Herrsching:Fluss hinter Mauern

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Der Kienbach in seiner ganzen Schönheit: Die Bürgerinitiative "Pro Natur Herrsching" bangt nach den ersten Baumfällungen um die aquatische Flora und Fauna. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Wasserwirtschaftsamt plant eine Sanierung der maroden Uferbefestigungen, um die angrenzende Bebauung vor Überschwemmungen zu bewahren. Doch im Dorf regt sich Widerstand gegen eine befürchtete Zerstörung der Natur.

Von Patrizia Steipe, Herrsching

Eine Wasseramsel fliegt dicht über der Oberfläche des Kienbachs unter einer Brücke Richtung Ammersee, daneben gründelt ein Entenpaar hinter einem Vorhang aus Pflanzen. Die 20 Teilnehmer der "Begehung" des Wildbachs sind begeistert: Bemooste Uferwände, Bäume, die ihre knorrigen Wurzeln nach beiden Seiten ausstrecken und kleine Fische, die pfeilschnell den Kienbach entlang flitzen, bilden eine Naturidylle. Doch die ist bedroht. "Wenn die Mauern saniert werden, dann kommt die ganze Vegetation weg", prognostiziert Christl Voit, Sprecherin der Bürgerinitiative "Pro Natur Herrsching". Etwa 20 Teilnehmer haben sich nun mit den Vertretern der BI ein Bild über die Situation entlang des zwei Kilometer langen Bachlaufs innerhalb der Ortsgrenze Herrschings gemacht.

Rund 20 Interessierte nehmen auf Einladung der Bürgerinitiative "Pro Natur Herrsching" an der Exkursion durch die Gemeinde teil. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Wasserwirtschaftsamt Weilheim plant eine Sanierung der Ufermauern. Damit soll die angrenzende Bebauung vor Überschwemmungen bewahrt werden. "14 Prozent der Mauern müssen schnellstmöglich, 55 Prozent kurz- bis mittelfristig saniert werden", hatte Johannes Haas, der Projektleiter für die Kienbachsanierung, dem Gemeinderat mitgeteilt. "Naturnah" sollten die Maßnahmen durchgeführt werden, "doch der Zusatz 'soweit möglich' ließ uns aufhorchen", sagt Voit. 2015 sei ein kleiner Teil der Ufermauer in der Nähe des Heine-Geländes erneuert worden. Dort sichern jetzt blanke Betonmauern den kleinen Strom. Die BI kritisiert, dass die Wasserbehörde ihren Blick zu sehr auf Technik richte, zu sehr "in Mauern" denke. In einem vierseitigen Brief mahnt die BI Präventionsmaßnahmen an, um den ungebremsten Abfluss von Regenwasser in den Kienbach zu reduzieren. Dadurch hofft sie, dass auf massive Sanierungen verzichtet werden könne. "Flächenversiegelung, fehlende Versickerungsflächen, Fehlen von Dachbegrünungen, zunehmende Fällungen - all das trägt dazu bei, dass das Regenwasser unverzögert in den Kienbach fließt".

Eingezwängt, begradigt und zugewachsen: Das künstliche Bachbett in der Nähe der evangelischen Kirche. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der elf Kilometer lange Kienbach sei Ende der letzten Eiszeit vor 10000 Jahren entstanden, erzählt BI-Mitglied Wolfgang Aigner. Seine Quellen liegen bei Machtlfing in der Gemeinde Andechs, die Mündung 180 Meter tiefer im Ammersee. Bis Anfang des 20. Jahrhundert floss der Kienbach in seinem naturbelassenen Bett. Sukzessive wurde er aber reguliert, die Ufer befestigt und die Wohnbebauung rückte immer näher an den Bach. 2015 gipfelte dies in einem Neubau an der Fischergasse direkt an der Bachmauer. Der Gemeinderat und das Wasserwirtschaftsamt seien dagegen gewesen, das Landratsamt aber habe den Bau genehmigt, sagt Voit. Die Baustelle habe die Mauern und das Ufer zum Bröckeln gebracht. Jetzt müsste vor allem in diesem Abschnitt die Mauer erneuert werden.

Die Bürgerinitiative bei einer Exkursion im vergangenen Mai am Kienbach. In der Mitte: Sprecherin Christine Voit. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Über 100 Uferbauwerke entlang der Strecke hat das Wasserwirtschaftsamt für seine Analyse untersucht, im Juni folgen noch Bodenuntersuchungen. Konkrete Sanierungsmaßnahmen werde die Wasserbehörde Ende des Jahres vorstellen, versprach Haas.

Hinter der evangelischen Kirche wandert die Gruppe den Kienbach entlang zu den alten Bahnanlagen hinter dem Bahnhof. Hier wurde der Bach unter die Erde gelegt. Sommerflieder wächst entlang der Bahnschwellen, neben der Wiese lädt eine Bank zum Verweilen ein. "Hier könnte man den Bach wieder öffnen", schlägt BI-Sprecher Norbert Wittmann vor. Ein attraktiver Platz würde entstehen, der Bach würde die aufgeheizten Flächen im Sommer abkühlen. Doch das Grundstück gehört der Bahn "und die Gemeinde kommt mit den Verhandlungen nicht weiter", bedauert Wittmann.

Bei der Touristeninformation deutet Voit auf eine Gruppe blühender Kastanien. "Die kommen weg, wenn die zweite Brücke über den Kienbach gebaut wird". Die Teilnehmer empören sich, "skandalös", "unmöglich" und "eine Sünde" ist zu hören. Gemeinderat Gerd Mulert (Grüne) widerspricht: Mit einer neuen Brücke und Straßenführung soll das Bahnhofsareal verkehrsberuhigt werden. "Alle Gemeinderäte sind dafür", sagt Mulert.

Die umstrittenen Baumfällungen in der Herrschinger Fischergasse boten Anfang Februar den konkreten Anlass zur Gründung der Bürgerinitiative. (Foto: Arlet Ulfers)

Dann kommt die Gruppe zur Stelle, an der Anfang des Jahres fünf Bäume gefällt wurden. "Als Reaktion auf die massiven Fällungen an der Fischergasse gründete sich die Bürgerinitiative", erinnert sich Anwohnerin Karin Casaretto, die den "Blick ins Grüne" schmerzlich vermisst. Ein paar Schritte weiter deutet Konrad Herz auf eine Wand, aus der Abflussrohre ragen. "Damit wird Regenwasser direkt in den Kienbach geleitet", ärgert er sich. Erlaubt sei die Entwässerung in den Bach nicht. Doch überall wird Wasser in den Bach statt in private Versickerungseinrichtungen geleitet. Bei Starkregen könnte der Bach dadurch überlastet werden.

Auf Höhe der kleinen Staumauer am Herrschinger Ortsrand soll mitten in üppig sprießender Natur ein Schwemmholzrückhaltebecken gebaut werden. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Allerdings sei in der Regel nicht der Kienbach, sondern der Ammersee Grund für die Überschwemmungen der Vergangenheit gewesen, sagt Voit. Deswegen zweifelt sie die Dramatik einer Simulation an, bei der das Wasserwirtschaftsamts durch Hochwasser überflutete Wohngebiete skizziert hatte. Sie forderte Aufklärung über die für die Simulation verwendeten Parameter.

Besonders kritisch beurteilt die BI das geplante Schwemmholzrückhaltebecken. Es soll im Kiental errichtet werden. "Da ist jetzt nur Natur", sagt Voit und reicht Fotos von einem massiven Rückhaltebecken aus Beton in Garmisch herum. "Wir fordern, dass das Ökosystem ganzheitlich betrachtet wird."

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