Armwrestling:Der WM-Sieger muss für seine Sportart kämpfen

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Mit dem Adler über dem Bizeps: Bei Großereignissen war Dieter Spannagel (li.) stets topfit - als Weltmeister beendet er nun seine Karriere. (Foto: oh)

Dieter Spannagels Sport ist populär - in Russland, seiner alten Heimat. Seinem Münchner Verein hilft das aber wenig. Dabei hat die Disziplin sogar einen sozialen Anspruch.

Von Stefan Galler

Das Finale um die Weltmeisterschaft dauerte ein, zwei Sekunden, dann hatte er seinen Gegner plattgemacht. Besser gesagt, er hatte dessen rechten Unterarm nach unten gedrückt bis auf die Tischplatte. Der Italiener Ermes Gasparini war chancenlos in diesem Wettstreit. Dieter Spannagel, der bayerische Russlanddeutsche, legte sich ein schwarz-rot-goldenes Banner über die Schultern und hörte kurze Zeit später die Nationalhymne - als neuer Weltmeister im Armwrestling mit dem rechten Arm in der Klasse bis 90 Kilogramm.

"Es war eine riesige Erleichterung, diesen Titel gewonnen zu haben", sagt der 36 Jahre alte Kraftsportler ein paar Wochen nach seinem größten Erfolg, den er in Malaysia feierte. Dass es gleichzeitig sein letzter als aktiver Sportler war, bestätigt Spannagel: "Wie angekündigt werde ich meine Karriere beenden."

Sportliches Engagement - mit Hindernissen

Was nicht heißt, dass er dem Armwrestling-Sport künftig die kalte Schulter zeigen wird. Ganz im Gegenteil, der mehrmalige deutsche Meister hofft, dass diese Disziplin in Deutschland bald noch populärer wird. Wobei ihm klar ist, dass sie nie eine annähernd so große Anhängerschaft haben wird wie in Russland, der Ukraine, Kasachstan, Georgien, Bulgarien oder der Türkei.

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Dort wird Armwrestling teilweise staatlich gefördert, es gibt Stipendien für Nachwuchssportler, die Wettkämpfe werden im Fernsehen übertragen. Die Titelkämpfe zuletzt in Malaysia hatten ein Budget von 650 000 Euro, zwei TV-Sender zeigten die Wettkämpfe live.

Von solcher Aufmerksamkeit kann man hierzulande nur träumen. Spannagel wäre schon froh, wenn er wenigstens in München mit seinem Verein, den 2006 gegründeten München Gladiators, Fuß fassen könnte. Derzeit trainieren die bayerischen Armwrestler unter seiner Leitung in Kaufbeuren. Nicht gerade ideal, weil die Athleten aus allen Teilen des Freistaates und sogar bis aus Stuttgart kommen und das Allgäu nicht für jeden leicht zu erreichen ist.

"Bayern stellt sich quer"

Doch an der Landeshauptstadt haben sie sich bisher die Zähne ausgebissen: "All unsere Anfragen nach einem Raum mit ein paar Kraftgeräten und einem Tisch zum Drücken sind bisher ins Leere gelaufen", sagt Spannagel. Nur beim Münchner Sportfestival auf dem Königsplatz hat der Klub jedes Jahr Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Auch vom Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV) erhält Spannagel nicht die erhoffte Unterstützung. "Sie haben immer gesagt, sie wollen uns helfen. Aber offensichtlich sind die Strukturen so kompliziert, dass es bisher nie geklappt hat."

In Deutschland gelten Frankfurt/Oder, Hanau und Wolfsburg als Hochburgen, in denen die Sportart besser gefördert wird als hier. "Bayern stellt sich quer. Aber ich werde nicht aufgeben."

