Tutzing:Zweimal Schlussapplaus

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Marius Herb an der Orgel in der Kirche St. Joseph in Tutzing. (Foto: Georgine Treybal)

Und Marius Herb hätte auch noch einen dritten verdient. Der 23-Jährige begeistert in der Kirche St. Jospeh in Tutzing an der Orgel.

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Es war nicht weiter verwunderlich, dass mitten im Programm der Schlussapplaus ausbrach. Dass nicht alle Werke einsätzig waren, konnte das Publikum dem Programm nicht entnehmen - und wähnte sich verfrüht am Ende des Programms. Da der 23-jährige Orgelvirtuose und Assistent der Dommusik in Augsburg, Marius Herb, aber seinen Applaus nicht an der Emporenbrüstung abholte, ahnte man schon: Es würde weitergehen.

Dann kam auch die vom neuen Kirchenmusiker in der Tutzinger St.-Joseph-Kirche Werner Zuber für die Konzertreihe "erstKlassik am See" angekündigte "Orgel-Symphonie aus der Stadt der Liebe". Leider mit einigen hochpfeifenden Misstönen, dem derzeitigen Defekt (Schimmelbefall) der wunderbaren Sandtner-Orgel von 1983/84 geschuldet. Zum Glück ist Herb kein zaghafter Tonbildner, sodass die Störungen in den Klangfluten sprichwörtlich sang- und klanglos untergingen. Herb, der sein Spiel mit Studien an den Hochschulen in Regensburg, Mainz und Paris zur preisgekrönten Meisterschaft gebracht hat, ist nicht nur ein absolut sicherer spieltechnischer Perfektionist mit einem ausgeprägten Sinn für musikalische Wirkungen, sondern auch ein versierter Klangmixer, der auch für seine besondere Färbungen die jeweils adäquate Diktion parat hat. Besonders spannend zeigte sich dies schon im Eingangswerk mit einer Auseinandersetzung Bachs mit der italienischen Musik seiner Zeit.

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In seinem Concerto a-Moll BWV 593 nach Vivaldi gelang es Herb, die strahlende Festlichkeit des Italieners mit der tektonischen Systematik Bachs in eine überzeugende Balance zu bringen. Der asketische, langsame Mittelsatz mutierte so zu einem stillen Gebet, während die Rahmensätze mit Beherztheit und spritziger Leichtigkeit feierliche Vitalität versprühten. Beethoven im Programm eines Orgelkonzerts zu finden hat Seltenheitswert, hatte es doch die Wiener Klassik nicht so mit der Orgel. Sein schlichtes Adagio WoO 33 interpretierte Herb als ein zauberhaftes Filigran mit Schönmelodik über wogenden Arpeggien und nostalgischer Färbung. Der kadenzartige Mittelteil gab sich indes mysteriös.

Mit Felix Mendelssohn, der selbst Orgelvirtuose war, änderte sich der Charakter des Vortrags. Mit seinem Präludium und Fuge f-Moll op.35 wechselte Herb ins symphonische Fach. Nach einem dunklen Präludium voller Spannung folgte eine konzertante Fuge mit dicht verflochtenen Stimmen, die Herb aber in voller Klarheit und Transparenz zu entwirren verstand. Das prägnante Vorwärtsdrängen hätte fast schon einer Toccata ebenbürtig sein können. Eine Überraschung war zweifelsohne "Revery" op. 66/2 von Horatio Parker, der sich als US-Amerikaner hier unter den europäischen Komponisten als Spätromantiker mit nahezu impressionistischer, jedenfalls stark chromatischer Harmonik präsentierte.

Mit Louis Vierne war der Höhepunkt der französischen Orgelsymphonik erreicht

Grund dafür ist sein Studium in München bei Joseph Rheinberger, der als Orgelvirtuose diesem Fach sicher besonderes Augenmerk schenkte und für eine ganze Generation US-amerikanischer Komponisten großes Vorbild war. Deshalb die Verwandtschaft Parkers Musik zur "Melodia" op. 59 von Max Reger - Nachfolger Rheinbergers an der Münchner Königlichen Akademie der Tonkunst -, die Herb mit seiner einfühlsamen Registrierung in nahezu französischer Farbigkeit ruhig dahinfließen ließ. Betörend schön die schillernde Farbnuance im Schlussausklang, der sich im Kontrast zum nachfolgenden Werk als ein geschickter gestalterischer Effekt entpuppen sollte.

Mit Louis Vierne war der Höhepunkt und das Thema der französischen Orgelsymphonik erreicht. Herb schmetterte hier das Allegro risoluto aus der zweiten Symphonie op.20/1 in gigantischer Größe. Vor den strahlenden Hauptteilen in konzertanter Kraft erschienen die Rücknahmen geradezu mysteriös, wenn auch ohne die unterschwellige Erregung des "risoluto" aufzulösen. Die plastische Modellierung unterstrich die symphonische Feinnuancierung und entfachte einen weit euphorischeren zweiten Schlussapplaus. Nach diesem Feuerwerk hätte nur noch eine ekstatische Farborgie eine Zugabensteigerung sein können. Und die kam auch, ebenfalls aus der Feder von Vierne mit dem "Carillon de Westminster" aus den "24 Pièces de fantaisie" (3. Suite), Variationen über die Spielmelodie des Big-Ben, eingebettet in Herbs feinnuancierte Malerei. Weiter hätte die Orgel wohl kaum über sich hinauswachsen können.

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