Konzert:Vom anderen Stern

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Farben und Klänge verschmelzen beim Konzert "Monday Morning Retox" von Thorsten Quaeschning im Gautinger Bosco. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Thorsten Quaeschning lässt im Gautinger Bosco sphärische Klänge und fantastische Bildwelten verschmelzen.

Von Reinhard Palmer, Gauting

Als Thorsten Quaeschning 1977 in Berlin geboren wurde, war die Entwicklung der elektronischen Musik zwar noch in den Kinderschuhen, doch im Nachhinein betrachtet schon von großem Einfluss auf die U-Musik weltweit. Spätere Musikrichtungen wie House und Techno gehen letztlich auf den deutschen Elektropop der Gruppe Kraftwerk zurück. Für Puristen entstand aber auch ein eigenes, vorrangig vom Franzosen Jean-Michel Jarre vertretenes Genre, mit dem nun erstmals solistisch Quaeschning das Gautinger Bosco beehrte. Seit 2005 ist er offiziell Mitglied der legendären Gruppe Tangerine Dream, zu der er als Techniker schon zwei Jahre zuvor gestoßen war. Seit dem Tod des Gründers Edgar Froese 2015 - an dessen neuntem Todestag Quaeschning zufällig die Magie von einem anderen Stern ins Bosco brachte - leitet er das aktuelle Trio künstlerisch.

Ursprünglich war der Synthesizer nur eine Zutat des Krautrocks der fünfköpfigen Band, die aber ganz neue Klangwelten eröffnete. Dass die Gruppe heute nur noch drei Mitglieder zählt, ist eine konsequente Folge des allmählichen Umstiegs in die synthetische Klangerzeugung, für die sich schon in den 1970er-Jahren ein großes Publikum empfänglich zeigte. Letztlich kommt die heutige Musikelektronik, die ja programmiert werden kann, mit einem einzigen Musiker aus, wie Quaeschning einem Magier gleich in einem physikalischen Versuchslabor eindrucksvoll demonstrierte. In einem Kreis von bunt blinkenden Geräten voller Knöpfe, Regler und Verbindungskabel griff er aber auch in die Tasten, vor allem um weitschweifende Melodien in unermessliche Weiten zu schicken.

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Von der Musik gesteuerte Bildprojektionen mit fantastischen Welten aus reellen Bildern und abstrakten Gebilden, nicht selten komplexen sphärischen Computergrafiken, gehörten schon sehr früh zum Bühnenaufbau in den Konzerten. Eberhard Schoener, ursprünglich Geiger und Kapellmeister, tourte sogar mit einer Lasershow weltweit. Wer übrigens eine Vorstellung von den Anfängen der musikalischen Technik bekommen will, schaut sich am besten dessen modularen Moog IIIp-Synthesizer von damals im Deutschen Museum in München an. Schoener schlug später den Weg zur Filmmusik ein. Ein Genre, das Tangerine Dream zwar nicht anstrebte, aber mit einzelnen Songs auch dort präsent ist.

Was diese Generation von Musikern von den heutigen unterscheidet, ist das musikalische Denken aus der Anwendung ursprünglicher, teils klassischer Musikinstrumente heraus. Immer wieder kam es auch zur Zusammenarbeit mit Instrumentalisten anderer Genres. Schoener musizierte gar mit klassischem Orchester, aber auch mit Sting, Andy Summer (beide noch vor Gründung von The Police) oder mit dem Jazzsaxofonisten der Band Passport, Olaf Kübler. Multiinstrumentalist Quaeschning nutzt "natürliche" Klangfärbungen von Instrumenten, im Sinne der Musique concrète aber auch jegliche Art von Geräuschen, um zu seinen Kreationen zu gelangen. Die Vorführung, wie er vom Regenprasseln und fernem Glockengeläut zu einer monumentalen, geradezu symphonischen Fülle von intergalaktischer Tragweite gelangte, gab eine Kostprobe seiner Methodik.

Manchmal greift Thorsten Quaeschning auch in die Tasten. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Doch seine Klangwelten bestehen auch mal nur aus Geräuschen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Für die ekstatische Wirkung ist meist ein gnadenlos hämmerndes Schlagwerk verantwortlich, was schon früh dafür sorgte, dass die Musik den Weg in die Diskotheken fand und als Tanzmusik in House und Techno weiterentwickelt wurde. Die Grundstruktur aus ostinaten Begleitfiguren von beträchtlicher Lautstärke und unerbittlicher Monotonie ist die hypnotische Zutat. Nicht zuletzt auch dank der fremdartigen Klänge wie der strukturellen Dichte, die jeden Versuch analytischen Hörens vereiteln. In den Bässen brachte dieses Gerüst auch den ganzen Saal zum Vibrieren, was das Spüren der Musik bis in die Eingeweide hinein bewirkte. Halt boten in dieser Überflutung melodische Linien, die schnell ins Reich der Träume entführten. Obgleich nur hauchdünn aus der Klangmasse herausragend, sorgt dieses Element für eine sphärische Wirkung.

Diese Art der elektronischen Musik verlangt deshalb ein anderes Hören. Nur wer sich bereitwillig in die Klangmassen stürzt, kann die fantastischen Welten darin erleben, die der eigenen Fantasie viel Raum lassen. Das Revolutionieren der tradierten Hörgewohnheiten zum Wahrnehmen mit allen Sinnen und mit ganzem Körper ist denn wohl auch der wichtigste Beitrag dieses Genres zur Entwicklung der modernen Musikarten. Aber auch sie selbst hat offenbar noch reichlich Fans, die sich in Gauting noch eine Zugabe erjubelten.

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