Munich Mash:Nyjah Huston: Die Rolle seines Lebens

Lesezeit: 3 min

Der US-Amerikaner Nyjah Huston ist der absolute Favorit für den Streetleague-Wettbewerb beim Munich Mash. (Foto: imago/UPI Photo)

Der 21-jährige Kalifornier ist der erfolgreichste Skateboard-Fahrer der Welt. Seinen ersten Sponsorenvertrag hatte er mit sechs Jahren. Wenig später wäre seine Karriere fast schon vorbei.

Von Marc Baumann

Nyjah Huston ist verunsichert. Er blickt fragend um Rat, dann schaut er auf die Karte, dann zur Kellnerin. Dann wieder auf die Karte. Was, bitte, ist eine "Salatschüssel Bauernknecht"? Was "Saures Lüngerl"? Oder "Gesottenes Ochsenfleisch"? Nie gehört in Kalifornien.

Als die Kellnerin im Dirndl allmählich ungeduldig wird, sagt Huston: "I take the salmon." Lachs, kennt jeder.

Die Speisekarte im Alten Hackerhaus in der Sendlinger Straße in München dürfte die größte Herausforderung an diesem Wochenende für den Skateboard-Profi aus den Vereinigten Staaten sein. An diesem Samstag beim Munich Mash, dem größten deutschen Actionsport-Festival, den "Streetleague"-Wettbewerb zu gewinnen, dürfte ihm um einiges leichter fallen.

Nyjah Huston ist der erfolgreichste Skateboard-Fahrer der Welt. Mit 21. Und schon seit ein paar Jahren. Er ist der Tiger Woods, der Roger Federer, der Lionel Messi des Streetskatens. Huston ist bekannt dafür, dass er auf seinem Skateboard viele sehr große, Furcht einflößende Hindernisse bezwungen hat. Selbst seinen despotischen Vater.

Der Vater hätte die Wunderkindkarriere des Nyjah Huston beinahe zerstört. Zugleich verdankt er dem Vater viel. Der hatte seinen vier Kindern das Skateboardfahren beigebracht. Schon mit sechs Jahren war Nyjah so unübersehbar gut, dass ihn einer der größten Skateboard-Hersteller unter Vertrag nahm. Mit elf Jahren ernährten seine Siegesprämien die Familie. "Wir lebten vom Preisgeld und dem Verkauf von Marihuana", erzählte seine Mutter in einem Interview über die ungewöhnliche Kindheit von Nyjah.

In den USA zum ersten Mal frei

Der in Puerto Rico geborene Vater und die in den USA geborene Mutter waren strenggläubige Anhänger der Rastafari-Religion. Nyjah skatete mit Dreadlocks, die bis zu den Knien reichten, aber erstaunlicherweise weder seine Sicht noch seine Bewegungen behinderten. Die Kinder wurden strikt vegan ernährt, der Vater isolierte die auf einer Farm in Puerto Rico lebende Familie.

Als die Ehe zerbrach, zog die Mutter mit drei Kindern zurück nach Kalifornien, nur Nyjah musste beim Vater bleiben, seinem Manager und Trainer. Die beiden blieben im puerto-ricanischen Hinterland, versäumten immer mehr Sponsorentermine und Wettbewerbe, bis Nyjahs Hauptsponsor seine Mutter Kelle anrief, um ihr zu sagen, dass sie den Sohn bald rauswerfen müssten. Kelle Huston erstritt vor Gericht das Sorgerecht für ihren Sohn. Nyjah zog zu ihr in die USA - und fühlte sich zum ersten Mal frei.

Mit den letzten 100 Dollar im Geldbeutel fuhr die Familie zum ersten "Streetleague"-Wettbewerb, einer neu geschaffenen, groß aufgezogenen Contest-Serie. Nyjah gewann. Und erhielt 150 000 US-Dollar.

Würde man Nyjah Hustons Leben verfilmen, wäre dieser Sieg das Happy End - seitdem läuft der Abspann: Nyjah gewinnt und gewinnt, nicht jeden Wettbewerb, aber niemand sammelt so viel Preisgeld ein wie er. "Ich denke schon, dass ich beim Mash Favorit bin", sagt Nyjah Huston auf einem Stuhl in der Sonne vor dem Hackerhaus.

Um die Ecke findet gleich eine Autogrammstunde mit ihm und den anderen Teammitgliedern seines Sponsors statt. Die anderen Profis wurden mit einem schwarzen Van vorgefahren, doch der Superstar fehlte. "Hat jemand Nyjah gesehen?", fragte ein PR-Mann. Ratlose Gesichter.

Drei, vier Minuten später hörte man Skateboard-Rollen über den Boden rattern, Nyjah bog um die Ecke, leicht verschwitzt. "Ich bin ein bisschen durch die Stadt gefahren", entschuldigte er sich. Das mache er immer so in neuen Städten: das Skateboard nehmen, raus gehen, schauen, welche Herausforderungen die Architektur und der Beton ihm bieten. Treppen, Geländer, Absperrbänder. Alles, was man überspringen, entlang gleiten oder hinabsausen kann.

Olympia mit 25

Man wäre gerne dabei gewesen, bei dieser Stadtrundfahrt, denn Nyjah Huston kann eine erstaunliche Reihe sehr schwerer Tricks quasi aus seinen Fußgelenken schütteln. Drei, vier, fünf, sechs hintereinander. Das übt er ein in seinem privaten, 10 000 Quadratmeter großen Skatepark.

Skateboard-Fahren entwickelt sich so schnell wie wenige andere Sportarten: Tricks, die vor fünf Jahren noch eine Sensation waren, gehören heute zum Standardrepertoire der richtig guten Fahrer. Wer in den 80er oder 90er Jahren Skateboard gefahren ist, steht heute fassungslos am Rande eines Streetparcours wie dem in der Olympia-Eishalle und sieht den Profis zu, wie sie einst für unmöglich gehaltene Tricks zum Aufwärmen hinlegen. Reichte es früher, auf ein steiles Geländer zu springen und heil hinunterzurutschen, springen die Fahrer heute mit einer komplizierten Drehung des Bretts auf das Geländer und mit einer 360-Grad-Drehung von dem Stahlrohr zurück auf den Boden. Die Tricks kann man Nicht-Skateboard-Fahrern kaum verständlich erklären, so komplex sind sie geworden. Es wird lustig, zuzuhören, wie die TV-Moderatoren im Jahr 2020 daran scheitern werden. Dann ist Skateboardfahren in Tokio erstmals olympische Disziplin. Nyjah Huston ist dann 25. Bestes Medaillenalter.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Extremsport
:Munich Mash: Was, wann, wo?

Das Actionsport-Spektakel bietet nicht nur die weltbesten Extremsportler - auch das Rahmenprogramm kann sich sehen und hören lassen. Selbst für Fußballfans ist gesorgt.

Von Ralf Tögel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: