Internationale Politik:"Bei China war einfach so viel Musik drin"

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May-Britt Stumbaum hat China oft bereist und auch dort gelebt und gearbeitet. Seit Dezember ist sie Professorin am Marshall-Center in Garmisch. (Foto: Nila Thiel)

Lange saß May-Britt Stumbaum ein bisschen zwischen den Stühlen - hier die Sinologen, dort die Sicherheitsberater. Inzwischen hat sich die Politik-Professorin als China-Expertin einen Namen gemacht. Regierungen weltweit hören auf ihren Rat.

Von Ann-Marlen Hoolt, Herrsching

Freitagnachmittag im verregneten Herrsching. May-Britt Stumbaum hat wenig geschlafen. Ihr Terminkalender ist selten leer. Erst am Morgen ist sie von einem Termin in Leipzig zurückgekommen, da hat sie vor dem Ausbildungskommando der Bundeswehr und hochrangigen Persönlichkeiten der Stadt einen Vortrag gehalten. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts war da, mehrere Minister der Staatskanzlei. Nun ist sie zurück in Herrsching und trägt zwei Tassen Kaffee in den Raum, den sie und ihre Familie das "Ahnenzimmer" nennen. An den Wänden erinnern Bilder an vergangene Familiengenerationen. Die Stumbaums sind schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts Fischer am Ammersee. Viel Geschichte also in diesem Zimmer und dazwischen Plastikspielzeug, Brettspiele und Buntstifte. Zwei ihrer vier Kinder gehen noch in den Kindergarten.

Wer sich mit May-Britt Stumbaum unterhält, merkt schnell, wie wichtig ihr Kontext und Hintergrund sind. Sie kann auf eine Frage auch mal zehn Minuten lang antworten. Man soll sie sich missverstehen, also erklärt sie lieber etwas länger. Das passt zu ihrem Beruf, denn die 49-Jährige berät regelmäßig Regierungen und Politiker. Sie ist Expertin für China und Sicherheitspolitik.

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Stumbaum hat viel in Think-Tanks gearbeitet. Sie ist international vernetzt, hat in vielen Projekten gearbeitet, ein Institut für geopolitische Beratung und Risikomanagement gegründet. Bis vor Kurzem hat sie an der Münchner Bundeswehr-Universität geforscht, darüber hinaus ist sie Oberstleutnant der Luftwaffen-Reserve. Seit Dezember arbeitet die habilitierte Politikwissenschaftlerin am deutsch-amerikanischen Marshall-Center in Garmisch. Stumbaum ist dort Professorin für Sicherheitsstudien und strategischen Wettbewerb. Sie forscht zu neuen Weltordnungen, Chinas Sicherheitspolitik und dessen Einfluss in und auf Europa. Sie kennt nur eine andere Frau mit ähnlichem Fachgebiet.

Ihr Alleinstellungsmerkmal stieß in der wissenschaftlichen Welt zunächst auf Unverständnis

Wer wie May-Britt Stumbaum seit gut 20 Jahren in der Sicherheitspolitik arbeitet, ist es gewohnt, bei Konferenzen oder Vorträgen in ein Meer aus Anzügen zu schauen. Im Sicherheitsbereich - Militär, Krieg, Waffen - gibt es nur wenige Frauen - auch heute noch. Die China-Expertin weiß, wie es ist, unterschätzt zu werden, zu oft hat sie es selbst erlebt. Das ärgert sie. Sie ist keine Frau, die sich klein macht. "Irgendwann habe ich angefangen, Rosa zu tragen, also Knallfarben. Ich fiel ja ohnehin auf. War dann auch egal." Stumbaum hat gelernt, sich Gehör zu verschaffen. Sie rät anderen Frauen, hartnäckig zu bleiben und auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, auch wenn die Sicherheitspolitik heute diverser ist als früher. "Wenn einen das Thema interessiert, dann darf man sich da nicht abschrecken lassen."

Fragt man die Professorin, warum sie sich gerade auf China spezialisiert hat, dann kann sie das selbst gar nicht so sagen. "Es ist eben so gekommen." Sie hat immer zu den Themen geforscht, die sie am meisten interessiert haben - und ist dabei immer wieder bei Chinas Außen- und Sicherheitspolitik gelandet. Dabei hat sich Stumbaum mit ihrem Spezialgebiet oft so gefühlt, als stehe sie zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite die Sinologen, die Chinas Kultur und Sprache erforschen. Auf der anderen Seite die Sicherheitsexperten, die sich mit militärischen Fragen vor allem in und um Europa herum beschäftigen. Und sie selbst irgendwo in der Mitte, immer wieder gezwungen zu beweisen, warum ihr "seltsames" Forschungsinteresse relevant ist.

