Brückenbau mit Hindernissen:Kampf um die Birkenallee

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Wird nachts gesperrt: Auto- und Radfahrer auf der vielbefahrenen Birkenallee zwischen Dießen und Fischen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Staatliche Bauamt will die Verbindung zwischen Dießen und Fischen ausbauen und ein marodes Bauwerk über die Ammer ersetzen. Naturschutzverbände sind wild entschlossen, dafür keinen Grund abzutreten - ein Ende des Streits ist nicht abzusehen.

Von Armin Greune, Dießen

Seit sieben Jahren ist vorgesehen, die angeschlagene alte Brücke über die Neue Ammer in der Birkenallee zu ersetzen: Ein zähes Planfeststellungsverfahren, das sich in die Länge zieht. Schließlich sind die Auflagen und Beschränkungen im Naturschutzgebiet und für den Artenerhalt europaweit bedeutenden Natura-2000-Reservat mannigfaltig. Dennoch plant das Staatliche Tiefbauamt Weilheim unverdrossen nicht nur Abriss und Neubau des maroden Bauwerks, sondern auch die Verbreiterung und Begradigung der Staatsstraße 2056. Auf mehr als 600 Metern Strecke müssten 39 Birken gefällt werden. Ziel dabei ist offenbar auch, auf der Birkenallee die derzeit auf 70 beziehungsweise 50 Stundenkilometer begrenzte Höchstgeschwindigkeit wieder auf Tempo 80 zu erhöhen - ein Vorhaben, das bei Naturschutzverbänden und Polizei auf geballtes Unverständnis stößt.

Die Birkenallee - direkte Verbindung von Dießen nach Herrsching, Starnberg und München - war jahrzehntelang als Schauplatz schwerster Unfälle bekannt. In den vergangenen Jahren hatte sich die Situation auf der überwiegend nur 5,50 Meter breiten Staatsstraße allerdings deutlich entschärft. Im Bereich der Brücke habe sich Tempo 50 als sinnvoll erwiesen, die Unfallzahlen dort seien rapide gesunken, sagt Michael Jahn, Sachbearbeiter für Verkehr bei der Polizeidirektion Weilheim: "Diese Maßnahme war schon zu begrüßen." Schließlich sei der Wanderparkplatz gleich hinter der Brücke für Autofahrer aus Richtung Dießen nur schwer einzusehen. In diesem Bereich, für den die Weilheimer Beamten zuständig sind, gilt die Birkenallee schon länger nicht mehr als Verkehrsrisiko: Zuletzt hatte dort die Zentralstelle für Verkehrssicherheit in den Jahren 2003 bis 2005 eine auffällige Unfallhäufung registriert, sagt Jahn.

Ein Unfallschwerpunkt wurde mit dem Bau einer neuen Brücke über den Altammerarm entschärft

Weiter westlich dagegen - hier ist die Polizeiinspektion Dießen zuständig - ereigneten sich noch 2008 und 2010 auf der Birkenallee Unfälle mit Schwerverletzten und Toten. Ein Unfallschwerpunkt konnte offenbar mit dem Bau einer neuen Brücke über den Altammerarm entschärft werden, die Ende 2010 für den Verkehr freigegeben wurde. Die zuvor auch von Dießener Kommunalpolitikern geäußerte Forderungen nach einer Verlegung oder einem Vollausbau der St 2056 waren aber auch damals schon aus naturschutzrechtlichen Gründen illusorisch. Das Straßenbauamt ließ die Streckenführung dennoch geringfügig korrigieren, Leitplanken aufstellen und einen griffigeren Fahrbahnbelag auftragen.

Nur ein Unfall von vielen auf der schmalen Birkenallee: Pfingsten 2006 rutsche eine vierköpfige Familie aus Österreich von der Straße und landete in einem Entwässerungsgraben. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

An der zweiten Birkenalleebrücke kurz vor Fischen sind freilich viel massivere Eingriffe in die Natur vorgesehen. Die Pläne finden sich auf der Homepage des Bauamtes unter "Aktuelle Planfeststellungen": Die Fahrbahn soll östlich der Brücke auf knapp 300 Metern Länge sieben Meter breit werden. Die Breite in Richtung Dießen dagegen wird auf weiteren 300 Metern Strecke von acht auf 5,50 Meter zurückgeführt, beidseitig sind zudem 1,50 Meter breite Bankettstreifen vorgesehen. 3500 Quadratmeter Fläche würden so dauerhaft versiegelt, auch Teile des Naturschutzgebiets wären betroffen. Westlich der Brücke soll der Kurvenradius von derzeit 150 auf 450 Meter erweitert werden. Bei einem derartigen Ausbau müssten 39 der landschaftsprägenden Birken gefällt werden, denen die 1618 erstmals als Hochdamm urkundlich erwähnte Allee ihren Populärnamen verdankt.

