"Öffentlicher Aufruf zum Whistleblowing":Freispruch für Rüstungsgegner

Leopard 2 Krauss-Maffei Wegmann illegale Rüstungsgeschäfte

Bei Krauss-Maffei Wegmann in München werden auch die Leopard 2-Panzer produziert.

(Foto: DPA)
  • Hermann Theisen versucht, gegen illegale Rüstungsexporte vorzugehen.
  • Vor dem Eingangstor des Unternehmens Krauss-Maffei Wegmann in Allach verteilte er Flugblätter, um Mitarbeitern der Rüstungsfirma den "Öffentlichen Aufruf zum Whistleblowing" in die Hand zu drücken.
  • In zweiter Instanz wird der Friedensaktivist nun von dem Vorwurf freigesprochen, öffentlich zu einer Straftat aufgefordert zu haben, was nach Paragraf 111 des Strafgesetzbuchs verboten ist.

Von Martin Bernstein

Am 16. Mai vergangenen Jahres steht Hermann Theisen wieder einmal vor dem Eingangstor einer Waffenschmiede. Seit vielen Jahren macht er das, um gegen illegale Rüstungsexporte zu protestieren. Diesmal hat Theisen sich - wie schon sechs Jahre zuvor - das Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann in Allach ausgesucht. Dort werden unter anderem die "Leopard"-Panzer produziert. Führende Manager, so steht es auf einem grünen Flugblatt, das Theisen verteilt, stünden "in Verdacht, in der Vergangenheit gegen Rüstungsexportbestimmungen verstoßen zu haben". Der Sozialpädagoge drückt den "Öffentlichen Aufruf zum Whistleblowing" Mitarbeitern der Rüstungsfirma in die Hand, die zwischen 15 und 16 Uhr Feierabend haben und vom Werksgelände kommen. "Informieren Sie die Öffentlichkeit umfassend und rückhaltlos über die Hintergründe der in Rede stehenden in Teilen illegalen Exportpraxis ihres Arbeitgebers", heißt es auf den Handzetteln. Der Werkschutz ruft die Polizei, zwei Beamte nehmen Theisens Personalien auf und ein Flugblatt mit.

Die Justiz beginnt gegen Theisen zu ermitteln. Bei weitem nicht das erste Mal. Wer im Internet nach dem Namen des 55-jährigen Nordbadeners sucht, wird rasch fündig. Immer wieder Prozesse, Verurteilungen, Freisprüche. Darunter ein besonders bizarrer Fall aus Norddeutschland. Wegen einer ähnlichen Aktion gegen eine Chemiefirma bekommt Theisen Post: Von der Justiz einen Strafbefehl - und vom Zollfahndungsamt Hamburg eine Bitte um Unterstützung. Man sei sehr an den Erkenntnissen möglicher Whistleblower interessiert, schreiben die Ermittler.

Auch nach der Allacher Flugblattaktion stellt sich für die Justiz die Frage: Darf der das? Die Antwort gibt das Landgericht München I Mitte Januar: Er darf. In zweiter Instanz wird der Friedensaktivist von dem Vorwurf freigesprochen, öffentlich zu einer Straftat aufgefordert zu haben, was nach Paragraf 111 des Strafgesetzbuchs verboten ist. Die Richter mussten dazu auch klären, ob ein möglicher Whistleblower überhaupt eine Straftat begangen hätte. Man muss diesen Satz so formulieren - denn tatsächlich blieb Theisens Flugblattaktion in Allach nach Angaben seines Anwalts ohne Folgen. Kein Mitarbeiter von Krauss-Maffei Wegmann meldete sich, weder Theisen gegenüber, noch bei der Presse oder öffentlich. Etwa 15 bis 20 Flugblätter war der 55-Jährige in dieser Stunde losgeworden, 70 hatte er noch in seiner Umhängetasche, als die Polizei kam.

Die Frage, vor der die Justiz stand, lautete also: Wäre das Ausplaudern möglicher illegaler Praktiken ein "Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen" gewesen und damit ein Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb? Die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen sei, heißt es in einer seit mehr als zwei Jahren gültigen EU-Richtlinie, zulässig "zur Aufdeckung (...) einer illegalen Tätigkeit, sofern der Antragsgegner in der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen."

Bisher freilich ist diese Richtlinie in Deutschland noch nicht umgesetzt worden. Und so verurteilte das Amtsgericht München Theisen am 11. September zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 50 Euro. Der Sozialpädagoge und sein Anwalt gingen in Berufung - und gewannen. In der Verhandlung schwenkte die Staatsanwaltschaft, die zuvor noch eine höhere Strafe für Theisen gefordert hatte, ebenfalls um und forderte Freispruch.

"Ich möchte auf mögliche illegale Exporte der Firmen aufmerksam machen"

Die Deutsche Friedensgesellschaft und die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die den Aktivisten bei seinen Prozessen unterstützten, begrüßten das Münchner Urteil. Auf Interesse stößt es auch bei Ralf Kölbel und Nico Herold von der Ludwig-Maximilians-Universität. Die beiden Münchner Juristen forschen aktuell zum Whistleblowing in Deutschland. Die EU-Richtlinie verbessere die rechtliche Lage für Insider, sagt Herold, berge aber auch weiter Rechtsunsicherheiten. Die rechtliche Situation für Whistleblower hält Herold für "ziemlich kompliziert". Und er weiß: "Die Angst vor Repressalien ist meist der Grund dafür, nichts zu sagen." Dabei sei der Staat sehr an dieser Informationsquelle interessiert.

Theisen jedenfalls sieht sich bestätigt: "Ich möchte auf mögliche illegale Exporte der Firmen aufmerksam machen und an das Gewissen ihrer Beschäftigten appellieren, sich konstruktiv einzumischen", sagt er. "Es ist gut, vom Landgericht München bestätigt zu erhalten, dass ich das darf." Was Krauss-Maffei Wegmann von dem Urteil hält, ist offen: Eine schriftliche Anfrage ließ die Pressestelle des Unternehmens unbeantwortet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: