Ammersee:Protest gegen Kahlschlag

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In Herrsching formiert sich Widerstand gegen die Abholzaktionen, doch Gemeindeverwaltung und Wasserwirtschaftsamt sehen keine Alternative.

Von Patrizia Steipe, Herrsching

Es wirkt wie eine einzige riesige Abholzaktion, doch de facto haben die aktuellen Baumfällungen, gegen die die Bürger im Bereich der Gemeinde Herrsching Sturm laufen, nichts miteinander zu tun: Am Fendlbach wurden 15 Bäume für einen neuen Geh- und Radweg gefällt, am Kienbach drei Eschen, eine Kastanie und ein Ahorn; weitere drei Silberweiden wurden an der Fischergasse gefällt. Zudem befürchten Bürger, dass im Zuge des Hochwasserschutzprojekts neue Betonwände und Brücken entlang des Kienbachs errichtet werden. "Dann wird vom Ortsbild nichts mehr bleiben, wie es war", erklärte Umweltschützerin Christine Voit.

Die verschiedenen Maßnahmen würden jedoch nur zufällig zeitgleich stattfinden, versicherte nun die stellvertretende Bürgermeisterin Christina Reich. Am Fendlbach sei der Rad- und Fußweg im Rahmen des Bebauungsplans für die neue Kita geplant. Alle 15 Bäume, die im Weg waren, mussten gefällt werden. Das habe ein von der Gemeinde beauftragter unabhängiger Baumgutachter festgestellt und das sei in der letzten Bauausschusssitzung beschlossen worden. "Die Fällung war alternativlos. Uns blieb nichts anderes übrig", sagte Reich. Der Weg müsse nämlich gesetzlichen Anforderungen entsprechen, barrierefrei und beleuchtet sein sowie eine Mindestbreite von 3,50 Meter aufweisen.

Auf einem Video von vergangenem Sommer sieht man einen dicht begrünten Weg, lautes Vogelgezwitscher ist zu hören. Jetzt herrscht Stille rund um die trostlosen Baumstümpfe. Die Herrschinger Künstlerin Ela Bauer findet den ganzen Rad- und Fußweg sinnlos. "Der wird nicht angenommen", meint sie, die Route in den Ort sei eher ein Umweg. Für die 15 gefällten Bäume, die dem "Kettensägenmassaker" zum Opfer gefallen sind, hat sie eine Traueranzeige verfasst. Darin nehmen "obdachlos gewordene Vögel, Eichhörnchen, Mäuse, Käfer, Spinnen und Freunde" Abschied.

Etliche Meter entfernt davon fließt der Kienbach durch Herrsching. Regelmäßig wird das Bachbett von Fachleuten begutachtet. Einige Ufermauern seien "in einem schlechten bis sehr schlechten Zustand", sagt Stefan Raab vom Wasserwirtschaftsamt Weilheim. "Die Standsicherheit wird durch Bäume, die in, auf oder hinter den Mauern wachsen, stark gefährdet." Dadurch bestünde die Gefahr, dass die Ufermauern bei Hochwasser versagen. Vor kurzem wurden deswegen im Rahmen der Unterhaltungsarbeiten und in Rücksprache mit der Unteren Naturschutzbehörde am Kienbach fünf Bäume auf Privatgrund an der Fischergasse gefällt. "Sie sind nicht Teil des geplanten Vorhabens Sanierung und Ausbau Kienbach", versichert Raab. Ein Baumpflegeunternehmen hätte die Bäume im Vorfeld inspiziert und "keine artenschutzrelevanten Strukturen festgestellt". Nächstes Jahr könnten weitere Fällungen notwendig werden. Anwohnerin Christine Voit ist empört: "CO2-Speicher verhindern Klimaerwärmung mit Überschwemmungen und das Wasserwirtschaftsamt lässt die Bäume fällen!" Reich findet aber: "Neben dem Artenschutz gibt es auch einen Schutz der Bürger".

Am Mittwoch hat die Gemeinde auch an der Fischergasse Bäume auf Gemeindegrund fällen lassen. Sie "waren morsch, hohl oder von einem Pilz befallen", versichert Reich. Ein externer Gutachter hätte dies bereits im vergangenen Jahr festgestellt. Die Bäume durften nur bleiben, damit brütende Baumbewohner ihre Jungen aufziehen konnten. Jetzt wurde "scheibchenweise zurückgeschnitten". Fledermaushöhlen sollten stehen bleiben oder an anderen Bäumen befestigt werden.

