So einiges, was Münchner über die Kelten wissen, über Wale, Insekten oder Tibet, über die Pharaonen oder die Wikinger, das haben sie womöglich in Rosenheim aufgeschnappt. Nämlich in den großangelegten Ausstellungen im 1988 aus der ehemaligen Betriebswerkstätte der Bayerischen Staatsbahn zu einem der größten Ausstellungszentren Deutschlands umgewandelten Lokschuppen Rosenheim.
Nachdem wegen Corona zuletzt zwei Jahre lang Meeressaurier die Halle bevölkerten, ist es jetzt wieder Zeit für etwas Neues. "Eiszeit - Mensch. Natur. Klima" heißt die gerade eröffnete, bis zum Dezember laufende Schau, eine "Ausstellung, die niemanden kalt lässt", wie die Macher versprechen.

So betont die neue Leiterin des Lokschuppens, Jennifer Morscheiser, dass es wieder gelungen sei, Wissenschaft und Unterhaltung zusammenzubringen und wirklich allen Einblicke in die Zeit zwischen 40000 und 15000 Jahren packend zu vermitteln. Für jede Altersgruppe und für jeden Wissensstand ist bei "Eiszeit" etwas dabei. Von eigenen Workshops und dem "Erlebnismammut Molli" für Kindergartenkinder über die sogar auf die Lehrpläne abgestimmten Mitmachstationen für Schulkinder bis zu Führungen für Erwachsene.

Die im wahrsten Sinne des Wortes großen Stars der Ausstellung verfehlen ohnehin bei niemandem ihre Wirkung: mehr als hundert lebensechte Tiermodelle. Aug in Aug kann man hier Mammuts, Büffeln, Riesenhirschen, Hyänen, Höhlenlöwen, Nashörnern und Flusspferden gegenübertreten, wie sie damals in Bayern heimisch waren. Eingebettet in die realen Lebenswelten der Eiszeit, unter anderem eingebettet in die Jahreszeiten.
Besonders stolz sind die Kuratoren Wilfried und Gaëlle Rosendahl von den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim darauf, dass die neuesten Forschungsergebnisse in die Ausstellung eingeflossen sind. "Unsere Rekonstruktionen sind nicht irgendwelche Plüschtiere", sagt Wilfried Rosendahl, "die sind gestaltet auf wissenschaftlicher Basis, aufmodelliert aufgrund von Skelettfunden. Mit enormem Aufwand bis hin zur Einzelhaartransplantation."

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In jüngster Zeit habe man völlig neue Methoden und Möglichkeiten an die Hand bekommen, und die Ausstellung habe laufend neue Erkenntnisse ermöglicht. "Manches ist sogar jetzt schon wieder überholt. Es ist lebendige, lebende Wissenschaft, die man hier sieht."
Das Originalskelett des "ältesten Bayern"
Besonders deutlich wird das an dem anderen Highlight der Ausstellung neben den Tieren: dem "Mann von Neuessing", gerne "ältester Bayer" genannt, jedenfalls der älteste anatomisch moderne Mensch Bayerns, der älteste vollständige Bestattungsfund Deutschlands und der älteste erhaltene europäische Eiszeitjäger.
1913 nahe Neuessing im Altmühltal gefunden, hat er viele seiner Geheimnisse erst jetzt bei den Untersuchungen für die Ausstellung preisgegeben. Denn in der Ausstellung ist nicht nur das originale Skelett zu sehen, sondern auch eine 3-D-Rekonstruktion seines Gesichts und Kopfes. Dafür wurden modernste genetische Analysen und forensische Techniken eingesetzt, denen man einige spektakuläre und überraschende Erkenntnisse verdankt.

Zum Beispiel ist der Neuessinger deutlich älter als bisher gedacht, nach neuesten Analysedaten sogar noch älter als die in Ausstellung und Katalog angegebenen 34000 Jahre. Und man weiß nun nicht nur recht genau, was auf seinem Speisezettel stand (unter anderem auch Mammut), sondern auch, dass er 1,63 Meter groß, Mitte 40 und in der Hautfarbe sogar noch dunkler war als in der Rekonstruktion. "Alle europäischen Menschen waren damals dunkelhäutig, erst vor ungefähr 8000 Jahren wurden sie heller", erläutert Rosendahl. "Kein Schul- oder Kinderbuch, das es zu diesem Thema gibt, hat das bisher aufgegriffen. Die Ausstellung in Rosenheim zeigt jetzt, wie es wirklich war."
Für die Wissenschaft weniger neu, aber für die meisten Ausstellungsbesucher ebenso überraschend sind viele andere Stationen der Ausstellung. Etwa die zum Teil verblüffend genauen und ausdrucksvollen Kunstwerke der frühen Menschen, von Höhlenmalereien und Skulpturen über Schmuck und Verzierungen aller möglichen Gebrauchsgegenstände bis zu den ersten Musikinstrumenten. Oder Ernährung und Kochen (zum Beispiel mit Kochsteinen), die frühzeitliche Medizin mit Heilpflanzen oder die ausgefeilte Waffentechnik der Steinzeitjäger.
Gut 140 Originale sind ausgestellt, veranschaulicht und vertieft durch Modelle, Panoramen, Filme und 30 interaktive Medienstationen. Alles zusammen ergibt eine plastische Zeitreise in die Lebenswelt der Eiszeit-Menschen, die sich ganz anders darstellt als in den von Filmen wie "Ice Age" angeregten Vorstellungen der meisten. Zum Beispiel mit viel blauem Himmel und kaum Niederschlag, weil die meiste Flüssigkeit ja im Eis gebunden war.
Was zum letzten Kapitel der Ausstellung führt, das den Bogen zur Gegenwart schlägt. Führt doch die Erläuterung des Begriffs Eiszeit samt den vielen Kälte- und Wärmephasen der Erdgeschichte direkt zur Klimaforschung. Und in der finalen Station zu den möglichen Folgen, wenn sich das Klima menschengeschaffen nur ein paar Grad erwärmt. Da erst fröstelt es einen in der Schau so richtig. Immerhin gibt es einen Klimaschutz-Planer zum Downloaden.
Der enorme Aufwand hat sich also gelohnt, den insgesamt gut 150 Mitarbeiter für die Schau auf 1500 Quadratmetern betrieben haben. Mit einem Budget von 2,5 Millionen Euro - "wobei die Ausstellung eigentlich viel teurer war", wie Wilfried Rosendahl erklärt: Gut eine Million hatten bereits die Tiermodelle in Mannheim gekostet, die für die Rosenheimer Ausstellung übernommen wurden. Wieder einmal erweist sich der Lokschuppen so als echter Erlebnisort und attraktives Ausflugsziel.
Eiszeit - Mensch. Natur. Klima, bis 11. Dez., Lokschuppen Rosenheim , Rathausstraße 24