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Gemeinden am Ammersee fürchten Prozesse nach Unfällen. Utting kämpft darum, den Zugang zum Wasser jederzeit zu erhalten.

Von Armin Greune, Utting

Was am Starnberger See offenbar noch kein Thema ist, versetzt die Ammersee-Gemeinden in große Unruhe. In Dießen hat vor sechs Wochen ein Anwalt den Gemeinderat vor der Gefahr einer strafrechtlichen Haftung gewarnt, wenn Personen bei einem Unfall in kommunalen Strandbädern außerhalb der Öffnungszeiten zu Schaden kämen. Daraufhin wurde beschlossen, die Bäder St. Alban und Riederau über Nacht und außerhalb der Saison sicher zu versperren. 300 Dießener Familien wurden die Schlüssel entzogen, mit denen sie zuvor jederzeit in die Strandbäder gelangen konnten, was viel Protest hervorrief. In Utting aber will man sich dem Diktat der Versicherungsjuristen nicht beugen: Der Gemeinderat entschied am Donnerstag, erst ein Gutachten einzuholen um das Haftungsrisiko der Gemeinde einzuschätzen.

Wenn es etwas gibt, das fast allen Uttingern heilig ist, dann ist es das Strandbad. Der Sprungturm ist Symbol des Orts, wenn nicht vom ganzen Ammersee geworden; als zentraler Sozialisationsort ist das denkmalgeschützte Bad in der Biografie vieler Bürger tief verankert. Als nun wie zuvor in Dießen Bedenken zur Haftung der Gemeinde außerhalb des beaufsichtigten Badebetriebs auftauchten, versetzte die Drohung, dass man das Bad nachts und den Winter über für die Öffentlichkeit sperren müsste, das Dorf in helle Aufregung. Auch Bürgermeister Josef Lutzenberger (Grün-alternative Liste) bezeichnete diese Konsequenz am Donnerstag als "absoluten Tiefschlag für den Charme und die Lebensqualität in Utting". Nächtliches Public Viewing im Biergarten des Bads, Sonnenbaden in der kühlen Jahreszeit auf den Planken vor den Umkleidekabinen gingen verloren. CSU-Gemeinderat Karl Sauter hatte in den beiden Oktobersitzungen auf das Haftungsrisiko für Gemeinderat und Rathauschef hingewiesen, nachdem er die Berichte über die Diskussion in Dießen verfolgt hatte. Daraufhin holte Lutzenberger den Rat der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen und des Bundesfachverbands Öffentliche Bäder ein: Beide Vereine stellen in Merkblättern klar, dass auch in einem Naturbad "die Baulichkeiten dem Zugriff der Badenden zu entziehen sind", wenn kein beaufsichtigter Betrieb mit Aufsicht stattfindet. Ein Bäder-experte der Versicherungskammer fand: Nur wenn unter normalen Umständen der Zugang zum See nicht möglich ist, sei davon auszugehen, dass weder Betreiber noch Gemeinde haften. "Es wird dringend geraten, den Zugang vom Biergarten täglich nach Ende des Betriebs zu versperren", fasste der Bürgermeister zusammen.

Dies sei ein "Beispiel für die alte Weisheit: Wer viel fragt, kriegt viel Antwort", meinte allerdings Peter Noll; dies gelte besonders für Juristen, die im Auftrag von Versicherungen arbeiten. Die Meinung des Grün-Alternativen-Fraktionschefs kann nicht als Urteil gelten, hat aber doch einiges Gewicht: Noll hat als Vorsitzender Strafrichter am Landgericht München I bundesweit im Rampenlicht gestanden, weil er etwa im Kirch-Prozess und im Siemens-Korruptionsskandal Recht gesprochen hat. Inzwischen ist er Vorsitzender des ersten Strafsenats am Oberlandesgericht München zu See. Auf Nachfrage hätten seine Kollegen dort strafrechtliche Konsequenzen für die Kommune "spontan für absurd" erklärt, berichtete Noll: Im Strafrecht gebe es ein "erlaubtes Risiko", das bei Fahrlässigkeiten wie etwa im Autoverkehr greife. Noll beantragte, beim Münchener Strafrechtsexperten Werner Leitner unter Berücksichtigung des in der Verfassung gesicherten Grundrechts auf Naturgenuss und -erholung ein Gutachten darüber einzuholen, wo und wie beim kommunalen Bäderbetrieb die Grenze zu einem Strafrisiko zu ziehen ist. Bis dahin soll das Tor zum Biergarten nur mit einem Riegel versehen werden, der außerhalb der Reichweite von Kleinkindern ist.

Alle Gemeinderäte stimmten erleichtert zu. Wer sich erinnert, welchen Aufruhr die Markise des Strandbadpächters vor zwei Jahren auslöste, ahnt, welchen Anfeindungen Uttings CSU nun ausgesetzt war. So stellten Sauter wie auch die Fraktionschefin Margit Gottschalk klar, keiner wolle die Uttinger aussperren, doch es müsse für alle Seiten Rechtssicherheit bestehen.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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