Historisches Segelboot:Das Comeback der "Sir Shackleton"

Lesezeit: 5 min

Test auf dem Ammersee: Wie dicht ist die reparierte "Sir Shackleton"? (Foto: Arlet Ulfers)

Drei Jahre nach seinem Untergang sollen am Ammersee die Segel auf dem historischen Zweimaster bald wieder gesetzt werden. Um dies zu finanzieren, hat sich Eigner Klaus Gattinger etwas Besonderes einfallen lassen.

Von Astrid Becker, Utting

Klaus Gattinger steht auf seinem Schiff. Gerade eben sind er und die Mitarbeiter der Steinlechner-Werft in Utting mit dem Aufbau der beiden Masten fertig geworden. In Gattingers Gesicht sind in diesem Moment gleich zwei Gemütslagen zu erkennen: Auf der einen Seite große Freude, weil die Sir Shackleton zumindest in ihrer äußeren Gestalt wieder als solche zu erkennen ist. Auf der anderen Seite spiegelt sich in seiner Miene auch eine gewisse Skepsis. Wird sein Schiff wirklich wieder segeln können? Oder tauchen neue Unwägbarkeiten auf, mit denen niemand rechnen kann?

Für Gattinger ist die Reparatur seiner Sir ein permanenter Lernprozess. Handwerklich sowieso, aber auch mental. Denn die Arbeiten an dem Schiff führen ihn immer wieder in Situationen, die er eigentlich gar nicht so recht schätzt: "Ich bin tief in mir ein Kontrollfreak", sagt er. Einer, der alles perfekt plant und daher eigentlich immer weiß, was am Ende dabei herauskommt: "Funktioniert in diesem Fall aber überhaupt nicht."

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Auch an diesem Tag in der Steinlechner-Werft läuft es nicht nach Plan. Das Schiff sollte ins Wasser gelassen und von Gattinger mit dem Hilfsmotor von Utting über den Ammersee zur Boje in St. Alban bei Dießen gefahren werden. Dort sollte die Sir ein paar Tage ausharren, um den Rumpf des vermutlich um die hundert Jahre alten Schiffes dicht zu bekommen. Ein Prozess, den sie bei jedem Saisonstart durchlaufen muss. "Holz arbeitet ja", sagt Gattinger, und meint damit, dass sich in einer langen Zeit an Land Spalten zwischen den Planken bilden und Wasser eindringen kann, das so lange wieder abgepumpt wird, bis das Holz ausreichend aufgequollen ist und sich wieder verschlossen hat.

Nach drei Jahren sind die Spalten entsprechend groß geworden und mit bloßem Auge zu erkennen. Deshalb haben Gattinger, seine Frau Brigitte und Tochter Franzi das Schiff in den vergangenen zwei Monaten schon einmal laufend "gegossen". Etwa 300 Liter seien da täglich geflossen, sagt Gattingers Frau Brigitte. "Andere gießen ihren Garten, wir unsere Sir", sagt sie und grinst.

Schiffseigner Klaus Gattinger hat viele Stunden an seiner beschädigten "Sir" gearbeitet. Nun will er bald wieder Törns veranstalten. (Foto: Arlet Ulfers)

"Eigentlich absurd", sagt Gattinger. "Wir müssen dafür Trinkwasser nehmen. Wasser aus dem See zu entnehmen, ist ja verboten." In zwei riesigen Bottichen hat er das Wasser daher immer wieder angekarrt, insgesamt jeweils 1500 Liter. Eine Dreiviertelstunde brauche man, um die Bottiche bis zum Rand zu füllen. Aber das sei gut investierte Zeit: Das Schiff brauche, vereinfacht ausgedrückt, das Wasser, damit sich die Planken ausdehnen und durch den Druck verschließen. Das permanente Bewässern sei wichtig, "sonst bringt es nix und man muss wieder von vorne anfangen", sagt auch Gattingers Tochter Franzi.

