Seekuhhof in Dießen:Biobauer mit buntem Profil

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Maximilian Knoller bewirtschaftet mit seinen Eltern den Seekuhhof in Dießen und ist als "Hoffluencer" auf Instagram und Facebook aktiv. (Foto: Georgine Treybal)

Kinder adoptieren Kälber, Kühe genießen ihre Komfortzone und der Jungbauer agiert im Internet als "Hoffluencer": Die Herrschinger Bauernschule hat ihren ehemaligen Absolventen Maximilian Knoller ausgezeichnet.

Von Armin Greune, Dießen

Wacher Blick hinter dickrandiger Brille, Brilli im Ohr, lupenreines Hochdeutsch: Einen bayerischen Bilderbuchbauern stellt man sich anders vor. Maximilian Knoller ist im Internet ebenso unterwegs wie im Stall, klärt auf Facebook und Instagram über seinen Berufsstand auf und hat so mehrere Tausend Follower erreicht. Der 29-jährige Dießener engagiert sich seit fast zwei Jahren im Gemeinderat seines Heimatortes und ist seit diesem Jahr auch im Öko-Arbeitskreis des Bauernverbands. Er zählt sich zur queeren Community und macht aus seiner sexuellen Orientierung keinen Hehl: "Von schwarz-weiß zu bunt" ist sein Motto.

Nicht obwohl, sondern gerade weil Knoller dem traditionellen Verständnis des Bauernstands komplett widerspricht, ist er gerade von der Bayerischen Schule der Landwirtschaft zur "Herrschinger Erfolgsgeschichte" Nummer eins erklärt worden. Anlässlich des 75-jährigen Bestehens hatte die als Landvolkshochschule gestartete Fortbildungseinrichtung einen Wettbewerb ausgerufen. 40 ehemalige Absolventen reichten ihre persönlichen Erfolgsgeschichten ein. Unter den zehn Ausgezeichneten findet sich auch Uli Ernst, vielseitiger Biobauer und Coach aus Utting - doch den ersten Preis sprach die Jury Knoller zu. Sie war beeindruckt von dessen "Motivation, seinen beruflichen Weg zu gehen, dabei seine Bedürfnisse nicht aus dem Blick zu verlieren und immer wieder auch über den Tellerrand zu schauen", heißt es in einer Presseerklärung zum Festabend, der kürzlich mit Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) in Herrsching stattfand.

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Gemeinsam mit seinen Eltern Annett und Josef bewirtschaftet Max Knoller in dritter Generation einen Milchviehhof an der Vogelherdstraße in Dießen. Wenn zur Erntesaison Hochbetrieb herrscht, packen auch sein Mann Daniel, Schwester Johanna und Bruder Tobias mit an. Der Hofname ist zumindest im zoologischen Sinne ein wenig irreführend: Im "Seekuhhof" gibt es natürlich weder Dugongs noch Manatis zu bestaunen. Eher vielleicht mal Nandus, jedenfalls liebäugelt Max Knoller gerade mit den südamerikanischen Laufvögeln.

Regenbogen, Kuh und Huhn: Das Emblem für den Seekuhhof hat Max Knollers Schwester Johanna entworfen. (Foto: Georgine Treybal)

Vorerst aber muss man sich beim allzeit willkommenen Hofbesuch mit Hund Abby, den beiden Ziegen Bärbel und Bianca, Katzen und einer bunten, rund 15-köpfigen Hühnerschar bescheiden. Abgesehen von den 85 Milchkühen, zwei Mastrindern für den Fleischbedarf der Familie, dem Deckbullen "Mython" sowie derzeit einem Dutzend kleiner und sechs größeren Kälber. Die letzten beiden seien erst vor Kurzem zur Welt gekommen, sagt Knoller. Demnächst werden sie einen kleinen Taufpaten erhalten - wie viele der gut 80 Kälber, die im Seekuhhof jährlich geboren werden. Bei den häufigen Visiten des benachbarten Kindergartens darf dann ein kleiner Besucher den Namen für ein Neugeborenes aussuchen. Oft entstehen mit dieser Art von Adoption individuelle, anhaltende Freundschaften zwischen Kind und Kalb, erzählt Knoller.