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Dabei haben die München Gladiators auch einen sozialen Anspruch: Armwrestling ist eine aufstrebende Disziplin im Bereich des Versehrtensports. Da man es im Sitzen betreiben kann, ist das Interesse gerade bei Rollstuhlfahrern groß. Spannagel ist offizieller Behindertenbeauftragter der International Armwrestling Federation for Disabled (IAFD) in Deutschland. Die Hoffnung des Weltmeisters: "Irgendwann muss der Armsport Teil der Paralympics sein. Das ist ein Traum von mir."

Zuletzt war Armwrestling immerhin Bestandteil der IWAS (International Wheelchair and Amputee Sports)-World Games 2015 in Sotschi. Und fristete keineswegs ein Mauerblümchendasein: "Putin kam zur Siegehrung", sagt Spannagel, der auch enge Bande zur Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Murnau pflegt. "Wir versuchen mit den Gladiators dort die Lust auf Armwrestling bei Rollstuhlfahrern zu wecken. Menschen, die durch einen Unfall aus dem normalen Leben gerissen werden, brauchen neue Ziele, gerade wenn sie sportlich sind."

Das Training hat es jedenfalls ins sich, erst recht, wenn man einen großen Wettkampf vor sich hat und - wie Spannagel vor der WM in Malaysia - erst noch die gewünschte Gewichtsklasse erreichen will. Sechs Wochen vorher war er angereist, absolvierte täglich drei Einheiten und verlor über sechs Kilo, um am Tag des Turniers mit 89,98 Kilogramm im Limit zu sein.

Das war ihm auch deshalb so wichtig, weil er ein analytischer Wettkämpfer ist, der die Gegner genau kennt. Armwrestling habe nämlich "mit Armdrücken im Bierzelt nichts zu tun". Taktik spiele eine Rolle, auch Psychologie. Nicht alle Duelle gehen so schnell vorbei wie das WM-Finale gegen den Italiener Gasparini, manches Kräftemessen dauert mehrere Minuten.

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Weil sich der 1,90-Meter-Hüne auf den Punkt konzentrieren kann, stieß er nach dem Beginn seiner Karriere 2003 recht schnell in die Weltspitze. 2006 bei der Europameisterschaft in Ungarn holte er erstmals Bronze, seither war er bei jedem Großereignis, zu dem er antrat, auf dem Treppchen. Aus Malaysia brachte er gar zwei Medaillen mit, denn mit dem linken Arm wurde er Dritter.

Warum der Verdacht auf Doping besonders schnell aufkommt

Die Erfolge haben ihn in seiner früheren Heimat Russland populär gemacht. Als 18-Jähriger kam er 1998 mit seiner Familie nach Deutschland. "In Wladiwostok haben ich Schwimmen und Eishockey gemacht, aber eher hobbymäßig." Kraftsport war nicht sein Ding. Heute ist er muskelbepackt, die Oberarme haben einen geradezu beängstigenden Umfang. Da kommt einem unwillkürlich das Thema Doping in den Sinn.

Spannagel kennt natürlich die gängigen Klischees, die für alle Schwerathleten gelten: "Mittlerweile gibt es sogar bei deutschen Meisterschaften schon Kontrollen, bei der WM waren es insgesamt 130, so viele wie noch nie", sagt er und weist jeden Verdacht, auch er könne zu unerlaubten Substanzen greifen, weit von sich.

In Russland steht Spannagel auch abseits des Sports in der Öffentlichkeit. Er fungiert als offizieller Vertreter einer Familie, die mit einem schlimmen Schicksal zu kämpfen hat: Einer der beiden Söhne war 2013 im Alter von zwölf Jahren im Griechenland-Urlaub von einem niederländischen Animateur niedergestochen worden, weil der Junge den Hotelangestellten eines Diebstahls überführt hatte. "Ich leite diesen Fall komplett", sagt Spannagel und meint damit alle rechtlichen Fragen, die Bestellung von Anwälten und die Reha für den schwerverletzten Buben.

Darüber hinaus verdient der 36-Jährige im Elektronikbereich sein Geld, er arbeitet in der Produktion von Leiterplatten. Auch hier geht es, wie in Spannagels Sport, um Präzision und um Timing.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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