Krailling:Tabletteneinnahme unter Zwang

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Einer Altenpflegerin wird wegen vorsätzlicher Körperverletzung fristlos gekündigt und erhält einen Strafbefehl. Die ehemalige Stationsleiterin bestreitet den Vorwurf jedoch.

Von Christian Deussing, Krailling

Die Bewohnerin im Caritas-Altenheim in Krailling war dement, hatte einen Schlaganfall erlitten und soll auch psychisch auffällig gewesen sein: Der Rentnerin war daher ein starkes Beruhigungsmittel verschrieben worden. Doch die alte Dame wollte nicht: Sie habe laut Anklage im Januar protestiert, geweint und geschrien, als ihr die damalige Leiterin des Wohnbereichs gegen ihren Willen die Tablette verabreichte. Der Seniorin sollen dabei Mund und Nase zugehalten worden sein, damit sie das Medikament nicht erneut ausspucke. Wegen vorsätzlicher Körperverletzung erhielt die Altenpflegerin einen Strafbefehl von 120 Tagessätzen zu 60 Euro, also 7200 Euro. Doch die 29-Jährige, der nach dem Vorfall fristlos von der Heimleitung gekündigt worden war, legte gegen den Strafbefehl am Starnberger Amtsgericht Einspruch ein.

Auf der Station sei bekannt gewesen, dass die Bewohnerin oft weine. So sei es erlaubt gewesen, ihr bei innerer Unruhe und Stresssituationen ein bestimmtes Bedarfsmedikament zu geben, sagte die Angeklagte. So einen Moment habe es auch an einem Vormittag gegeben, als sie der pflegebedürftigen Frau in einem Raum mit etwa 20 weiteren Mitbewohnern den Unterkiefer gehalten und die Tablette zwischen die Lippen geschoben habe. Die Altenpflegerin bestritt aber, der alten Dame dabei Mund und Nase zugehalten zu haben.

"Darf man so mit Menschen umgehen?", fragte sich die Praktikantin

Noch bevor die Stationsleiterin eingeschritten war, hatte seinerzeit eine Schülerpraktikantin die Hand der Heimbewohnerin gehalten, die "wimmernd, bitterlich weinend und zitternd in ihrem Rollstuhl gesessen" habe, berichtete die 19-jährige Zeugin vor Gericht. Die Stationsleiterin habe dann die Hand der Praktikantin weggestoßen und der Heimbewohnerin mit zwei Fingern die Nase zugehalten, die wohl deshalb, vielleicht aber auch durch die Aufregung, nach Luft rang. Die Praktikantin berichtete, sie sei schockiert gewesen und habe sich gefragt, ob man so mit Menschen umgehen dürfe. Die Bewohnerin habe sich gegen die Tabletteneinnahme gewehrt, betonte die Zeugin, und: "Ich musste auch an meine Oma denken."

Die Verteidigerin bezeichnete die Beobachtungen der Praktikantin, die sich an jenem Tag nur kurz zufällig im Wohnbereich der schwer Demenzkranken aufgehalten hatte, als "laienhaft und völlige Fehleinschätzung". Der Anwältin zufolge sei die junge Helferin in einer Situation überfordert gewesen, bei der "eine Reihenfolge von Handgriffen notwendig war". Die Staatsanwältin hingegen verwies darauf, dass die Patientin zur Tabletteneinnahme genötigt wurde. Der Amtsrichter hielt die Aussage der Zeugin ebenfalls für glaubhaft, sprach aber auch von einem "Grenzfall".

Das Verfahren wurde schließlich gegen eine Geldauflage von 7000 Euro an den Starnberger Tierschutzverein eingestellt, die Angeklagte ist somit nicht vorbestraft. Nach der Kündigung war es zum arbeitsrechtlichen Vergleich gekommen, bei dem die freigestellte Angeklagte noch vier Monate Gehalt bezog. Das bestätigte auf Anfrage auch die Heimleitung.

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