Das jüngste Kalb wartet noch auf einen Namenspaten aus dem gegenüberliegenden Kindergarten im SOS-Dorf. (Foto: Georgine Treybal)

Zur Tradition der regelmäßigen Kindergruppenbesuche gehört auch das abschließende Eisessen. "Das ist ein festes Ritual, auch im tiefsten Winter", sagt der Jungbauer. In seinem Verkaufshäuschen gibt es Bauernhofeis aus Mering im Automaten. Vor allem aber wird dort die Seekuhhof-Milch vermarktet. Zum Preis von 1,20 Euro pro Liter erhalten Verbraucher rund um die Uhr und in jeder gewünschten Abfüllmenge oberhalb von einem Viertelliter Rohmilch in bester Bioqualität. Und mit optimaler Ökobilanz: Ohne Aufbereitung, Verpackung und Lagerung kommt die Milch auf denkbar kurzem Vertriebsweg frisch aus dem Stall.

Der Hofladen wurde 2019 gebaut, der Eisautomat rechts findet auch im Winter seine Abnehmer. (Foto: Georgine Treybal)

Im Gästebuch und auf Zetteln an der Holzwand des Hofladens haben Kunden ihre Kommentare hinterlassen. "Super Idee, kommen sicher öfter", steht da. Oder: "Eine Bereicherung". Letzteres hatten anfangs unehrliche Abnehmer wohl als Aufforderung verstanden: Sie bedienten sich, ohne zu zahlen oder brachen gar die Kasse auf. Ein halbes Jahr nach der Ladenöffnung musste die Landwirtsfamilie wider Willen das Prinzip der Vertrauenskasse aufgeben. Vor einem Jahr hat man im Hofladen auch den Vertrieb von Freilandeiern eingestellt. "Es hat sich nicht gerechnet", sagt Knoller. Die Hühner waren im Mobil untergebracht und durften unter anderem im nahen Schacky-Park weiden. Aber der Habicht forderte einen zu hohen Tribut. Nun scharren die Reste der einst stattlichen Schar unter der Obhut von Annett Knoller im Gemüsebeet des Hausgartens.

Die Selbstvermarktung ist noch lange nicht aus den roten Zahlen gekommen. Der Verkaufsautomat ist einer von fünf im Dießener Gemeindegebiet. Um sich zu amortisieren, müssten über das Zapfgerät 20 000 Liter Milch abgesetzt werden. Doch noch gehen lediglich zwei Prozent der täglichen Produktion von etwa 1000 Liter in den Direktverkauf. Den größten Teil holt eine konventionelle Molkerei ab, die Biomilch nicht verarbeiten kann und separat weiter vertreibt. Im Hofladen sei der Absatz während der Pandemie merklich angestiegen, nach dem Lockdown aber wieder zurückgegangen. Gerade wachse die Nachfrage wieder langsam, erzählt Knoller.

Ein Liter Bio-Rohmilch für 1,20 Euro - und doch hat sich der kostspielige Milch-Automat im Seekuhhof noch nicht amortisiert. (Foto: Georgine Treybal)

Die Direktvermarktung ist auf seine Anregung hin 2019 eingeführt worden. Kurz darauf erfolgte die Umstellung des Betriebs auf die anspruchsvollen Naturland-Richtlinien. Die Konversion sei "mit 20 000 bis 30 000 Euro nicht so teuer gewesen, weil mein Vater schon zuvor Düngereinsatz, Flächen- und Futtermittelverbrauch reduziert hatte", sagt Max Knoller. Vater hatte den Hof 1989 von der Schützenstraße in Dießens Zentrum an den südlichen Ortsrand verlegt, errichtete einen Laufstall und modernisierte die Melktechnik. 2012 ließ er einen Kälberstall mit Auslauf bauen, zwei Jahre später kam ein neuer Kuhstall mit Außenklimabedingungen dazu.

Komfortzone für Kühe: Die Massagebürste nehmen die Tiere gern in Anspruch. (Foto: Georgine Treybal)

Zwischen den Gebäuden ist nun eine Komfortzone für die Tiere mit Regenwasserdusche und Viehputzbürste eingerichtet. Dort befindet sich auch die Kraftfutterstation: Davor stehen die Kühe, die sich im Stall frei bewegen können, Schlange wie Kinder im Sommer vor dem Freibad-Kiosk. Bei den Rindern stellt allerdings ein Halsbandsender sicher, dass jedes Individuum nur die Ration Leckerlis erhält, die ihm auch bekommt. Das übrige Futter produziert der Hof selbst. Die Knollers bewirtschaften 65 Hektar Wiesen, zehn Hektar Schilf zur Einstreu und 20 Hektar Äcker: Im jährlichen Flächenwechsel werden darauf fünf verschiedene Futterpflanzen angebaut, heuer waren es etwa Hafer, Ackerbohnen, Gerste, Triticale und Luzerne - zum Teil in Mischkultur.

