Geheimdienste:So wird und wurde in München spioniert

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Der ukrainische Nationalist Stepan Bandera, der noch heute in seiner Heimat verehrt wird, wurde 1959 in München vom KGB ermordet. (Foto: Sergei Supinsky/AFP)

Vor allem während des Kalten Krieges war München Schauplatz von Spionageaktivitäten. Inzwischen sind verstärkt Firmen und Wissenschaftler Ziele.

Von Julian Hans, München

Als vor einem Jahr bekannt wurde, dass der Bundesnachrichtendienst über Jahrzehnte eine Funkanlage im Nordturm der Frauenkirche betrieben hatte, waren nicht nur gläubige Katholiken empört: Ausgerechnet das Wahrzeichen Münchens wird für Spionage missbraucht! Der BND beteuerte, es sei mit der Anlage niemand ausgespäht worden. Nach Einschätzung des Weilheimer Geheimdienst-Experten Erich Schmidt-Eenboom nutzten die Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes den 98,57 Meter hohen Turm, um Kontakt mit den eigenen Leuten in der Landeshauptstadt und bis ins Umland zu halten. Von der Kuppel reichte die Verbindung locker bis an den Sitz des Dienstes in Pullach. Inzwischen ist der nach Berlin umgezogen - so weit reicht auch kein Funksignal vom Dom - und das Gotteshaus ist wieder ganz seiner ursprünglichen Bestimmung gewidmet: dem Kontakt nach ganz oben.

In Sachen Spionage war München allerdings nie Provinz. Das hat verschiedene Gründe. Auf der Flucht vor Verfolgung in ihren Heimatländern wählten viele Intellektuelle und Revolutionäre die Stadt als Exil. Lenin ist nur ihr bekanntester Vertreter. Nachdem er in seiner Heimat erfolgreich war, flüchteten seine Gegner aus der Sowjetunion an die Isar.

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Nach dem Krieg versuchten die Amerikaner, München zu einem Bollwerk gegen den Kommunismus auszubauen, errichteten eines ihrer größten Konsulate weltweit. Ihre Abhöreinrichtungen belauschten von hier aus den Ostblock und der Sender Radio Liberty funkte in dieselbe Richtung. Heute schließlich sind die Rüstungsindustrie und Hochtechnologieunternehmen in der Region das Ziel von Spionage.

München war ein Zentrum der Nachkriegsemigration aus der Sowjetunion. Die Organisation Ukrainischer Nationalisten hatte ihre Zentrale zunächst in der Dachauer Straße 9, später in der Lindwurmstraße 205 und in der Zeppelinstraße 67. Die Ukrainische Freie Universität zog von Prag ebenfalls nach München. Die Sowjetmacht verfolgte ihre Gegner bis ins Münchner Exil. 1953 wurde hier der tschechisch-deutsche Trotzkist Wolfgang Salus von einem KGB-Agenten vergiftet. 1957 starb der ukrainische Nationalist Lev Rebet ebenfalls in München an einer Vergiftung. Am bekanntesten ist der Ukrainer Stepan Bandera, dem ein Killer des KGB am 15. Oktober 1959 im Treppenhaus von Haus Nummer 7 in der Kreittmayrstraße Blausäure ins Gesicht sprühte.

Viele dieser Morde konnten erst nach dem Ende des Kalten Krieges aufgeklärt werden. 2016 verurteilte das Oberlandesgericht München zwei Kroaten zu lebenslangen Freiheitsstrafen, die als Chefs des Geheimdienstes im sozialistischen Jugoslawien den Mord an einem Dissidenten in Auftrag gegeben hatten. Der kroatische Schriftsteller Stjepan Ðureković war am 28. Juli 1983 in seiner Garage in Wolfratshausen von Kugeln durchsiebt worden.

Anhänger von Unabhängigkeitsbewegungen sind auch heute noch Ziel der Verfolgung durch die Dienste ihrer Herkunftsstaaten. Der Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes nennt den Weltkongress der Uiguren, der seine Zentrale in der Adolf-Kolping-Straße hat. Die turksprachige Volksgruppe lebt im Gebiet Xinjiang im äußersten Westen Chinas. Peking betrachtet die Organisation als separatistisch, einige ihrer Mitglieder gar als Terroristen.

Die jedes Jahr im Februar stattfindende Münchner Sicherheitskonferenz ist auch ein Treffpunkt für die Geheimdienste. Vor zwei Jahren übergab der Leiter des türkischen Nachrichtendienstes bei der 53. Sicherheitskonferenz eine Liste mit Namen von 358 Anhängern der Gülen-Bewegung an den Bundesnachrichtendienst. Die Organisation wird hierzulande nicht als terroristisch eingestuft. Statt Personen auf der Liste wie von der Türkei gefordert zu verhaften, warnten die deutschen Behörden die Genannten.

Spionage in München: Im Besprechungsraum "Alter Fritz" in der Präsidentenvilla auf dem Gelände des Bundesnachrichtendienstes in Pullach konferierten die Geheimdienstmitarbeiter. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Immer größeren Raum nimmt die Cyberspionage ein, die es oft auf Wirtschaft und Wissenschaft abgesehen hat. "Gerade bayerische Firmen und Hochschuleinrichtungen stehen wegen ihrer Innovationskraft in nahezu allen Branchen und Forschungsbereichen im Blickfeld ausländischer Nachrichtendienste", heißt es im jüngsten Bericht des Verfassungsschutzes. Gefährdet seien besonders kleine und mittelständische Betriebe, die Hochtechnologie produzierten, weil sie sich oft nicht ausreichend vor Spionageangriffen schützten. Außerdem versuchten "Risikostaaten" wie Nordkorea oder Pakistan über Tarnfirmen an Ausrüstung und Know-how zur Herstellung von Atom- oder Chemiewaffen zu kommen. Seit 2013 betreibt der bayerische Verfassungsschutz ein Cyber-Allianz-Zentrum, das Firmen in der Region dabei unterstützen soll, sich gegen Ausspähung und Hacker-Angriffe zu schützen.

Chinesische Nachrichtendienste nutzten Kontakte zu Wissenschaftlern sowie Vertretern von Behörden und Unternehmen, die oft über die Sozialen Netzwerke wie Facebook oder die Karrierenetzwerke Xing und LinkedIn angebahnt würden, hat der Verfassungsschutz beobachtet. Auch in Deutschland lebende Praktikanten, Studenten und Gastwissenschaftler werden dem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes zufolge genutzt, um sensible Informationen zu sammeln.

Der Dom war in dieser Geschichte übrigens nicht das einzige Gotteshaus, in dem sich ein Geheimdienst einnistete. 2011 enthüllte der amerikanische Pulitzer-Preisträger Ian Johnson, dass die CIA bei der Gründung der Moschee in Freimann eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Die Nazis hatten versucht, Kriegsgefangene aus den muslimischen Regionen der Sowjetunion in München als Kämpfer gegen die Rote Armee einzusetzen. Nach Kriegsende blieben sie in Deutschland und zogen vor allem in die amerikanische Besatzungszone. Die US-Dienste starteten einen neuen Versuch, die antikommunistische Haltung der Muslime zu instrumentalisieren. Wieder mit zweifelhaftem Erfolg: Die 1972 gegründete Moschee in Freimann wurde zwischenzeitlich zu einem Zentrum der Muslimbruderschaft, in deren Umfeld radikale Islamisten gediehen, die in ihrem Hass auf Amerika die Kommunisten noch übertrafen.

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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