Wenn es in ihren Werkstätten brodelt, dann ist Maria Mayer ganz in ihrem Element: Entdecken, Erforschen und Erschaffen - die 32-jährige Textilkünstlerin setzt auf selbst hergestellte Farben aus Pflanzen und neue Werkstoffe aus Pilzen. Und für Interessierte gibt es unter ihrer Leitung Workshops, wie man aus Altkleidern neue Mode fertigt. Dafür benutzt die gelernte Maßschneiderin und Kunsthochschulabsolventin im Fachbereich Mode gleich drei Arbeitsplätze: Ein Labor im häuslichen Umfeld, das sie liebevoll "Hexenküche" nennt, und zwei Werkstätten in der "Freien Kunstanstalt Dießen".
Mit Mode befasst sich Mayer am längsten, schon seit 20 Jahren arbeitet sie an und mit der Nähmaschine. Im Alter von zwölf Jahren begann sie, sich mit Kleidung zu beschäftigen. Ungefähr im gleichen Alter sind nun auch die Mädchen, die erstmals bei Mayers "Refashion-Workshop" dabei sind: Der Kurs ist ein Dauerläufer, für den sie 2021 ein Projektstipendium der "Stiftung Erlebnis Kunst" bekommen hat. Mayer bietet den Teilnehmerinnen dabei einen Freiraum, an dem allerlei Werkzeuge - Ösen- und Nietenzangen, Overlock-Maschine und Nähmaschinen - bereitstehen. Kleine Reparaturen, putzen und ölen - das alles erledigt Mayer selbst, berichtet sie. Denn die Nähmaschine ist ein komplexes Gerät, bei dem es schnell mal haken kann.
In der Werkstatt ist eine Schneiderpuppe mit Plastik umwickelt, derzeit finden im Kurs Experimente mit dem Werkstoff Latex statt. Mayer klärt auch darüber auf, welche Auswirkungen "Fast Fashion" - also das rasant schnelle Kopieren neuester Modetrends zu niedrigsten Preisen - hat oder wenn etwa ein T-Shirt nur zwei Euro kostet. "Wir zerlegen ein T-Shirt in alle Bestandteile und gehen die einzelnen Arbeitsschritte durch", erzählt sie. Eine Aufgabe für die Kursteilnehmerinnen: Sie sollen aus drei ausrangierten T-Shirts ein neues herstellen. Einfach in den Stoff hineinschneiden - auch das sei ein Freiraum.
Wie soll etwas aussehen, das ich anhabe? Was passt zu mir? Das sind wichtige Fragen, um für sich selbst Kleidung zu kreieren. "Das ist total individuell", sagt Mayer. Zumal jeder Körper anders auf bestimmte Kleidungsformen reagiere. "Ich staune oft, was da entsteht", sagt Mayer. Höhepunkt ist die jährliche Modenschau, bei der die Teilnehmerinnen ihre Werke präsentieren. Mayer bietet Refashion-Workshops auch auf Festivals und in Jugendzentren an. Bislang bleiben die Mädchen zwar unter sich, aber grundsätzlich stehe der Kurs allen offen.
Mayer ist gebürtige Münchnerin, wuchs in Weilheim auf, machte 2010 am dortigen Gymnasium Abitur. Schon als Schülerin hatte sie einen klaren Wunsch: Sie wollte Maßschneiderin werden. Beim Bayerischen Staatsschauspiel schloss sie ihre Ausbildung im Fachbereich Herren als Innungssiegerin, Kammersiegerin und dritte Bundessiegerin ab, beim Wettbewerb "Die Gute Form" wurde sie Zweite. Eine Bewerbung an der Kunsthochschule war für Mayer dennoch nicht selbstverständlich. Sie bewarb sich - dank Unterstützung einer Mentorin - schließlich an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle (Sachsen-Anhalt) im Fachbereich Mode mit Schwerpunkt Textildesign und wurde prompt genommen. Zudem absolvierte sie ein Gastsemester in Malerei/Glas. Nach Aufenthalten als Artist in Residence in Galan (Frankreich) und Stipendiatin in Barcelona (Spanien) schloss sie das Studium 2019 mit dem akademischen Grad "Bachelor of Arts" ab.