Als Hofbesucher fragt man sich zwangsläufig, woher Max Knoller die Zeit für seine Internetpräsenz nimmt. Auf Instagram hat er 5000 Follower und äußert sich zu landwirtschaftlichen Problemen oder gesellschafts- und lokalpolitischen Fragen. Mit seinem Outing vermittelt er der Community, dass sich Bauer und schwul sein nicht ausschließt. Knoller ist einer der "Hoffluencer", die Kaniber im Frühjahr dieses Jahres mit großem Medienecho empfangen hat.

Auf Facebook beweist der Dießener auch seinen Humor. So gibt er etwa vor der Kamera einen satirischen Kochkurs und bereitet eine wenig appetitliche "Beuschelsuppe" zu, in der sich ein Meterstab, Softdrinkdosen, Pappbecher und anderer Unrat einfinden, den er von der Weide eingesammelt hat. Bei der Wählervereinigung Dießener Bürger verkündet Knoller: "Ich freue mich, meinen Beitrag zum stetigen Wandel der Gemeinde bei den Dießener Bürgern leisten zu können". Das klingt für einen 29-Jährigen schon sehr nach altklugem Politikersprech.

Nur den Winter verbringen die Milchkühe im Stall. (Foto: Georgine Treybal)

Für Max Knoller war schon immer klar, dass er Bauer werden wollte. Einer höheren Schulbildung zog er die Landwirtschaftslehre vor, die er zum Teil im Staatsgut Achselschwang absolvierte. Nach dem Abschluss bildete er sich zwei Jahre lang in der Staatlichen Technikerschule für Agrarwirtschaft in Triesdorf fort. Am Grundkurs in Herrsching nahm er teil, um "den Horizont rhetorisch, menschlich, fachlich zu erweitern."

Im Erfahrungsaustausch mit jungen Kollegen lernte er interessante Betriebszweige und unterschiedliche Lebenssituationen kennen, Themen wie Hofübergabe und Direktvermarktung wurden aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. "Außerdem wertschätze ich unseren Hof jetzt viel stärker. Lage und Wetter sind längst nicht überall so gut wie bei uns", sagt Knoller. Die geografische Situation des Seekuhhofes vis-à-vis des SOS-Kinderdorfs hat auch nicht unbeträchtlich zu seiner Existenz beigetragen. Nur dort konnten sich die Wege des bodenständigen Vaters und der Mutter kreuzen, einer Berlinerin, die gegenüber vom Hof als Erzieherin arbeitete.

Künstliche Besamung? Nein, danke! Auf dem Seekuhhof kommt Deckbulle Mython zum Einsatz. (Foto: Georgine Treybal)

Im Anschluss an den Grundkurs besuchte Knoller weitere Seminare an der Landwirtschaftsschule wie das BUS-Unternehmertraining, das er von 2019 bis 2022 absolvierte. Er nahm daraus neue Ideen für den Familienbetrieb mit, wie in die Digitalisierung zu investieren. Er bekam dabei aber auch Rhetorik und Verhandlungsstrategien vermittelt, die er bei Diskussionen über die Hofentwicklung in der Familie anwenden kann. "Man lernt, seine Ideen argumentativ zu stärken", sagt Knoller.

Die Geschichte mit den Nandus, jenen Laufvögeln, die Knoller gerne auf seinem Hof ansiedeln würde, ist wohl eher halb ernst gemeint. Schon eher verfolgt er den Plan, allmählich Jersey-Rinder in seine Zucht aus Simmentaler Fleckvieh einkreuzen. Die relativ zierliche Rasse von der britischen Kanalinsel gibt zwar weniger, dafür aber fett- und eiweißreichere Milch. Und Max Knoller überlegt, einen Bereich des Stalls umzubauen, um die kleinen Kälber früher aus den Boxen in eine "muttergebundene Aufzucht" zu entlassen. Doch damit wäre eine größere Investition verbunden.

Streichelziegen für die Hofbesucher: Bärbel und Bianca. (Foto: Georgine Treybal)

Ob er mit seinen Neuerungen im Betrieb in ökonomischer Hinsicht eine echte "Erfolgsgeschichte" schreibt, steht noch offen. In ökologischer Hinsicht ist sie es auf jeden Fall: Auf Glyphosat, Gentechnik und Kunstdünger wird verzichtet, im Getreidebau werden Hacke und Striegel zum mechanischen Pflanzenschutz eingesetzt. Den Verbrauchern bietet der Seekuhhof nachhaltige, transparente Lebensmittelproduktion für den lokalen Markt.

Und das Tierwohl hat für die Familie oberste Priorität: Von Mai bis Oktober leben die Rinder auf der Weide, können sich aber auch in den Stall zurückziehen, wenn es ihnen zu heiß wird - oder der Leckerli-Automat lockt.

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