Starnberger See:Im eigenen Auto über den See

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Erich Schöftlmair aus Degerndorf hat seinen Kleinwagen selbst zu einem Wasserfahrzeug umgebaut. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Erich Schöftlmair hat seinen Wagen zum Wasserfahrzeug umgebaut und es gleich mit mehreren Antrieben ausgestattet. Das brachte einige Verpflichtungen mit sich.

Von Sabine Bader, Münsing

Ganz vorsichtig, fast zärtlich, streicht Erich Schöftlmair mit den schrundigen Fingern über seine "Victoria" - sein in die Jahre gekommenes Mädchen. Sie ist sein Werk. Er hat sie geschaffen - mit seinen Händen und seinem Geist. Der 89-Jährige ist kein Konstrukteur und Studienabsolvent, sondern ein Maurer, der sein Berufsleben auf dem Bau verbrachte und später bis zum Bauleiter aufstieg.

1958 hatte er sich eine nagelneue Victoria geleistet. Wie bitte? Geleistet? Die "Victoria", das war ein Kleinwagen der gleichnamigen Werke in Nürnberg, Baujahr 1957. Und kostete laut Schöftlmair an die 3500 Mark - damals viel Geld. Die Firma gibt es längst nicht mehr. Das Besondere an diesem Fahrzeug aber war: Die Karosserie war komplett aus Kunststoff.

Der Erbauer präsentiert die Unterseite samt Schiffsschraube vor seinem Haus. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Als das Auto noch Reifen hatte und einen Motor, mit dem sie auf der Straße fuhren, posiert Schöftlmaiers Frau Hedwig auf der Kühlerhaube. Das war in den 1960er Jahren. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Mit seinem Freund Georg Würf schipperte Erich Schöftlmaier (re.) im Sommer gerne über den See. Das Foto entstand 2003. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Aus seinem kleinen, schnittigen Cabriolet ein Schiff für den nahen See zu konstruieren, diese Idee nahm Schöftlmair 1967 völlig gefangen. Damals kaufte er sich ein größeres Auto, weil er bereits drei Kinder hatte. Gleichzeitig bastelte er an seinem Eigenbau weiter. Was seine Überlegung zum Schiffsbau besonders beflügelte: Sein bisheriges Auto, die Victoria, hatte zwei getrennte Rumpfschalen. Die Stellen in der unteren Hälfte, in der sich die Aussparungen für Achsen und Räder befunden hatten, dichtete er fein säuberlich mit Polyester ab.

Schöftlmair stammt aus einer kleinen Landwirtschaft und lebt schon seit er denken kann im Münsinger Ortsteil Degerndorf unweit des Sees. An Stelle des elterlichen Hofs stehen heute auf dem Grundstück die beiden Häuser von seinem Bruder und ihm. Seine Frau Hedwig ist 1994 gestorben. Von da an musste er für seine Bootsausflüge meist auf Freunde zurückgreifen.

Bevor er stolzer Schiffseigner wurde, hat sich Schöftlmair ab und zu mal einen schwimmenden Untersatz gemietet - meist ein Tretboot. Also war für ihn naheliegend, seinen früheren Wagen mit einem Tretbootantrieb auszustatten. Wer damit vorankommen wollte, musste kräftig strampeln - und kam doch nur gemächlich vom Fleck.

Aus der Entscheidung für einen Motor resultierte ein ganzer Rattenschwanz von Pflichten

Den Motor des früheren Wagens brauchte er natürlich nicht mehr. Also raus damit. Ihn ersetzten zwei Fahrrad-Tretlager samt Pedalen. Über Ketten wurden "archimedische Schrauben" am Heck angetrieben, landläufig auch Schneckenpumpe genannt. Andernorts dienen sie als Förder- beziehungsweise Wasserhebeanlage. Diese Konstruktion macht das Fahrzeug seetauglich. Schöftlmair nennt seinen Antrieb schlicht "Tretbootgas". Doch nach ein paar Jahren, als seine Füße schlechter wurden und er eine Kniegelenk-Operation hatte, wurde ihm das Fahren mit dem Tretboot zu mühsam.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Er dachte über einen anderen Antrieb nach. Die Lösung war ein Elektromotor, auch Flautenschieber genannt. Er hat 700 Watt, das entspricht einem PS. Sein Boot braust damit natürlich nicht etwa über den See. Es kommt nur in Schrittgeschwindigkeit voran. Aus der Entscheidung für einen Motor resultierte aber ein ganzer Rattenschwanz von Pflichten. Alle zwei Jahre musste er zunächst zum TÜV und sich für seinen Motor eine frische Plakette holen. Erst dann ließ das Landratsamt Starnberg das motorisierte Wasserfahrzeug zu. Denn zu den zulassungspflichtigen Schiffen gehören neben Motorbooten auch solche mit Elektro-Motoren, Flautenschieber, Boote, die länger sind als 9,20 Meter, oder über eine Kochgelegenheit oder Toilette verfügen.

Obwohl an die Ufer des Starnberger Sees drei Landkreise angrenzen - Starnberg, Bad Tölz-Wolfratshausen und Weilheim-Schongau - obliegt die Zulassung von Wasserfahrzeugen ausschließlich dem Landratsamt Starnberg. Den Motorantrieb mit frischem TÜV spart Schöftlmair sich seit fast zwei Jahren und bewundert sein "Bootsauto" derzeit nur noch in der Garage. Früher hat er es noch liebevoll "Victoria" genannt. Aus Freude am Tüfteln habe er sie zum Wasserfahrzeug umgerüstet, erzählt er. Fast jedes Jahr war er mit seiner Victoria mindestens ein Mal auf der Roseninsel. "Das war immer mein Schönstes." Auch vor Tutzing oder bis zum Undosa nach Starnberg sei er gerne herumgeschippert.

Bislang sei alles an seinem Wasserfahrzeug noch fest eingebaut, auch der Pedalantrieb. Schöftlmair könnte also sofort starten. "Wenn meine Füße besser werden, dann tue ich das natürlich wieder."

Im Laufe der Jahrhunderte gondelten die spektakulärsten Wassergefährte über den Starnberger See. Paradebeispiel war Mitte des 15. Jahrhunderts der Bucentaur, das Flaggschiff der höfischen Schifffahrt. 29 Meter lang und 8,4 Meter breit, wurde es von 64 Ruderern fortbewegt. Mitte des 19. Jahrhunderts unternahm der bayerische U-Boot-Konstrukteur Wilhelm Bauer von einem Floß am Ostufer aus Schießversuche unter Wasser. Auch ein erstes U-Boot-Modell für den Film "Das Boot" nach dem gleichnamigen Roman des Feldafingers Lothar Günther Buchheim wurde auf dem Starnberger See getestet. Es war etwa 13 Meter lang, wog um die 2,5 Tonnen und fuhr ferngesteuert. Und der Chef der Bootswerft Rambeck, Anton Dreher, amüsiert sich über einen unermüdlichen Wassersportler, dessen Gefährt aussieht wie ein Roller. Es hat eine Deichsel und unten zwei Tragflügel. Mit der Deichsel pumpt sich der Mann per Muskelkraft voran, um nach zehn bis 20 Metern wieder ins Wasser zu plumpsen. Und dann ist da ja noch Erich Schöftlmair mit seinem skurrilen selbstgebauten Wasserfahrzeug.

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