Kultur:Kniffliges Austarieren

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Mal warm, mal dramatisch: ein Konzert voller Differenzierungen. (Foto: Georgine Treybal)

Beim Herbstkonzert im Dießener Marienmünster spielt der hauseigene Kirchenmusiker mit zahlreichen Kontrasten.

Von Reinhard Palmer, Dießen

Wie begeht man musikalisch die 400-Jahr-Feier der Buchdruckerfindung durch Johannes Gutenberg? Diese Frage ist umso schwieriger, als da seinerzeit vom Rat der Stadt Leipzig eine Mischung aus Sinfonie und Kantate gewünscht war. Dass selbst ein hochintelligenter Komponist wie Felix Mendelssohn angesichts dieser Aufgabe in Bedrängnis geriet, ist daher kaum verwunderlich, mal abgesehen davon, dass er ohnehin in einer Schaffenskrise steckte.

Die Gattung der Chorsymphonie war 1839 noch nicht erfunden, auch wenn Beethovens Neunte schon 1824 dafür eine Steilvorlage im großen Stil geliefert hatte. Vor allem in der geistlichen Musik kommt zwar die Kombination aus Instrumental- und Vokalmusik an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert bereits vor, doch dürfte Mendelssohn eher die jüngere Form der sinfonischen Dichtung im Fokus gehabt haben. Der "Lobgesang", den Mendelssohn 1840 unter der Bezeichnung "Sinfonische Kantate" für Orchester, gemischten Chor sowie zwei Soprane und einen Tenor ablieferte, ist also kein leicht zu knackendes Werk, dem sich da der Dießener Kirchenmusiker am Marienmünster, Stephan Ronkov, am Sonntagabend mit großen Gesten stellte.

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Das Publikum der Münsterkonzerte machte es aber neugierig genug, um das eisige Marienmünster fast gänzlich zu füllen. In der Regel spricht man von zwei Teilen des Werkes, einer rein instrumentalen Sinfonie und einer Kantate. Doch die durchgehende thematische Arbeit verweist eher auf die Betrachtung als eine nahtlose Einheit, zumal die Singstimmen bisweilen als Teil des Orchesters, hier des vielseitigen Ensembles Lodron aus München agieren und ihre Parts zu Trägern typisch sinfonischer Entwicklungen mutieren.

Dass in dem Fall anstelle profaner Dichtung biblische Texte den Inhalt bestimmen, liegt vom Anlass her auf der Hand, schließlich erprobte Gutenberg den Buchdruck zunächst an der Bibel. Doch erlaubt der Verlauf des Werkes den Schluss, dass Mendelssohn die Auswahl der Texte einer musikalischen Choreografie unterwarf. Ronkov tat daher gut daran, keine signifikanten Lücken zwischen den einzelnen Teilen der Kantate entstehen zu lassen, um die große Form nicht aufzubrechen. Der Einsatz des großen Orchesters samt Blechbläsern verweist darüber hinaus auf ein reichhaltiges Klangfarbenkonzept, das schon zu Beginn der Sinfonia durch ein kontrastreiches Dialogisieren zum musikalischen Thema wird.

Der Schlusschor ist raffiniert inszeniert

Damit verbunden arbeitete Ronkov die zwei Hauptcharaktere - hymnisch groß und geschmeidig bewegt - ausgeprägt heraus, die es im Folgenden in unzähligen Farbvarianten und dramaturgischen Schattierungen immer wieder neu zu erfinden galt. Das war wohl auch der Grund für Ronkov, die Sopranstimmen mit einer lyrischen, warmen Stimme (Bettina Gfeller) und einer dramatischen, impulsiven (Danielle Zuber) zu besetzen. Die Kontrastwirkung der Soloparts brachte eine weitere Differenzierung ins Spiel, was allerdings im langsamen Duett "Ich harrete des Herrn, und er neigte sich zu mir" klanglich nur schwer homogen auszutarieren war.

Das warme Timbre des Tenors Konstantin Igl machte indes das Duett mit Gfeller "Drum sing' ich mit meinem Liede" zu einem stimmigen Höhepunkt. Als großer Meister des Chorgesangs hatte Mendelssohn keine Mühe, die sinfonischen Gedanken in den Chören nahtlos fortzusetzen. Den Münster-Projektchor unter Beteiligung des Kirchenchores Schondorf (Einstudierung Erich Unterholzner) nutzte Ronkov als eine klanglich relativ konstante Klammer, die alle Bestandteile zusammenzuhalten hatte. Zwar hätte man sich gelegentlich mehr schönmusikalische Sommernachtstraum-Atomsphäre gewünscht, für die das Werk durchaus auch Material bietet.

Doch wäre der Weg zu den großen hymnischen, durchaus dramatischeren Entwicklungen möglicherweise eine allzu weite Reise für den Chor, der sich in den strahlenden Registern offensichtlich wohler fühlt. Und das kam insbesondere im raffiniert inszenierten Schlusschor besonders gut zur Geltung. Die Lobeshymnen auf den Herrn im Text zeigten sich hier besonders stimmig mit dem sinfonischen Höhepunkt, vom Ensemble Lodron mit unterschwelliger Spannung erfüllt. Die begeisterten Ovationen unterbrach Ronkov bald, um noch als Reaktion auf die Situation im Nahen Osten eine musikalische Friedensbotschaft dranzuhängen.

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