Kunst:Schutz und Einsamkeit

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"Krise der Berührungsorgane": ein Bild von Julius Wurst. (Foto: Arlet Ulfers)

Die 16 Maler, Bildhauer und Keramiker der "Offenen Ateliers" in Starnberg, Pöcking und Feldafing spiegeln in ihren Arbeiten Lockdowns in der Pandemie und veränderte Lebensumstände wider. Die Kunsttour startet dieses Wochenende noch einmal.

Von Katja Sebald, Starnberg/Pöcking/Feldafing

Die sechzehn Künstler, die sich noch einmal am kommenden Wochenende in ihren Ateliers und Ausstellungsräumen in Starnberg, Pöcking und Feldafing präsentieren, haben sich nicht auf ein gemeinsames Thema verständigt. Dennoch schlagen sich die Einsamkeit der langen Lockdown-Monate und die durch die Pandemie veränderten Lebensumstände in nahezu allen gezeigten Arbeiten nieder.

Am eindrücklichsten ist das wohl bei Julius Wurst zu sehen, der im ehemaligen Atelier von Gunther Radloff in Feldafing ausstellt. Dort zeigt er einen bemerkenswert geschlossenen Zyklus von Bildern in Blau- und Grautönen, die verschiedene Aspekte des Lebens unter Pandemie-Bedingungen darstellen: von Händen, die sich nicht mehr berühren dürfen, bis hin zu Balletttänzerinnen, die ihre Pliés mit Mundschutz machen müssen. Durch eine eigenwillige Wachstechnik wirken diese Szenen wie eingefroren. Im Garten vor und hinter dem spektakulär schönen Atelierhaus sind außerdem zwei Installationen zu sehen, die, wie immer bei Julius Wurst, leise Gesellschaftskritik mit leiser Poesie vereinen.

"Wieder unterwegs" hat Susanne Palme-Waldemer ihre Ausstellung genannt. (Foto: Arlet Ulfers)

Susanne Palme-Waldemer, deren Atelier sich ebenfalls in Feldafing befindet, hat ihre Ausstellung mit "wieder unterwegs" überschrieben. Anhand von zwei Fotos geht sie auf mehreren Blättern formalen und inhaltlichen Fragen nach. Eines davon zeigt Mädchen in einem violetten Daunenanorak, von hinten fotografiert in einer Berliner U-Bahn. Der Anorak mit seiner aufgeplusterten Wabenstruktur wirkt wie ein Kokon, ein tragbarer Schutzraum, den die Künstlerin zunächst mit malerischen und zeichnerischen Mitteln auf mehreren Blättern fortsetzt, dann in einer weiteren Bildserie digital weiterspinnt, verfremdet und zugleich konkretisiert.

Die größte Wand in ihrem Atelier aber hat Palme-Waldemer für ihren Gast reserviert: Alexander Milstein, 1963 in Charkiw geboren, lebt seit vielen Jahren in Deutschland. Er ist Schriftsteller und bildender Künstler. In Feldafing zeigt er die Bildserie "Concrete Dreams", in der er seine Jugend in der mittlerweile zerbombten riesigen Plattenbausiedlung Saltovka thematisiert.

Kokons und Schutzhüllen: Ulrike Prusseit in ihrem Atelier mit Gast Susanne Thiemann (rechts). (Foto: Arlet Ulfers)

In Niederpöcking öffnet Ursula Steglich-Schaupp ihr Dachatelier. Auch sie hat das Thema "Kokon" bearbeitet und dafür eine Serie von Zeichnungen aus dem Jahr 2010 fortgesetzt. Netzartige Gebilde, amorphe Formen und schützende Hauben werden hier spannungsvoll miteinander in Beziehung gesetzt. Zu sehen gibt es auch witzige neue Keramikarbeiten wie die Schüsseln, in denen bereits ein Buchstabensalat angerichtet ist. Und nicht zuletzt gewährt die Künstlerin Einblick in ihr neuestes Projekt, ein Kochbuch mit wundersam erzählerischen Illustrationen.

Die Malerin Ulrike Prusseit stellt in ihrem Starnberger Atelier zusammen mit der Künstlerin Susanne Thiermann aus. In Prusseits neuen sanftfarbigen Collagen werden Kleider und Röcke zu schützenden Hüllen, hinter denen die geheimnisvollen Protagonistinnen dieser Bilder ihre Verletzlichkeit verbergen. Thiermann zeigt dazu organisch geformte Objekte, die wie abgestreifte und zurückgelassene Kokons wirken. Die gelernte Korbflechterin hat ihr Handwerk zur Kunst gemacht und arbeitet mit Kunststoffschläuchen, wie sie in den Siebzigerjahren fürs Stuhlgeflecht verwendet wurden.

Aufgedröselt: "Fransenarbeit" von Susanne Thiemann. (Foto: Arlet Ulfers)

Nataly Maier blickt aus ihrem Starnberger Atelier nicht nur auf den morgendlichen See, sondern auch in den nächtlichen Sternenhimmel. Die Malerin weiß Farbe ebenso virtuos wie subtil einzusetzen und Wahrnehmungsgewohnheiten aus den Angeln zu heben, ihre neuen Bilder sind von einer geradezu atemberaubenden Stille. Und das gilt für ihre immer weiter abstrahierten Landschaften ebenso wie für die konzeptionellen Diptychen: Hier stellt die Künstlerin das eigentliche Bildmotiv in Schwarzweiß dar und kombiniert es mit einer monochromen Fläche, als hätte sie die Farbe aus einer Aubergine, einem Wasserfall oder einem Baum extrahiert und verdichtet. Auch die Bildpaare aus Sternengelb und Nachthimmel sind eine feinsinnige Spielerei mit Überraschungseffekt.

Auch die Starnberger Stadtmalerin Annette Girke, die in diesem Jahr noch einmal im historischen Atelier von Paul Thiem ausstellt, hat sich in ihren neuen Arbeiten mit dem Alleinsein beschäftigt: Allein in einem riesigen Schwimmbad, allein als Hase auf der faulen Haut liegend - oder allein als Gartenschlauch in einem dunklen Garten.

Bildpaar mit Nachthimmel: Nataly Maier lädt zu den "Offenen Ateliers" in ihre Räume in Starnberg ein. (Foto: Arlet Ulfers)

In Feldafing stellt außerdem Johannes Hofbauer mit der Malerin Judith Reiter aus. In Possenhofen bespielen die Künstlerin Susanne Mansen und die Keramikerin Ute Kathrin Beck diesmal zusammen mit der Goldschmiedin Silke Spitzer ein leerstehendes Gebäude hinter dem Bahnhof. Und in Söcking öffnen Annemarie Hahne und Max Wagner ihre Ateliertüren.

Die "Offenen Ateliers" sind noch einmal am kommenden Wochenende samstags und sonntags von 14 bis 19 Uhr zu besichtigen. Alle Adressen mit Lageplan unter www.offene-ateliers-starnberg.de

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