Eiswein:Warum der Wintereinbruch für Winzer am Ammersee ein Glücksfall war

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Ein Teil der Trauben haben Corinne und Uli Ernst in einer kühlen Tallage am Weinberg Reisenbüchel in Utting bewusst noch am Weinstock hängen gelassen - in der Hoffnung auf eine kommende Eiswein-Nacht. (Foto: privat)

Endlich scharfer Nachtfrost: Nach den starken Schneefällen Anfang Dezember rücken die einzigen Erwerbswinzer Oberbayerns zur Ernte der letzten Reben aus. Über ein seltenes Produkt.

Von Armin Greune, Utting

"Wir können hier Nische": Dieser Devise folgen Corinne und Uli Ernst schon fast 25 Jahre lang. Deshalb ist ihr Biohof nördlich von Utting zum wohl vielseitigsten landwirtschaftlichen Betrieb Bayerns gewachsen: Erlebnis-Klettergarten, Feldlabyrinth und Blumenbeete zum Selbsternten zählen ebenso zu den Erwerbsquellen wie Bio-Eier aus dem Hühnermobil oder Kälberaufzucht. Mit ihrem jüngsten Betriebszweig, dem Weinanbau, haben sie sich schon rein geografisch in eine Randlage begeben. Sie sind die ersten und einzigen Erwerbswinzer Oberbayerns, denn Fröste und Niederschläge dort sind dem Weinbau nicht gerade zuträglich. Doch ihre "Ammersee Winery" nutzt die klimatische Not als Chance und hat darin eine Marktnische entdeckt: Eiswein.

In den klassischen Weinregionen gelingt es mit fortschreitender Klimaerwärmung immer seltener, Eiswein herzustellen. Denn dazu ist klirrender Frost erforderlich: Erst bei unter minus sieben Grad gefriert in den Beeren der größte Teil des Wassers, das dann mit Kernen und Schalen im Presskuchen zurückbleibt. In vielen Anbaugebieten werden derartige Nachtfröste inzwischen gar nicht mehr erreicht. Dann aber sind die für den Eiswein aufgesparten Reben vergeudet; ein Risiko, das von Jahr zu Jahr weniger pfälzische oder fränkische Winzer eingehen.

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Für die Kollegen vom Ammersee aber hat sich der Mut zur Nische heuer rentiert. Mitte Oktober ließen sie bei der Lese in Handarbeit 900 Kilogramm Reben am Stock hängen, etwa ein Zehntel der Gesamternte. Die Hoffnung, aus den verbliebenen Sauvignac-Trauben Eiswein keltern zu können, hat sich nun erfüllt. Am 4. Dezember, nach dem Wochenende mit Schneemassen und heftigem Nachtfrost war es soweit: Um fünf Uhr morgens rückte ein knappes Dutzend Helfer bei zwölf Grad minus zur "Ganz-Spät-Lese" aus. Bei der sofort folgenden Pressung mit einer kleinen Weintorkel herrschten auf dem Hof noch immer mindestens minus acht Grad.

Zwölf große Kisten Trauben kamen zusammen, das Ergebnis sei "bis jetzt zufriedenstellend", sagt Corinne Ernst vorsichtig. Beim Ausbau des mehrfach filtrierten Mosts steht ihnen mit Anthony Hammond ein Freund und ehemaliger Winzer zur Seite. Hoffnungen, dass der Ammersee-Eiswein in den Handel gelangt, muss Ernst eine Absage erteilen. Um bei dem enormen Arbeitsaufwand noch Profit zu erzielen, "müssten wir ja mindestens 100 Euro für die Halbliterflasche verlangen". Der Eiswein sei "nur so ein besonderes Schmankerl für uns", sagt die Teilzeit-Winzerin. Etwa 100 Liter davon könne man erwarten, der größte Teil sei für den Eigenverbrauch bestimmt. Etwa bei Weinproben auf dem Hof, wo auch die minimale Ausbeute eines ersten Eiswein-Versuchs vor zwei Jahren verköstigt wurde.

Schneeräumen vor der Lese: Uli Ernst schafft am 3. Dezember die Voraussetzung für die Eisweinernte am nächsten Morgen bei zwölf Grad minus. (Foto: privat)

Nach vielen Jahrhunderten Pause wurden 2018 wieder die ersten 5000 Rebstöcke am Ammersee gepflanzt. Als Inspiration diente Uli Ernst die Villa Rustica in Schondorf, von der aus die Römer die umgebenden Hänge für den Weinbau nutzten. Horden einfallender Stare oder der große Hagel 2019 brachten es mit sich, dass die Ammersee Winery erst 2021 eine nennenswerte Menge von etwa 3000 Litern Wein produzieren konnte.

Im Folgejahr war die Ausbeute bereits doppelt so groß. Den Sauvignac 2022 hat die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft DLG kürzlich mit dem "Pioneer of Wine"-Award in der Kategorie der widerstandsfähigen, nachhaltigen Weinsorten ausgezeichnet. Die Haupternte 2023 lässt aus neun Tonnen Trauben eine erneute Ertragssteigerung erwarten. Die Ammersee Winery will in der Nische weiter wachsen: Heuer wurden zwei weitere Hektar Fläche mit Rebstöcken bepflanzt, um das Sortiment mit weiteren Rebsorten zu erweitern.

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