Darüber hinaus würden der großzügigen Trassenführung ökologisch hochwertigen Naturschutzgebiets geopfert. Laut Planfeststellungsunterlagen würden "zirka 1300 Quadratmeter Biotope durch die Baumaßnahmen unmittelbar beschädigt": mehr als die Hälfte davon irreparabel, 550 Quadratmeter eventuell nur temporär. Sie werden während der Bauzeit für eine Behelfsumfahrung benötigt. Das Bauamt geht davon aus, dass die Biotope wieder hergestellt werden könnten.

Naturschutzverbände protestieren: Bliebe es bei Tempo 50 im Brückenbereich, wäre eine Verlegung der Einfahrten unnötig

Die örtlichen Naturschutzverbände sind freilich nicht nur in diesem Punkt ganz anderer Auffassung. In einem aktuellen Schreiben ans Bauamt, das der SZ vorliegt, lehnen Bund Naturschutz (BN) und Schutzgemeinschaft Ammersee (SGA) den Ausbau dieses Streckenabschnittes dezidiert ab. Die Planung ergebe - abgesehen vom Neubau der Brücke - keinen Sinn: "Solcherlei Bauvorhaben sind nicht mehr zeitgemäß und entsprechen auch nicht den Vorgaben zum sparsamen Umgang mit öffentlichen Finanzmitteln sowie Grund und Boden", heißt es am Ende des Schreibens. Beide Verbände sind zudem auch als Grundstückseigentümer betroffen. Ihnen gehören Streifen an der Nordseite der Birkenallee, in der Summe gut 1000 Quadratmeter, die für den Straßenbau erworben müssten. Die Verbände meinen, wenn Tempo 50 im Brückenbereich beibehalten werde, sei eine Verlegung der Einfahrten unnötig - und somit entfalle auch der Grund für die Flächenabtretungen. Für den Ausbau der Bankette lasse sich aus Sicht der Naturschützer ebenfalls kein sachlicher Grund finden.

Die Planung sei nur damit erklären, "dass eine Rennstrecke entstehen soll", sagt Helmut Hermann, BN-Kreisvorsitzender in Weilheim-Schongau und weist auf die daraus resultierenden Gefahren für Menschen und Tiere hin. Tatsächlich ist auf Seite 21 des landschaftspflegerischen Begleitplans zum Schallpegel auf der künftigen Brücke zu lesen: "Die zulässige Fahrgeschwindigkeit wird von 50 auf 80 km/h erhöht." Die damit verbundene zusätzliche Lärmbelastung ließe sich durch eine spezielle Deckschicht auf der Fahrbahn kompensieren. Noch rigoroser als Hermann nimmt SGA-Vorsitzender Reinhard Grießmeyer gegen Abholzaktion und Alleeausbau Stellung: Das Vorhaben sei "für uns nicht tragbar", "völlig abwegig" und wegen der Schutzregelungen gar nicht umsetzbar: "Wenn es sein muss, ziehen wir damit bis vor den Europäischen Gerichtshof."

Hochwasser an der Ammerbrücke: 2005 stieg das Wasser fast bis auf Höhe der Fahrbahn an. (Foto: Georgine Treybal)
Momentan hat die Ammer eher wenig Wasser. (Foto: Arlet Ulfers)

Eine gerichtliche Auseinandersetzung würde den Ersatz der 1933 errichteten und 1974 ausgebauten Brücke zumindest auf unbestimmte Zeit weiter verzögern. Noch im Juni 2015 meinte Sven Maertz, seinerzeit Abteilungsleiter für Straßenbau im Landkreis Weilheim-Schongau, in zwei bis drei Jahren sollte die alte Brücke über die Neue Ammer abgerissen sein. Geschehen ist seither aber nichts, wenn man von ein paar Erkundungsbohrungen absieht, die nun bald sieben Jahre zurückliegen.