May-Britt Stumbaum ist in Herrsching mit der Fischerei aufgewachsen. Wie ihr Vater ist auch sie Teil der Fischereigenossenschaft. (Foto: Nila Thiel (Repro))

Dabei geblieben ist sie trotzdem. Dem Thema zuliebe. "Bei China war einfach so viel Musik drin", erzählt sie. "Ich fand es so spannend, was sich da alles verändert und wie schnell es geht." Für fast alle ihre Projekte hat sie selbst die Finanzierung organisiert, viel im Ausland gearbeitet, in mehr Ländern, als sich an einer Hand abzählen lässt. England, USA, China, Frankreich, aber auch Australien oder Kanada - da schätzt man ihre Expertise. Und inzwischen haben sich die politischen Verhältnisse verändert. Längst ist auch in Deutschland angekommen, dass Chinas Außenpolitik auch Europa beeinflussen kann. Stumbaums Fachgebiet ist keine seltsame Kombination mehr. Ihr Rat ist gefragt. Auch deshalb der volle Terminkalender.

Die China-Expertin freut das Interesse an ihrer Arbeit. "Aber andererseits ist es auch schade, dass die Situation ist, wie sie ist", fügt sie hinzu, denn die chinesische Politik macht ihr gerade große Sorgen. Sie befürchtet, dass die internationale Gemeinschaft die Absichten des aufstrebenden Landes zu lange unterschätzt hat. Die Kommunistische Partei versuche, alles zu kontrollieren, was das eigene Land betrifft - auch außerhalb der Landesgrenzen. "Xi Jinping hat einen sehr klaren Plan, wie er eine neue Weltordnung aufbauen will. Und er ist schon volle Kanne dabei, ihn umzusetzen."

"Die Angst ist immer da", sagt Stumbaum über den langen Arm der Kommunistischen Partei

Der Regen in Herrsching ist abgeebbt. Der Kaffee ist leer, es wird draußen schon dunkel. May-Britt Stumbaum blickt aus dem Fenster. Erst seit zwei Jahren lebt die Politikwissenschaftlerin mit ihrer Familie wieder in Herrsching am Ammersee, davor war sie fast 30 Jahre lang nur zu Familienbesuchen hier. "Ich bin so eine Mischung aus zugereist und eingeboren", stellt sie fest. Das Herrsching, in dem sie jetzt wohnt, ist ein anderes als die Gemeinde, in der sie aufgewachsen ist - größer, teurer, touristischer. Auch an die bayerische Mentalität muss sie sich manchmal noch gewöhnen. Dass die Menschen hier oft weniger direkt sind als in Bremen, wo sie zuletzt gelebt hat. Dass klassische Rollenbilder hier noch stärker verhaftet sind, als sie das gewohnt ist.

Die China-Expertin freut sich, zurück am Ammersee zu sein. Den Steg, auf dem sie hier zu sehen ist, hat vor Kurzem ein Unwetter zerlegt. (Foto: Nila Thiel)

Aber der Neuanfang ist geglückt. Alte Schulfreunde, die noch in Herrsching leben, haben sie und ihren Mann schnell integriert. Stumbaum kann sich nun um die Zukunft des Familienbetriebs kümmern, sie ist wie ihr Vater Teil der Fischereigenossenschaft. Ihre Kinder genießen die Nähe zu den Großeltern. Gleichzeitig sind sie und ihr Mann engagiert in der Flüchtlingshilfe, sie waren die Ersten in Herrsching, die nach Kriegsausbruch Geflüchtete aus der Ukraine aufnahmen. Mithilfe vieler Herrschinger haben sie ein Flüchtlingsheim geschaffen, die "Fischerstatt". May-Britt Stumbaum hat sich in den vergangenen zwei Jahren einiges aufgebaut. Nach dem Abitur war es wichtig, aus Herrsching wegzuziehen, zum Studium nach Berlin, nach London, immer weiter. Jetzt freut sie sich, wieder da zu sein. Sie ist gekommen, um zu bleiben.

Auch beruflich ist sie zufrieden. Sie hat viel erreicht und noch vieles vor. Ihr Rat wird geschätzt, sie hat das Gefühl etwas bewegen zu können durch ihre Arbeit. Aber manchmal, wenn sich die Wissenschaftlerin damit beschäftigt, wie die Kommunistische Partei in ihrem Streben nach Macht und Einfluss Menschen im Ausland unter Druck setzt, dann ist das mehr als 7000 Kilometer entfernte Land einfach doch zu nah dran. Dann ist da dieser Gedanke: Reicht der lange Arm der Kommunistischen Partei auch bis hierher? Ausschließen möchte May-Britt Stumbaum das nicht. Schließlich ist es ihr Job, Risiken zu bewerten, Unangenehmes auszusprechen. "Die Angst ist immer da", sagt sie. Das fühle sich nicht gut an. Aber sie ist überzeugt, das Richtige zu tun. "Mich nicht politisch zu äußern, ist ja auch keine Lösung. Es geht darum, die Zukunft meiner Kinder zu gestalten."

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