Schwabing:Vom Prestigeobjekt zum Sanierungsfall

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Es könnte sich hierbei um einen unbekannten Planeten in einem Science-Fiction-Film handeln. (Foto: Stephan Rumpf)
  • 2010 wurde der Umsteigebahnhof an der Münchner Freiheit eröffnet. Damals ein Problem: Das grüne Dach reflektierte das Licht so stark, dass sich die Anwohner beklagten.
  • Mittlerweile hat sich so viel Dreck auf dem Dach gesammelt, dass es nicht mehr abstrahlt. Kritiker sprechen von einem Schandfleck, Ausbesserungen kosten jedes Jahr Tausende Euro.
  • Seit fast zwei Jahren liegt eine Beschwerde bei der Regierung von Oberbayern. Diese will nun nach einer Lösung suchen.

Von Christian Gschwendtner

Eine zweistöckige Penthouse-Wohnung mitten in Schwabing. Die Hausherrin steht an der Glasfront im Wohnzimmerbereich und zieht kokett die Augenbrauen hoch. Ja, es stimmt, sie und ihr Mann seien seit ein paar Jahren große Feinstaub-Fans. Genau genommen, seit es dieses giftgrüne Dach gebe.

Die Frau blickt nach unten: Vogelperspektive auf die Trambahn-Haltestelle an der Münchner Freiheit. Und es kommt tatsächlich so etwas wie Freude auf. Freude über den ganzen Dreck, der sich auf dem Dach abgelagert hat, die toten Tiere. Es ist der Grund, warum das Haltestellendach aufgehört hat, zu strahlen.

Seit Jahren gibt es an der Münchner Freiheit Streit wegen des giftgrünen Tram- und Busbahnhofs. Ein gerichtlich bestellter Farbgutachter attestierte eine Licht-Belästigung, die über das erträgliche Maß hinausgeht. Wegen der Wellenform werden die Lichtstrahlen hier besonders stark reflektiert. Sie tauchen die Münchner Freiheit in ein grünes Licht. Erst als der Dreck kam, wurde es besser.

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Das kann sich jederzeit wieder ändern. Dafür müssten die Stadtwerke München (SWM) das Dach nur putzen lassen. Sie weigern sich jedenfalls hartnäckig, eine Garantie für den Status quo abzugeben, auch wenn es momentan angeblich keine Pläne gibt, das Dach zu reinigen.

Der Dreck ist das eine. Die Baumängel sind das andere. Sieben Jahre nach Fertigstellung ist von der ursprünglichen Idee eines grünen Pappelhains mitten in der Stadt nicht mehr viel übrig geblieben. Das Haltestellendach war mal ein Prestigeobjekt, von unten sieht es aus wie eine Tropfsteinhöhle. Und oben ist es grün. Es sollte der Münchner Freiheit zu neuem Glanz verhelfen. Und ist jetzt ein Sanierungsfall. Vier Millionen Euro hat das Dach gekostet. Tausende von Euro verschlingen die Reparaturmaßnahmenjedes Jahr. Mittelfristig muss ein neues Konzept her, soviel ist sicher.

Die SWM versuchen indes zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Beobachten lässt sich das auf der Dachoberseite, wo sich seltsame Auswölbungen gebildet haben. Zweimal im Jahr kommen deshalb Arbeiter vorbei. Sie schneiden die Riesenblasen aus. Entstanden ist so eine Kraterlandschaft, die einige Rätsel aufwirft. Bis jetzt weiß zum Beispiel niemand, warum sich der Kunststoffschaum an manchen Stellen aufbläht. Bei den Stadtwerken ist man nach eigenen Angaben noch mit Ursachenforschung beschäftigt.

... aber es ist letztlich nur ein Dach für MVV-Fahrgäste an der Münchner Freiheit. Wer es von oben sieht, nennt es "Pickeldach". (Foto: Stephan Rumpf)

Die Anwohner sagen, die Auswölbungen seien zum ersten Mal im Frühjahr 2010 aufgetaucht. Nur wenige Monate nach der Einweihung. Heute sprechen sie meistens von der Kloake, von Gorillakotze oder dem Pickeldach, wenn sie den Schwabinger Umsteigebahnhof meinen. Oder ganz einfach vom größten Schandfleck in München.

