Stadtteilwoche Sendling-Westpark:Ausgehungert nach Kultur

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Normalerweise nimmt das Publikum bei den Stadtteilwochen im Zirkuszelt Platz. Diesmal saßen die Zuschauer auf Klappstühlen im Freien. Begeistert waren sie trotzdem. (Foto: Robert Haas)

Zwar ist der Luise-Kiesselbach-Platz zu matschig für ein Zelt, und die Open-Air-Bühne steht an den ersten Veranstaltungstagen im Dauerregen. Doch dem Interesse an der Stadtteilwoche tut das keinen Abbruch. Hunderte Zuschauer besuchen Kabarettabende und Konzerte

Von Katja Gerland, Sendling-Westpark

Franziska Wanninger steckt den Kopf durch die Öffnung ihres Backstage-Zeltes auf dem Luise-Kiesselbach-Platz, blickt nach links und rechts, und kann den Ausblick nur mit einem leisen "Oh je" kommentieren. Leere Stühle stehen unter einem grauen Himmel, aus dem der Regen auf die Wiese prasselt. Die Pfützen machen den Gang Richtung Sitzplatz zu einem Parcourslauf für die Gäste. Doch die Menschenschar, die Wanninger mit ihrem Kabarett zum Lachen bringen soll, ist ohnehin noch nicht zu sehen. "Vier, fünf Leute sind da. Vielleicht spiele ich heute vor kleiner Runde", sagt die 39-Jährige und schmunzelt. Was Franziska Wanninger an diesem Abend mit Humor nimmt, hat die Beteiligten der Stadtteilwoche in Sendling-Westpark schon Tage zuvor beschäftigt.

Denn eigentlich hätte Wanningers Auftritt sechs unbeschwerte Tage voller Kulturveranstaltungen im ganzen Stadtbezirk einläuten sollen, mit dem Zirkuszelt auf dem Luise-Kiesselbach-Platz als Mittelpunkt des Treibens. Der Dauerregen der vergangenen Wochen hat dem aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn der durchweichte Boden des Luise-Kiesselbach-Platzes könne die großen Zelte nicht wie geplant tragen, erklärt Brigitte Fait vom Kulturreferat. Und so muss das bunte Zirkuszelt, in dessen Manege die Gäste der Stadtteilwochen normalerweise Platz nehmen, einer Open-Air-Bühne weichen.

Stenzel & Kivits sorgten am Samstag mit ihrer Musik-Comedy für Stimmung. (Foto: Robert Haas)

Dort hat sich Sieglinde Strasser, 84, schon einen Sitz in den ersten Reihen reserviert. Mit der einen Hand umklammert sie ihren Regenschirm, die andere streicht die Regentropfen von der Jacke. "Um ehrlich zu sein, wäre ich bei dem Wetter fast zu Hause geblieben", gibt die 84-Jährige zu. In der Manege des Zirkuszelts wäre sie dem Geschehen auf der Bühne zwar lieber gefolgt als auf den Klappstühlen unter freiem Himmel. Aber es sei ohnehin "wunderbar", wieder etwas erleben zu können. Und überhaupt: "Schirme haben wir ja alle."

An diesem Abend trotzt nicht nur Sieglinde Strasser dem Wetter. Stück für Stück füllen sich die zunächst spärlich besetzen Reihen vor der Open-Air-Bühne mit immer mehr Zuschauern. Und pünktlich zu Wanningers Auftritt sitzen 130 Menschen, eingedeckt mit Schirmen, Regenmänteln und Gummistiefeln, auf dem Luise-Kiesselbach-Platz. Die Kabarettistin tritt unter dem Prasseln des Regens und begleitet vom Verkehrslärm der Straßen auf die Bühne. "Mir hat man gesagt, dass die Sendlinger sowieso kommen, wenn es was kostenlos gibt", scherzt sie ins Mikrofon.

