Kolumne "Linksaußen":Beamtenbabylon Berlin

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Platzbegehung in Doha? Die Horrorvision für den FC Bayern: Wegen starken Schneefalls verschieben sich die nachfolgenden Begegnungen... (Foto: Robert Haas)

Ralph Hasenhüttl verliert schon wieder 0:9, der FC Bayern sitzt im Flieger fest, und Otto grüßt vom Olymp: Katastrophenmeldungen aus der wirklich wichtigen Welt des Profisports.

Von Johannes Schnitzler, München

Die Erde ist eine Kugel. Da wird jetzt auch nicht mehr rumverhandelt, selbst wenn wir dann ein paar Leser schon auf den ersten Zeilen verlieren sollten ("Muss die SZ immer alle belehren?!"). Die Erde also, dieser Ball aus flüssigem Eisen und Wasser, saust mit einer Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Sekunde durchs All, das sind handgeblitzte 108 000 Kilometer pro Stunde. Am Tag legt die gute alte Mutter Erde auf ihrem Dienstweg 2,6 Millionen Kilometer zurück, Kochen, Putzen und die Kinder im Homeschooling Betreuen sind da noch gar nicht eingerechnet. Aber macht sich der Mensch darüber Gedanken? Natürlich nicht. Er klagt, wenn er nicht rechtzeitig von Berlin nach Doha kommt. Zum Fußballspielen.

Die Entfernung zwischen dem deutschen Beamtenbabylon und der Hauptstadt des Öl-Riesen Katar beträgt läppische 5800 Kilometer. Mit dem Auto ist das bequem in 59 Stunden zu schaffen, wenn man am Bosporus nicht in den Berufsverkehr gerät und in der saudischen Wüste ein bisschen Gas gibt. Mit dem Flugzeug geht es sogar noch schneller. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit eines strahlgetriebenen Linienfliegers beträgt etwa 900 km/h, in sieben Stunden sollte man also am Ziel sein. Außer, es ist Freitagabend, in Berlin schneit es und auf dem neuen Flughafen, der es mit seiner pünktlichen Ankunft bekanntermaßen nicht so genau genommen hat, sitzt jemand, der die 14 Jahre Bauzeit genutzt hat, um das Nachtstartverbot auswendig zu lernen. 0:03 Uhr ist nun mal nach Mitternacht, selbst wenn man Einstein und die Krümmung von Zeit und Raum mildernd in Anschlag bringt.

Immerhin zitieren die Bayern diesmal nicht das Grundgesetz

Sieben Stunden saßen die Überflieger vom FC Bayern im vereisten Flugzeug fest, ziemlich genau so lang, wie der Transfer hätte dauern sollen. Aber in Zeiten der Pandemie gibt es Schlimmeres. Und darum haben sie beim FC Bayern gewohnt souverän reagiert und nur "Skandal" geschrien und "Unverschämtheit" und "lächerliche Nummer". Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge gewann zwar "den Eindruck, in Brandenburg ist irgendeiner, der den FC Bayern nicht mag und uns Hürden in den Weg gestellt hat". Aber Paranoia? Egozentrik? Verlust der Bodenhaftung? Nein, das sollte man den Bayern wirklich nicht vorwerfen. Sie kamen sich halt "verarscht" vor. Immerhin haben sie diesmal nicht das Grundgesetz und - wohl aus Rücksicht auf den gastgebenden Emir - nicht diese eine Sache da zitiert, diese, na, Menschenwürde.

Zurück zur Erde. Die hält ja noch ganz andere Ungerechtigkeiten bereit. Der Fußballtrainer Ralph Hasenhüttl etwa, einst Chefcoach der SpVgg Unterhaching, musste mit dem FC Southampton in der Premier League gerade zum zweiten Mal innerhalb von 17 Monaten ein 0:9 ertragen. Nie hat ein Team höher verloren, erst drei Mal gab es überhaupt ein 0:9 - zum zweiten Mal trägt das Desaster nun aber schon den Namen Hasenhüttl. Zu Recht macht sich der 53-Jährige Sorgen, wie man sich dereinst an ihn erinnern wird. Als ersten österreichischen Chefcoach in der Premier League? Als Vater von Patrick Hasenhüttl, Stürmer bei der SpVgg Unterhaching, die gerade eine Katastrophe an die andere reiht? Oder als Spezialist für die schlimmsten Untergänge seit der Kollision der Titanic mit einem Eisberg? Mit Orpheus' Eurydike hätte er nun wehklagen können: "O welch grausames Schicksal", oder, falls er es mehr mit Händel als mit Gluck halten sollte: "Mein grausames Schicksal! Welch hart' Geschick!" Hasenhüttl aber sagte: "Wir sind beim ersten Mal aufgestanden. Wir werden auch diesmal wieder aufstehen." Das klang sehr routiniert nach Sisyphos und Olli Kahn.

Apotheose nach dem Untergang: Rehhakles macht's vor

Okay, Southampton hat dann am Samstag schon wieder verloren, 2:3 in Newcastle. Aber Hasenhüttl sollte sich ein tröstendes Beispiel nehmen an Otto Rehhagel. Der kassierte als junger Coach mit Borussia Dortmund mal ein 0:12 gegen Mönchengladbach und wurde danach als Otto "Torhagel" verspottet. Während seiner sagenhaft unglücklichen Episode als Trainer beim FC Bayern prangte "Rembrandt" auf seinem Türschild, ein fachgerecht gelackter Künstlername. Nach dem mythischen EM-Triumph mit Griechenland im Jahr 2004 aber erfuhr er die Apotheose zum "Rehhakles". Seitdem residiert "König Otto", wie sie ihn in Bremen nannten, zwischen den anderen Unsterblichen auf dem Olymp.

Und überhaupt, sagte Karl-Heinz Rummenigge: "Eine wichtige Geschichte ist", dass der FC Bayern von Montag an den deutschen Fußball bei der Klub-WM in Katar repräsentiere. Darüber sollten sich die für die verspätete Abreise aus Berlin Verantwortlichen mal Gedanken machen. Fahrplanmäßiger Anpfiff gegen Al Ahly Kairo ist um 19 Uhr. Außer in der Wüste schneit es.

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