Ein Besuch bei der Zahnärztin Karen Meißner, dem Gesicht des Protests. Es ist kurz vor sechs, Feierabend, die letzten Patienten stolpern aus der Praxis. Karen Meißner steht in ihrem Behandlungszimmer, wieder Fensterseite, wieder Blick auf den Busbahnhof. Sie schüttelt den Kopf: "Das ist halt Wahnsinn, so eine Schaumstoffkonstruktion in der heutigen Zeit auf so ein Dach zu klatschen." Unwürdig sei das, für eine Stadt wie München. Über den Tram- und Busbahnhof kann sie sich noch immer wunderbar aufregen. Obwohl sie das eigentlich gar nicht mehr will. Nur sprechen sie jeden Tag Patienten darauf an.

Damals, als der ganze Ärger anfing, hat Karen Meißner ein Interview nach dem anderen geben. Sie hat Briefe geschrieben, an den damaligen OB Christian Ude und an die Stadtwerke. Es sollte sich was ändern. Hängen geblieben ist aber vor allem die Geschichte mit den "grünen Zähnen". So titelten damals die Zeitungen.

Als Zahnärztin muss Karen Meißner naturgemäß bei Füllungen und auch sonst den richtigen Weißton finden. Mit dem penetranten Grünstich ist das für sie nicht leichter geworden. Sie rüstete die Praxis auf eigene Kosten auf, klebte die Fenster mit einer speziellen Reflexionsfolie ab. Die Zähne sind weiß geblieben, das Schauermärchen ist trotzdem noch in der Welt. Richtig "rufschädigend" sei das, sagt Karen Meißner. Erst eine Woche ist es her, da habe sie wieder jemand angesprochen: Ob sie die Frau mit den grünen Zähnen sei?

Ansonsten passiert nicht viel. Der Vermieter der Zahnärztin klagt sich deshalb durch die Instanzen. Meißner ist sein Sprachrohr nach außen, weil er sich selbst in der Öffentlichkeit weitestgehend bedeckt hält. "Was sollen wir machen? Wir wollen ja eigentlich eine gütliche Einigung. Wir haben nicht gesagt: Sprengt das Ding weg", erklärt Karen Meißner.

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Angeblich soll der Vermieter bereits 40 000 Euro in den Rechtsstreit mit den Stadtwerken investiert haben, bisher ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht gab ihm zwar inhaltlich recht, wies die Klage aber aus formalen Gründen zurück. Zuständig sei das Verwaltungsgericht. Schließlich habe man das giftgrüne Dach in einem ordentlichen Planfeststellungsverfahren abgesegnet, so der Tenor.

Die Beschwerde gegen die SWM landete also wieder bei der Regierung von Oberbayern. Dort liegt sie seit 22 Monaten. Die Behörde sah lange keinen "akuten Handlungsbedarf". Lieber verweist man auf die Dreckschicht, die alles erträglicher mache. Dann hat die Bezirksregierung ihre Meinung doch noch geändert. Auf Anfrage teilt sie nun mit, schon im Oktober mit allen Beteiligten nach einer Lösung suchen zu wollen.

Ohne das Aachener Architekturbüro "OX2", den Gewinner des städtischen Ausschreibungswettbewerbs, wird das nicht gehen. Es hat das Dach geplant und hält die Urheberrechte. Doch der OX2-Chef Marcin Orawiec ist einer Neugestaltung prinzipiell nicht abgeneigt, sollten die Umstände dies erforderlich machen. Er will nur mit einbezogen werden. Schließlich habe die Dachkonstruktion als preisgekrönter Wettbewerbsentwurf weltweit Beachtung gefunden, inzwischen sei sie außerdem ein "architektonisches Markenzeichen des Stadtviertels". Die Werktreue soll erhalten werden.

Hässlich oder lästig - das ist die Frage

Zum Dach haben die OX2-Architekten nach wie vor eine emotionale Bindung. "Wir würden gerne sehen, dass es den Menschen in München mit dem Projekt auch gut geht", sagt Marcin Orawiec. Klickt man auf die OX2-Homepage, dann erscheint als Erstes die grün-weiß leuchtende Münchner Freiheit.

630 Kilometer entfernt von Aachen klappt die Frau mit der Penthouse-Wohnung ihr Laptop auf. Sie zeigt Bilder von der Zeit, als die Deckenwände noch grün leuchteten. Das ist vorbei. Momentan sei das Dach hauptsächlich eine ästhetische Belästigung, sagt die Frau, einfach nur hässlich. Dass die SWM jemals wieder eine Putzaktion wagen, glaubt sie nicht. "Bei dem Ärger, den sie sich dadurch einhandeln würden."

© SZ vom 05.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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