Seit drei Jahren lebt sie mit den heute drei und fünf Jahre alten Töchtern und ihrem Partner in Dießen. Der Ort am Ammersee bietet für sie als Künstlerin viel Inspiration. Bei einer Demonstration im Ort wurde sie auf die "Freie Kunstanstalt" aufmerksam: Mayer freute sich auf die Arbeitsmöglichkeiten und den Austausch mit anderen Kunstschaffenden. Seit Mai 2023 engagiert sie sich auch als Stellvertreterin im Vorstand, zudem ist sie Mitglied im Berufsverband Bildende Künstler (BBK) und im Berufsverband für Kunsthandwerk.
Aktuell arbeitet sie auch noch an der Stickmaschine in der Textilwerkstatt vom "Makerspace München". Hier geht es um Bio-Design: Zwischen zwei bestickten Lagen bringt sie ein Pilzsubstrat aus. So kann die Künstlerin das gestickte Muster "wachsen lassen". Mayer forscht dabei "mit den Händen in der Petrischale", wie sie es ausdrückt. Erfahrungen mit Pilzen zur Rohstofferzeugung sammelte sie bereits in Barcelona: Dort wuchs der Kombucha-Pilz in mit Tee gefüllten Wannen auf eine imposante Größe von eineinhalb Metern bis zwei Metern - ein sehr spannender Prozess. Das so entstandene Material "fühlt sich wie Leder an", erzählt Mayer.
Bekannter sind ihre Färbearbeiten. So experimentierte sie 2020 im Rahmen eines Arbeitsstipendiums der Kunststiftung Sachsen-Anhalt mit Farbstudien. "Farben einer Stadt" wurde 2022 mit dem dritten Preis für "Junges Kunsthandwerk" vom Bayerischen Kunstgewerbeverein ausgezeichnet. Dafür hatte sie viele Pflanzen gesammelt und mit Rinden, Blüten, Blättern und Wurzeln Stoffe gefärbt. In den feinen Stoffschichten wird die Pflanzenwelt dokumentiert. In der Stadt Halle dominiert die Farbe Gelb, kaum zu finden waren dagegen Rottöne.
Dieses Jahr war sie im Rahmen des Projektstipendiums "Experimentelle Kartografie der Stadt München" unterwegs; das Projekt wurde gefördert durch den bayerischen "Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler". Es entstanden kolorierte Karten: Am Marienplatz sammelte sie etwa Pflanzenteile aus den Pflanztrögen ein, was etwas Rosa in den Farbpunkt zauberte. Aus dem Material stellte sie Pigmente her, die sie dann zu Aquarell-Farben verarbeitet. Mehr als 250 Karten verteilte sie an verschiedenen Orten an Anwohner, die so ihren Lebensraum in der Stadt wahrnehmen konnten.
Wenn es in ihrem Labor brodelt, dann ist meist ein Färbeprozess im Gange. Die Schilfblüte vom Ammersee zum Beispiel erzeugt ein fast olivfarbenes Grün. Mit Eisensulfat, ein Salz, verändert sie den Farbstoff, der dann vornehmlich dunkler wird. Hier konnte sie im vergangenen Jahr dank eines Arbeitsstipendiums des bayerischen Wirtschaftsministeriums mit Drucken experimentieren, es entstand eine Serie.
Ihre kleine Schatzkiste ist vollgepackt mit gefärbten Stoffen: Liebevoll streicht sie darüber und erzählt zu jedem Stück, aus welcher Pflanze und mit welchen Zusätzen der Farbton entstanden ist. Es dominieren grüne und gelbe Töne, für leuchtende Farben braucht sie Pflanzen aus anderen Ländern - etwa die Krappwurzel, eine traditionelle Färbepflanze aus der Türkei oder Iran, die "richtig schön rot färben" kann. Mayer arbeitet stets mit Ausdauer und viel Experimentierfreude an ihren spannenden Projekten. Aber die "Kunst ist immer im Kopf", sagt Mayer.