Permanentes "Gießen" ist wichtig, damit sich das Holz des Schiffes wieder verschließt und kein Wasser eindringen kann. (Foto: privat)
Franzi Gattinger hat die Leidenschaft für Schiffe von ihrem Vater: Sie (hier bei letzten Lackarbeiten an der Lady Shackleton 2022) absolviert mittlerweile eine Ausbildung zur Bootsbauerin. (Foto: Nila Thiel)

Sie hat sich längst von der Begeisterung ihres Vaters für Schiffe anstecken lassen und absolviert mittlerweile eine Ausbildung zur Bootsbauerin in der Steinlechner-Werft. Sie war es damals auch, die nach dem Untergang der Sir vor drei Jahren ihren Vater ermunterte, das Schiff nicht aufzugeben und es zu reparieren. Einfach weiterzumachen. Und das an einem Punkt, an dem Gattinger fast aufgegeben hätte. Weil es eben so gar nicht abzusehen ist, was als nächstes geschehen wird, kaum ist ein Schritt in die richtige Richtung gelungen.

So auch an diesem Tag. Die Masten ragen zwar in den Himmel, aber die Mitarbeiter der Werft empfehlen noch einmal eine Runde gießen. Mit dem "ins Wasser lassen", wird es also erst einmal nichts. Das alles wird weitere Kosten verursachen - und die sind schon jetzt enorm. Natürlich war die Sir versichert, natürlich gab es daher auch eine Erstattung: Etwa 62 000 Euro seien es gewesen, erzählt Gattinger. Die Hälfte davon habe er aber an den damaligen Miteigentümer Christoph Seelos gezahlt: "Klar, ihm gehörte ja auch die Hälfte der Sir." 2011 hatten sich die beiden Männer das Schiff mit seinem Deck aus Teak und einen Rumpf aus Eichenbohlen gekauft und es seither für Törns mit Gästen sowie für Seminare vermarktet. Bis zu dem für sie rabenschwarzen Tag im Sommer vor mittlerweile drei Jahren.

Die "Sir Shackleton" muss einen Tag länger in der Werft bleiben als gedacht. (Foto: Arlet Ulfers)
Nach dem Untergang des Schiffes ragen nur mehr seine zwei Masten aus dem Wasser: "Ein unfassbarer Anblick", sagt Klaus Gattinger dazu. (Foto: Arlet Ulfers)

An diesem 18. August 2020 klingelt am Morgen das Telefon von Gattinger. Die Anruferin ist eine befreundete Seglerin. Gattinger denkt an einen schlechten Scherz, als sie sagt: "Dein Schiff ist gesunken. Da ragen nur noch zwei Masten aus dem Wasser." Einen "unfassbaren Anblick" nennt Gattinger das später. Fünf Tage später wird die Sir mit Hilfe von Spezialtauchern aus Österreich, Wasserschutzpolizei, Wasserwacht, Feuerwehr und jeder Menge Luftkissen vom Untergrund des Ammersees wieder an die Wasseroberfläche gehievt. "Das Schlimmste war aber der ganze Dreck, den wir tagelang beseitigt haben", sagt der Geschäftsführer der Werft, Christoph Hagenmeyer. Sogar ein paar tote Fische habe man herausgezogen, erzählt er. Auf einem Unterwasservideo seien Schwärme kleiner Barsche zu sehen gewesen, die sich des Schiffes bemächtigt hätten, sagt auch Gattinger. Ihnen scheint die gesunkene Sir gefallen zu haben.

Für ihre Eigentümer ist der Untergang jedoch zunächst eine Katastrophe. Wie einst bei der Titanic wären sie damals nie auf die Idee gekommen, dass eines Tages ein technischer Defekt ihr Schiff buchstäblich über Nacht direkt an seiner Boje in St. Alban im See versinken lassen könnte. "Sie galt ja als besonders stabil, überstand mühelos Stürme, sogar Orkane", hatte Gattinger noch bei der Bergung der Sir erzählt. Heute, drei Jahre später und nach Tausenden Stunden Arbeit auf seinem Schiff, ist er vorsichtiger geworden mit seinen Einschätzungen: "Es kann immer mal etwas passieren."

