"Tam Tam" in der Freien Kunstanstalt:Varieté der Subkultur

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Tam-Tam-Initiator Matthias Stadler und Vanessa Hafenbrädl vom Verein "Freie Kunstanstalt Dießen" haben unter dem Decknamen "Fotointervention" einen einzigartigen Kulturabend organisiert. (Foto: Arlet Ulfers)

Der Münchner Netzwerker und Künstler Matthias Stadler stellt in der ehemaligen Schreinerei in Dießen ein facettenreiches Event mit Kunstschaffenden vom Ammersee auf die Beine.

Von Armin Greune, Dießen

Nein, weder um seine Person noch um seine Werke macht Matthias Stadler viel Tamtam. Der Begriff, mit dem er die Münchner Subkultur maßgeblich geprägt hat, ist an diesem Abend nur auf einer seiner Fotografien zu sehen, die eine grünstichige Toilettenansicht wiedergibt. Die Bilder des 38-jährigen Veranstalters, Kommunikationswissenschaftlers und Künstlers erscheinen in der Halle der vormaligen Schreinerei Graf auf Leuchtkästen und Bildschirmen; gedruckt sind sie auf Kaffeetassen zu erwerben. Sie geben Exterieurs und Interieurs aus sehr individuellen Blickwinkeln wieder. Oft sind es reizvolle Momentaufnahmen, die subversive Komik entfalten.

Die Fotokunst von Tam-Tam-Initiator Mathias Stadler ist in Dießen auf Leuchtkästen zu sehen und auf Tassen gedruckt zu kaufen. (Foto: Arlet Ulfers)

Bei der Veranstaltung, die der Münchner für die "Freie Kunstanstalt Dießen" organisiert hat, spielen die Bilder aber nicht die Hauptrolle. Schließlich ist Stadler Initiator des schon legendären Kreativ-Kollektivs namens "Tam Tam", das seit 13 Jahren mit Konzerten, Installationen, Tanz- und Theaterfestivals Furore macht. Von der "Roten Sonne" oder dem "Blauen Haus" der Kammerspiele sind Stadler und sein Team nun in der Cafébar Mona im Haus der Monacensia angekommen. In erster Linie aber hat Tam Tam Zwischennutzungsprojekte in Pasing oder Giesing bespielt. Darüber hinaus trat das Netzwerk in Stadlers niederbayerischer Heimat ebenso wie in Rumänien oder Portugal in Erscheinung.

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Vor zwei Jahren hat er gemeinsam mit der Tassilo-Preisträgerin Vanessa Hafenbrädl einen bislang einzigartigen "Kulturspaziergang" in Dießen organisiert. 300 Teilnehmer unterstützten seinerzeit die Forderung, die leerstehende, ehemalige Druckerei Huber dem Dornröschenschlaf zu entreißen. Inzwischen hat der Verein Freie Kunstanstalt in der zum Abriss vorgesehenen Schreinerei in der Johannisstraße übergangsweise ein Domizil gefunden. Dort hat sich ein urban wirkender Treffpunkt etabliert, der Dießen kulturell und sozial enorm bereichert.

So entpuppt sich auch das als "Fotointervention" angekündigte Event in Dießen als Happening im besten Wortsinn. Die Einführung übernimmt Mario Milchbrandtweinstätter: Der am Ammersee als Miene Gruber bekannte Allround-Künstler erläutert dabei die Grundlagen seines Demotivationstrainings und bekennt sich als Anhänger der "Konstruktiven Demotivationslehre" - also der Lehre, die sich ursprünglich aus "Bong-Rauchen im Keller" entwickelt habe. Der neueren Schule der "Destruktiven Demotivationslehre", die sich als Starren auf Bildschirme und Mobilfunkgeräte äußert, erteilt er eine klare Absage: "Das sind Zeitfressgeräte, Massenvernichtungswaffen, die verboten gehören."