Silberweide

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Sie sind Pioniere, wenn es um die Besiedelung neuer Lebensräume geht. Silberweiden legen selbst auf Rohböden ein rasantes Wurzel- und Triebwachstum an den Tag: Junge Individuen schießen jährlich um bis zu 2,50 Meter in die Höhe. Mit 100 Jahren wirken sie so massiv wie dreimal so alte Eichen, aber die natürliche Lebenserwartung der Silberweiden ist erreicht, das großporige Holz bricht leicht. Die Fragmente treiben oft wieder aus, was die Verbreitung der Art entlang von Wasserläufen fördert. Blüten und Laub sind eine wichtige Nahrungsquelle für Insekten. arm

Esche

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(Foto: Christian Endt)

In der Mythologie gilt sie als Baum des Lebens und der Liebe. Eschen zählen zu den höchsten Laubbäumen Europas, sie werden bis zu 40 Meter hoch und überragen in Auwäldern oft die übrigen Kronen. Ihr natürliches Vorkommen ist auf sehr feuchte oder kalkige Böden beschränkt, wo sie gegen die Konkurrenz von Buchen bestehen können. Seit etwa 30 Jahren breitet sich das von einem Schlauchpilz ausgelöste Eschentriebsterben aus, dem zahllose Bäume zum Opfer gefallen sind; Forscher befürchten binnen weniger Jahrzehnte ein europaweites Aussterben der Art. arm

Rosskastanie

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(Foto: Christian Endt)

Der Charakterbaum heimischer Biergärten hat Migrationshintergrund: Die Gewöhnliche Rosskastanie wurde aus dem Balkan von den Osmanen als Pferdefutter in Mitteleuropa eingeführt. Dank der Blütenpracht und der glänzenden, großen Samen wurde die raschwüchsige Art bald zum Modebaum in fürstlichen Parks und Alleen. Trotz mancher Ähnlichkeit ist sie mit der Edelkastanie nicht mal entfernt verwandt. Seit 1984 breitet sich eine Miniermotte in Europa aus, die bei Rosskastanien zum vorzeitigen Laubabwurf führt und die Bäume entscheidend schwächen kann. arm

Und dann gibt es noch die lang geplanten Hochwasserschutz-Maßnahmen am Kienbach. Die Ausschreibung für das Projekt gewann vor kurzem das Weilheimer Ingenieurbüo Kokai. Die Firma hat sich auf Hochwasserschutz, Sanierungen und die Ermittlung von Überschwemmungsgebieten spezialisiert. Voller Sorge hätten Herrschinger auf der Homepage der Firma festgestellt, dass bisherige Projekte mit sehr viel Beton saniert worden seien. "Die Firma hat uns aber ihre Planungen noch gar nicht vorgestellt", beruhigte Reich. Auf der Firmen-Homepage steht bereits, dass zwei Kilometer des Kienbachs durch Herrsching bis zum Ammersee gesichert werden sollen. Dafür werde "das Gerinne" und die "derzeit maroden Ufersicherungen" erneuert. Außerdem müssten Brücken erneuert werden, damit es bei Hochwasser gute Abflüsse gibt. Um die "wildbachtypischen Gefahren" zu beseitigen, sollen Geschiebe- und Schwemmholzrückhaltesperren gebaut werden.

Für Naturschützer Gerd Kloos ist das "großer Unsinn". Der Kienbach gelte zwar als Wildbach, sei aber in den letzten 100 Jahren nie über die Ufer getreten, "selbst beim Pfingsthochwasser 1999 nicht". Gefahr drohe vielmehr, wenn der Ammersee über die Ufer tritt, das Grundwasser zu hoch stehe oder starker Westwind verhindere, dass Wasser in den See abfließe. Mittlerweile hat sich eine Interessengemeinschaft zusammengefunden, die alle Maßnahmen am Kienbach mit Argusaugen beobachten will. "Unser Ziel ist der Erhalt des Kienbachs", sagt Voit. Er sei das "Letzte an Natur, das Herrsching noch hat".

© SZ vom 03.02.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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