Chronisch unterschätzt: Claudia Pichler packt aus. (Foto: Robert Haas)

Die Bewohner von Sendling-Westpark kommen nicht nur, sondern bleiben auch. Am Ende des Kabarettauftritts ist das Publikum trotz Platzregens nur um wenige Zuschauer geschrumpft. Der Rest bekommt gar nicht genug von dem, was sich auf der Bühne abspielt. Wanninger verabschiedet sich unter dem Klatschen und Johlen der Zuschauer.

"Das war schon was am Donnerstag", erinnert sich Hannelore Lehre, 74, drei Tage später zurück. Bis auf einen Tag sei sie jeden Abend zum Luise-Kiesselbach-Platz gekommen, "sogar am ersten Tag im Regen", betont sie. In der coronabedingten Kulturpause der vergangenen Monate sei ihr "schon etwas abgegangen", deshalb freue sie sich umso mehr über die Stadtteilwoche. An diesem Sonntag kann die 74-Jährige bei strahlendem Sonnenschein vor der Bühne Platz nehmen. Um sie herum freuen sich Kinder über die schlammige Spielgelegenheit, die der durchtränkte Boden des Luise-Kiesselbach-Platzes bietet. Erwachsene tippeln durch die Wiese, in der Hoffnung, ihre Schuhe vor dem Matsch schützen zu können.

Eva Karl-Faltermeier steht in ihrem Backstage-Zelt zwar auf trockenem Boden. Doch der Kabarettistin macht etwas anderes zu schaffen: "Ich habe gestern noch die Franziska Wanninger angerufen und gefragt, ob hier überhaupt ein Zelt steht." Das Zelt steht bekanntlich nicht da, Karl-Faltermeiers Nervosität ist deshalb besonders groß. Die monatelange Bühnenpause hat Spuren bei der 38-Jährigen hinterlassen. Nach einer so langen Zeit wieder vor dem Publikum zu stehen, sei eine Herausforderung, sagt sie. Denn: "Das ist nicht wie Radlfahren. Man fängt da oben wirklich wieder bei Null an." Wenn die Bühne dann nicht in Hallen, Kabarettkellern oder eben Zirkuszelten steht, gestalten sich die Auftritte umso schwieriger. "Kabarett ist einfach kein Open-Air-Geschäft", sagt Karl-Faltermeier. Bei Umgebungsgeräuschen und Sonnenschein ergebe sich schlichtweg nicht die gleiche Stimmung, wie sie in einem abgedunkelten Raum, in dem das Licht der Bühne die Aufmerksamkeit nach vorne lenkt, möglich sei. Die Auftritte der vergangenen Wochen hätten ihr deshalb nicht bloß Spaß gemacht. Claudia Pichler, die sich an diesem Abend die Bühne mit Eva Karl-Faltermeier teilt, nickt zustimmend. "Man muss schon flexibel werden in dieser Zeit", sagt Pichler.

Oberpfälzisch ist nicht die schlechteste Dialektform, um Grant zu verbalisieren: Die Kabarettistin Eva Karl Faltermeier. (Foto: Robert Haas)

Wie flexibel die Kabarettistinnen sind, beweisen sie prompt auf der Bühne, vor der an diesem sonnigen Tag rund 450 Zuschauer Platz genommen haben. Von den Startschwierigkeiten, die Eva Karl-Faltermeier Sorgen gemacht haben, ist dort nichts mehr zu spüren. Und mit der untergehenden Sonne, die die Bühnenbeleuchtung und die Lichterketten auf dem Luise-Kiesselbach-Platz für sich strahlen lässt, vermisst wohl niemand mehr die Manege des Zirkuszelts.

Die Stadtteilwoche bietet noch bis Mittwoch, 21. Juli, Kulturveranstaltungen in ganz Sendling-Westpark. Das Programm ist im Internet unter www.stadtteilwochen-muenchen.de zu finden.

© SZ vom 20.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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