Unterwasseraufnahmen vor der Bergung 2020 zeigen einen Schwarm Fische, die das gesunkene Schiff erkunden. (Foto: Kreis Wasserwacht Landsberg/oh)
Klaus Gattinger hat vieles selbst an seinem beschädigten Schiff repariert - dennoch verschlingt die Sanierung Unsummen. (Foto: Arlet Ulfers)
Gattinger veranstaltet derzeit Törns auf der "Lady Shackleton", einem Schiff, das ihm eine Freundin dafür zur Verfügung gestellt hat. (Foto: Arlet Ulfers)

Sein elf Meter langes und zehn Tonnen schweres Schiff - Miteigentümer Seelos war kurz nach der Bergung ausgestiegen - dürfte er aber jetzt besser kennen als jeder andere Mensch. Gattingers Passion ist es geworden, selbst Hand anzulegen. Der Werftchef hatte ihm eine Liste vorgelegt, wann was in welcher Reihenfolge zu erledigen ist: "Ich hätte das damals ja gar nicht gewusst." Schleifen, pinseln, ausbauen, einbauen, das alles gehört für Gattinger mittlerweile zur Routine. Die Schiffseinrichtung, die Elektronik, der Motor - nahezu alles, bis auf Rumpf und Teile der Masten, ist beim Untergang der Sir beschädigt worden.

Etwa 20 000 bis 25 000 Euro dafür hat Gattinger durch Spenden finanziert, den Rest über die Versicherung und Eigenleistung. Nun steht aber noch eine große Rechnung der Werft aus, etwa 40 000 bis 50 000 Euro, schätzt Gattinger, der im wirklichen Leben als Coach und Unternehmensberater arbeitet, wenn er nicht gerade mit dem Schwesterschiff, der Lady Shackleton, die einer Freundin gehört, auf dem Ammersee mit Gästen segelt. Eine sprudelnde Geldquelle sei das aber nicht: "Eher Liebhaberei", sagt er, "so stuft das auch das Finanzamt ein." Klar, auch so ein Schiff verschlingt laut Gattinger Unsummen im Jahr an Unterhalt: "Und jetzt noch mit der Inflation, den gestiegenen Energiekosten und allem anderen, da kommt schon was zusammen."

Unterstützt wird Klaus Gattinger von Freunden, wie hier Alex Hohenester (links). Mit ihm produziert er auf seiner Homepage Podcasts, um damit die Reparatur der "Sir" zu finanzieren. (Foto: Alex Hohenester/oh)
So wie auf dieser Aufnahme aus dem Jahr 2017 soll die "Sir Shackleton" bald wieder auf dem Ammersee zu sehen sein - sofern alles nach Plan läuft. (Foto: Nila Thiel)

Um damit die Reparatur seiner Sir zu finanzieren, dafür reichen die Einnahmen durch seine Törns also nicht mal ansatzweise. Und deshalb hat sich Gattinger nun etwas Neues ausgedacht. Er will von sofort an Sir-Comeback-Gutscheine auf seiner Internetseite vertreiben, also dort, wo er einst bereits mit Hilfe von Podcasts, die er zusammen mit Alex Hohenester aufgenommen hat, und Vorträgen, etwa im Dießener Craftbräu, um Spenden geworben hatte. Die Sache mit den Gutscheinen soll wie eine Art Vorverkauf funktionieren: So soll jeder einzelne 250 Euro kosten. Dafür können die Käufer an drei Törns im Gegenwert von derzeit 95 Euro teilnehmen: "Immerhin ein Preisvorteil von 15 Prozent", sagt Gattinger, der hofft, damit die noch ausstehende Rechnung der Werft finanzieren zu können.

"Es wird ja ohnehin Zeit, dass die Sir mal wieder ins Wasser kommt", sagt auch der Steinlechner-Chef Hagenmeyer. Sein Wunsch soll sich schließlich einen Tag später erfüllen. Die Sir schwimmt plötzlich wieder auf dem Ammersee. Zumindest mal eine ganze Weile. Bis sich Gattinger sicher sein kann, dass sie dicht ist. Wenn das der Fall ist, könnte er schon bald wieder mit ihr zu Törns aufbrechen - auch wenn dann immer noch ein paar Teile der Inneneinrichtung fehlen. Und wenn nicht? Dann schraubt er einfach weiter an ihr herum: "Ich sage es mittlerweile ja schon lange: Aufgeben ist keine Alternative."

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