Das Staatliche Bauamt sieht im Ausbau der Birkenallee einen "Beitrag zur Verkehrssicherheit"

"Es ist mein zweitschlechtestes Bauwerk", sagt Christoph Prause, Abteilungsleiter für Brücken- und Ingenieurbau im Weilheimer Bauamt und für 1550 Konstruktionen, darunter 870 Brücken in fünf Landkreisen zuständig. Er verteidigt den Ausbau der Birkenallee im Brückenbereich auch als Beitrag zur Verkehrssicherheit, weil die Strecke dann übersichtlicher werde. Was den Eingriff in die Natur betrifft, verweist er darauf, dass im Vorfeld zwei alternative Trassen geprüft wurden. Im Planentwurf wird die nun gewählte Variante als "optimale Lösung" bezeichnet, "um den Eingriff in das zu schützende Gebiet so gering wie möglich zu halten und andererseits um eine hohe Fahrdynamik sowie Fahrsicherheit zu gewährleisten". Momentan rechnet er damit, dass im Herbst 2024 die Arbeiten mit dem Aufbau einer Behelfsbrücke beginnen könnten. Voraussetzung sei allerdings, dass bis dahin alle Einwendungen gegen das Vorhaben erörtert, von der Regierung abgewogen und von den Betroffenen akzeptiert wäre. Der seit Jahren andauernde Konflikt mit dem Naturschutz lässt freilich wenig Raum für diese Hoffnung.

Rostschäden an der alten Ammerbrücke

Sie überspannt den größten Fluss des Fünfseenlandes als letztes Bauwerk, bevor sich die Ammer in ihren See ergießt. Der 1933 errichteten und 1974 ausgebauten Brücke hat Sven Maertz vom Bauamt bereits 2015 massive Mängel bescheinigt: Niederschlagswasser, Streusalz sowie die Hochwasser 1999, 2005 und 2013 hätten das Bauwerk stark angegriffen: An der Unterseite seien im Beton Rostflecken zu sehen, die Korrosion schreite fort. Da eine Sanierung wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll erscheine, bliebe nur ein Neubau.

Dieser soll nach derzeitigem Planentwurf gegenüber dem Bestand angehoben und mit einer lichten Weite von 13,80 Meter wesentlich breiter ausfallen. Der auf der jetzigen Brücke nur sehr schmale Geh- und Radweg auf der Nordseite wird auf vier Meter Kappennutzbreite erweitert, auf der Südseite ist ein 1,80 Meter breiter Not- und Betriebsweg geplant. Die acht Meter Straßenbreite wird damit begründet, dass so bei Instandhaltungsarbeiten eine einseitige Sperrung möglich wäre. Aufgrund des geringen Schwerverkehrs von weniger als 300 Lastwagen am Tag könnte man die Fahrbahn zwar auch auf sieben Meter reduzieren, für die Dauer von Brückenarbeiten müsste der Individualverkehr dann aber auf Umleitungen verlagert werden.

Um für künftige Fluten gerüstet zu sein, hat die künftige Brücke bei einem hundertjährlichen Hochwasserereignis einen Meter Freibord über der Ammer. Sie wird ohne Mittelpfeiler gebaut, an denen sich Treibgut sammeln könnte. Während der Bauzeit, die auf 27 Monate geschätzt wird, soll der Verkehr weiter über die Birkenallee fließen und wird zeitweise mit Wechselampeln geregelt. Weil die einzig mögliche Umleitung über Raisting wegen der niedrigen Bahnbrücke beziehungsweise engen Straßenführung dort laut Bauamt nicht in Frage komme, muss für etwa 17 Monate eine Behelfsbrücke über den Fluss verlegt werden. Planer Christoph Prause will das Provisorium bei Bundesbaubehörden ausleihen, hegt aber kaum Hoffnung: Wegen der Hochwasserereignisse in jüngster Zeit sei "der Markt nahezu leergefegt". Müsste auch die Behelfsbrücke extra errichtet werden, dürften die bislang auf sechs Millionen Euro geschätzten Baukosten steigen.

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