Bayerisches Staatsschauspiel:Das Leid mit den Likes

Lesezeit: 2 min

Sechsmal Mette, viermal Jo: Regiseeurin Daniela Kranz hat die beiden Hauptrollen von "Tick Tack" in mehrere Hände gelegt. (Foto: Adrienne Meister)

Was passiert, wenn sich Jugendliche im Internet radikalisieren? Daniela Kranz hat im Marstall Julia von Lucadous Roman "Tick Tack" für die Bühne adaptiert.

Von Yvonne Poppek

Mette hat ihre beste Freundin Yağmur an die neue Mitschülerin Sve verloren. Die beiden sind jetzt ein Paar und Mette hängt irgendwie in der Luft. Weil die Hochbegabte einen zynischen Blick auf die Welt und die Menschen darin hat, fallen ihr neue Freundschaften schwer. In den sozialen Medien sammelt sie auch nicht genug Likes, um ihr Selbstbewusstsein aufzupumpen. Nur ihr Suizidversuch, bei dem sie auf die Gleise gesprungen ist, hat die Zahl ihrer Followers kurz verfünffacht. Da kommt es ihr ganz gelegen, dass sie auf den zehn Jahre älteren Jo trifft, der ihr zeigt, wie man bei Tiktok und Co. den Beliebtheitsgrad steigert. Jos rechtspopulistische Ansichten überhört sie geflissentlich.

Julia von Lucadou hat 2022 ihren Roman "Tick Tack" über die Social-Media-Generation veröffentlicht. Darin zeichnet sie nach, wie sich Mette zunehmend im Internet radikalisiert. Daniela Kranz hat "Tick Tack" nun am Residenztheater für die Bühne adaptiert. Es ist eine Arbeit mit dem Jugendklub "Xtra". Kranz hat mit dem Theaternachwuchs, der immer neu gecastet wird, bereits die beiden Produktionen "Mehr Schwarz als Lila" und "Ist mein Mikro an?" herausgebracht. Alle drei sind Abende zu relevanten Themen: zum Umgang mit der NS-Vergangenheit, zum Klimawandel und nun zu den Gefahren für eine von Likes getriebene Jugend. Relevanz und Aktualität sind grundlegende Stärken der Projekte.

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Die andere ist, dass Kranz den Jugendlichen ordentlich etwas zutraut. Wie die Produktionen zuvor ist auch "Tick Tack" in eine Theatersprache übersetzt, die keine Abstriche macht, nur weil Laien auf der Bühne stehen. Erneut gelingt der Regisseurin ein Abend, der dem Anspruch "Resi für alle" - dem Programmteil, zu dem der Klub "Xtra" gehört - gerecht wird. Er ist jung und clever umgesetzt.

Dazu hat Lisa Käppler eine variable Bühne für den Marstall erdacht, Stellwände werden hier von Szene zu Szene neu verteilt. Eine U-Bahn-Haltestelle ist angedeutet, auf einer Anschlagtafel laufen ein paar digitale Hinweise, manchmal gibt es eine Matratze, ein paar Sitzgelegenheiten, als Requisiten abstrahierte Mobiltelefone, die sehr oft in den roten oder lilafarbenen Einheits-Jogginghosen des Ensembles verschwinden. Festhalten können sich die jungen Darstellenden an wenig. Doch das haben sie auch nicht nötig.

Die Hauptrollen sind auf das Ensemble verteilt

Kranz hat die beiden Hauptrollen auf mehrere Personen verteilt. Gleich zu Beginn stellen sich sechs Darstellerinnen als Mette vor, später kommen vier männliche Ausgaben von Jo hinzu. Sie sprechen im Wechsel oder chorisch, ohne dass die Rollenzuordnung jemals problematisch wird. Zuerst legt Lina Fritzen als Mette los. Sie hat das gut drauf, eine jener überheblichen Teenies zu spielen, deren Eitelkeit wohl irgendwann mit Anabolika versorgt wurde. Mit mehr Sozialkompetenz stattet Mara Babic ihre Yağmur aus, die der Sve von Angelina Schneider verfällt - kein Wunder bei der Soulstimme.

Hannah Remmel zeigt die erschütterbare Seite von Mette, die den immer herrischeren Vorgaben von Jo nachkommt - Remy Berthomme und Julius Burgtorf ziehen die Bedrohungsnummer hervorragend durch, unterstützt von dem in Komik begabten Ahmed El Imam. Schließlich schrauben auch Aleyna Atasever, Peter Gratz und To Uyen Rose Hoang daran mit, dass "Tick Tack" keine Ermahnungsnummer, sondern eine ernste und ästhetische Auseinandersetzung mit den sozialen Medien wird.

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