Ein Strudel aus Nebel und Licht lockt die Besucher in die ehemalige Werkshalle der Schreinerei. (Foto: Arlet Ulfers)

Auch im "Kulturkampf Mensch versus Maschine" bezieht Milchbrandtweinstätter Position: Er ruft dazu auf, der bücher- und songschreibenden künstlichen Intelligenz entschlossen als Un-KI entgegenzutreten. Man müsse "stolz auf die Fehler sein, die wir machen" - ein Prinzip, das er daraufhin selbst mustergültig unter Beweis stellt. Im Lied "Tu, was du nicht lassen kannst und lass, was du nicht tun kannst" verhaspelt sich Gruber gleich mehrmals im Text. Aber auch die KI will als Fehlerquelle nicht zurückstehen und meldet sich mit markerschütternden Rückkoppelungen zu Wort.

Im Anschluss an Grubers amüsanten Vortrag liest János Fischer aus eigenen assoziativen und hintergründigen Texten. Der Dießener Künstler verirrt sich in philosophischen Zweifeln über alltägliche Verrichtungen, die von deren Vollzug abhalten. Diese Form der Prokrastination ist wohl auch einigen Zuhörern vertraut, wie sie glucksend und kichernd bestätigen. Fischer erhebt mit subtilem Witz und sprachlich auslaboriert Banales auf eine höhere Ebene: Schließlich seien so genügsame Zeitgenossen wie Moos, Baum und Lampe "genau wie wir Kinder dieser Erde und Erben des Urknalls".

Anton Kaun mischt unter dem Pseudonym "Rumpeln" Geräusche und Gesang zu avantgardistischer Musik, die ganz auf Melodie und Harmonie verzichtet. (Foto: Arlet Ulfers)
Manuel da Coll präsentiert mit seinem selbst gebauten "Dubtrain One" erstmals ein Programm mit Kompositionen von Fela Kuti, an dem er zwei Jahre lang gearbeitet hat. (Foto: Arlet Ulfers)

Als nächstes lässt es Anton Kaun gehörig krachen: Unter dem Künstlernamen "Rumpeln" produziert der Noise-Spezialist Geräuschtracks und Videobilder, die das Publikum polarisieren. Während sich ein Teil abwendet, tanzen andere um so begeisterter zu avantgardistischen Stücken, die auf Melodie und Harmonie völlig verzichten. Man will Kauns energetische Experimentalmusik wohl eher nicht im Fahrstuhl, Auto oder vor dem Einschlafen hören. Sie verweigert sich dem leichten Konsum, aber in der Dießener Kunstanstalt erzeugt sie eine geradezu hypnotische Klangwolke.

Als Manuel da Coll den Saal mit seinem Dubtrain One beschallt, haben sich die Reihen vor der immersiven Kulisse leider schon gelichtet. Der LaBrassBanda-Drummer hat ein neues Programm zusammengestellt, das auf Werken des Afrobeat-Gründers Fela Kuti beruht. Wie schon bei seinem Bob-Marley-Projekt hat da Coll Kutis Kompositionen von einer Blaskapelle interpretieren lassen und das Ergebnis in elektronische Samples übersetzt, die er mit seiner Fahrrad-Soundanlage live abmischt. In Dießen ergänzt Kaun die Premiere mit wilden Improvisationen auf einem selbst gebauten Instrument, das Stahlfedern zur Klangerzeugung nutzt.

Abgerundet und eingerahmt wird die Show von Vanessa Hafenbrädls Projektionen und Videoinstallationen. Ein Tunnel aus Licht und Nebel saugt die Besucher in die Kunstanstalt, wo Rennräder von der Decke hängen oder sich rätselhafte Blechskulpturen in Ecken verstecken. Auch wenn Stadlers Intervention ein einmaliges Ereignis bleibt, möchte man dieser immersiven Kulisse noch viele ähnliche Subkultur-Varietés wünschen.

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