SPD in München:"Sag nichts"

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Bei der Landtagswahl 2013 holte Ruth Waldmann das einzige Direktmandat für die SPD. An diesem Abend leidet sie wie alle Genossen.

Von Melanie Staudinger

Gülseren Demirel nimmt Ruth Waldmann erst einmal in den Arm. "Sag nichts", sagt Waldmann, SPD-Kandidatin in München-Milbertshofen. Und die Grünen-Bewerberin Demirel lacht. Es ist kurz nach sechs Uhr an diesem Sonntag im Kreisverwaltungsreferat. Gerade liefen die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme. Und mit ihnen kommt die Gewissheit: Es wird ein Desaster werden für die Sozialdemokraten und ein riesiger Erfolg für die Grünen.

Bayernweit wie im Stimmkreis von Waldmann: 2013 hatte sie Katharina Schulze noch klar besiegt. Dieses Mal wird es für die einzige Politikerin der SPD in ganz Bayern, die vor fünf Jahren der CSU ein Direktmandat abgeluchst hat, nicht reichen. Waldmann liegt deutlich hinter Schulze und der CSU-Bewerberin Tina Pickert auf Platz drei. Ob sie über die Liste einziehen wird oder sich künftig eine neue Aufgabe suchen muss, wird sich erst am Montag oder Dienstag entscheiden.

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"Das ist ein bitterer Abend für die Sozialdemokratie", sagt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. Nicht nur, dass die SPD im Landtag nur noch eine Randrolle spielen wird. Auch in München haben die Sozialdemokraten ein desaströses Ergebnis bekommen, in der Stadt, die eigentlich neben Nürnberg als rote Hochburg im Freistaat gilt. Kein Direktmandat hat die SPD mehr, und sie dümpelt abgeschlagen hinter den Grünen und der CSU vor sich hin.

"Dass wir nicht im Zeitgeist liegen, ist seit einigen Landtags- und Bundestagswahlen klar", sagt Münchens SPD-Chefin Claudia Tausend. Lediglich 2013 habe man mit dem Spitzenkandidaten Christian Ude, Münchens Ex-Oberbürgermeister, den Trend durchbrochen, umkehren aber habe man ihn nicht können. "Bayern war schon immer ein schwieriges Pflaster", sagt auch Münchens Dritte Bürgermeisterin Christine Strobl. Sie wolle aber niemandem die Schuld zuschieben. Auch von ihr ist zu hören: Wahlergebnis genau analysieren und in Ruhe Konsequenzen ziehen.

Und so richten sich die Augen und vor allem die Hoffnungen der Münchner Sozialdemokraten gleich auch nach vorne, Richtung Kommunalwahl 2020. Da soll alles wieder anders werden. "Das wird keine reine Stimmungswahl sein wie die Landtagswahl, sondern da geht es wieder um Sachthemen", sagt Tausend. Hier habe man mit Oberbürgermeister Dieter Reiter einen der beliebtesten Rathauschefs in ganz Bayern, man habe bekannte Politiker wie Bürgermeisterin Strobl und man habe junge Nachwuchskräfte - eine Mischung, die auf Landesebene offenbar gefehlt hat. Auch die Themen - Wohnen, Mieten und Bildung - sind in München einfach wichtiger als im Rest Bayerns, sagen andere Sozialdemokraten. Oberbürgermeister Reiter fordert: "Die SPD muss insgesamt wieder glaubwürdiger werden. In den Städten können wir beweisen, dass es ja eigentlich geht."

"Bei dem Ergebnis gibt es heute für keinen von uns was zu gewinnen"

Genau das versucht Ruth Waldmann in ihrem Stimmkreis Milbertshofen seit Jahren. 1998 wurde sie in den Bezirkstag gewählt, sie ist in Milbertshofen und dem Westen Schwabings sehr bekannt - eben genau, weil sie immer nah an den Menschen arbeitet. Sie hat im Wahlkampf nicht wahllos an allen Türen geläutet, sondern sich ein mobiles Bürgerbüro gebaut und mit dem vor allem die Neubaugebiete in ihrem Stimmkreis besucht. Sie kümmert sich um eine würdige Pflege im Alter und wollte im GBW-Untersuchungsausschuss bayerische Behörden und Politiker zur Verantwortung ziehen, die am Verkauf von Tausenden GBW-Wohnungen beteiligt waren und somit vielen Menschen deftige Mieterhöhungen bescherten. Waldmann hat bis zum Schluss um jede Stimme gekämpft. "Alle Wahlanalysen bisher haben gezeigt, dass das genau der richtige Weg sein müsste", sagt sie. Der Weg, mit dem sie 2013 das Direktmandat holte. Auch am Wahlabend war Waldmann auf Achse: Erst im KVR, dann bei der SPD-Party, dann im Landtag und schließlich in ihrem Bürgerbüro an der Belgradstraße.

"Bei dem Ergebnis gibt es heute für keinen von uns was zu gewinnen", erklärt sie. Ein katastrophales Ergebnis, das hoffentlich in Berlin ankomme. Denn der ständige Streit um die große Koalition sei der Auslöser für das schlechte Abschneiden ihrer Partei. Für Waldmann ist klar: Die SPD muss raus aus der Groko - damit dürfte sie auch vielen an der SPD Basis aus der Seele sprechen. Bei der Wahlparty der Sozialdemokraten spricht Natascha Kohnen. "Wir haben euch nicht den Rückenwind gegeben, den ihr gebraucht hättet", zitiert sie aus einem Telefonat mit SPD-Chefin Andrea Nahles. Im Schlachthof klatscht nahezu jeder. "Ein Glück, dass wir wenigsten die fünf Prozent Hürde geschafft haben", sagt eine Genossin enttäuscht. Warum die SPD aber die Menschen kaum mehr erreicht hat, diese Frage will konkret keiner beantworten an diesem Abend.

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© SZ vom 15.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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