Biodiversität:"Äcker sind die Stiefkinder des Naturschutzes"

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Um eine Bestandsaufnahme von Ackerwildkräutern zu machen, kam jüngst der Experte Stefan Meyer auf Einladung des BUND Naturschutz nach Andechs und fand unter anderem Feldsalat. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Artensterben betrifft auch Pflanzen. Durch eine Erhebung von Ackerwildkräutern soll es im Landkreis gezielt eine Förderung über das Vertragsnaturschutzprogramm und Beratung für Landwirte geben.

Von Patrizia Steipe, Andechs

Korn- und Mohnblumen blühen im Acker von Maximilian Reisinger. Auch die nicht so beliebte Distel und den Ampfer hat er entdeckt. Aber dass zwischen der Wintergerste 40 Ackerwildkräuter wachsen, von denen der Echte Frauenspiegel, der Ackerhahnenfuß und das Wilde Stiefmütterchen sogar auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzen stehen, "das hat mich total überrascht", erklärte der Landwirt. Auch Christopher Meyer, Koordinator für Biodiversitätsberatung der Regierung von Oberbayern, ist begeistert: "Mit Rittersporn, Frauenspiegel, Gezähntem Feldsalat und Acker-Hahnenfuß finden wir hier vier charakteristische Arten zum Teil auf einem Quadratmeter". Das Feld sei vorbildlich, denn "artenreiche Äcker sind eine wesentliche Grundlage für die Biodiversität", lobte Helene Falk, Geschäftsführerin der Kreisgruppe Starnberg des Bund Naturschutz (BN) beim Ortstermin in Andechs.

Um eine Bestandsaufnahme von Ackerwildkräutern zu machen, kam jüngst der Experte Stefan Meyer auf Einladung des BUND Naturschutz nach Andechs. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Um einen Überblick über die seltenen Ackerwildkräuter im Landkreis zu bekommen, hat vor ein paar Tagen eine Kartierung begonnen, die der BN koordiniert. Ackerwildkrautexperte Stefan Meyer, Wissenschaftler an der Universität Göttingen, führt in den nächsten zwei Jahren die Erhebungen auf Äckern durch, auf denen eine große Vielfalt an Pflanzen vermutet wird. Petra Gansneder von der Unteren Naturschutzbehörde freute sich darüber, dass Starnberg in das Projekt aufgenommen wurde. "Durch die Erhebung der Ackerwildkräuter im Landkreis können wir gezielt eine Förderung über das Vertragsnaturschutzprogramm anbieten und Landwirte beraten". Insgesamt gibt es im Landkreis Starnberg etwa 2500 Ackerflächen. Untersucht wird jeweils im Juni und Juli auf vom BN vorgeschlagenen Flächen.

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Es sind vor allem eher ertragsschwache Äcker, bei denen die Saatreihen nicht so dicht sind, auf denen keine Pestizide gespritzt und nur mäßig gedüngt wird. Und Stefan Meyer ist bereits eine kleine Sensation gelungen. "In den ersten drei Tagen haben wir zwei neue Arten entdeckt, von denen bislang nicht bekannt war, dass sie im Landkreis vorkommen". Es handelt sich um den Ackerzahntrost auf einem Feld in Delling und um den Sumpfquendel in Etterschlag.

Exkursion zu den Ackerwilkräutern in Andechs mit (v.li.) Petra Ganseder (Untere Naturschutzbehörde), Helene Falk (Bund Naturschutz), Stefan Meyer, Christopher Meyer (Regierung von Oberbayern) und Landwirt Maximilian Reisinger. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Andechs sei in punkto Artenvielfalt "ein besonderes Gebiet", schwärmte Falk am Kreuzweg neben dem Acker von Reisinger. Eine Feldlerche ist zu hören, Wachteln und viele Insekten finden auf den eher kleinteiligen Feldern eine Heimat, am Himmel kreist ein Turmfalke. "Seit 1980 haben die Agrarvogelarten um 34 Prozent abgenommen", bedauerte jedoch Constanze Gentz (BN). Für die Aufzucht der Jungen bräuchten die Vogeleltern viel tierisches Eiweiß, aber in den Ackermonokulturen gibt es zu wenig Insekten.

Pflanzenvielfalt auf dem Acker - hier der Schlitzblättrige Storchschnabel. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Auch Stefan Meyer kennt besorgniserregende Zahlen. Ein Drittel der Landschaft in Deutschland sei Ackerland. In den Fünfzigerjahren habe man im Durchschnitt auf 100 Quadratmetern Fläche 23 verschiedene Kräuter in einem Acker gefunden, "70 Jahre später sind nur mehr sieben übrig geblieben". Die anderen hätten sich sprichwörtlich "vom Acker gemacht". Daran können auch die in den letzten Jahren propagierten "Blühstreifen" an den Rändern der Felder nichts ändern. "Die Biodiversitätskrise können wir nicht mit Blühstreifen bewältigen. Das reicht nicht", betonte Meyer, "wir müssen auch etwas im Ackerinneren machen".

Ebenfalls schön anzuschauen: Die Saatwicke. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Doch es gibt keinerlei Schutzprogramme für die "Segetalflora", wie die wissenschaftliche Bezeichnung der Ackerbegleitkräuter heißt. Selbst "Rote-Liste-Pflanzen" hätten hier keinen Schutz. "Äcker sind die Stiefkinder des Naturschutzes", kritisierte Meyer. Deswegen seien Förderprogramme und Aufklärung bei den Landwirten notwendig, denn "ohne sie geht nichts".

Bei den Äckern stehe zwar die Lebensmittelproduktion an erster Stelle, das bedeutet aber nicht, dass jede Begleitpflanze schädlich ist. Bei seiner landwirtschaftlichen Lehre in den Achtzigerjahren seien solche Pflanzen noch als "Unkraut" verpönt gewesen, erinnerte sich der Andechser Bürgermeister und Landwirt Georg Scheitz. Seit 1986 ist er Biobauer, "da sehe ich das natürlich anders". Manche Kräuter möchte aber auch der Biobauer nicht in seinem Acker haben. "Im Frühjahr war es so feucht, dass jetzt viel Ampfer wächst", berichtete Scheitz. Es komme bei allem eben auf eine noch tolerierbare Menge und ein gewisses Gleichgewicht an. Maschinenbauingenieur Reisinger, der seine drei Äcker im Nebenerwerb betreibt, entfernt die ungünstigen Kräuter per Hand. Die meisten schadeten aber nicht, versicherte Meyer - im Gegenteil: Acker-Röte, Spitzwegerich, Hirtentäschel, Acker-Ehrenpreis und Co. würden nicht nur Insekten und damit auch der Vogelwelt nützen, sondern auch den Boden vor Austrocknung bewahren und für zusätzliche Düngung sorgen.

Die Liste zur Bestandsaufnahme von Ackerwildkräutern ist lang. Stefan Meyer ist überrascht von der Vielfalt in Andechs. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
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