Ausstellung:Die Nachmacher

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Der Reiz fein schraffierter Rottöne: Das von Gilles Demarteau 1770 gedruckte "Russische Konzert". (Foto: Andreas Thull/Graphische Sammlung am Fach Kunstgeschichte der Universität Trier)

Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte zeigt in "Unschuldige Betrügereien" Reproduktionen von Gemälden und offenbart eine ganz eigene Kunstform, bei der der Reiz im Detail steckt.

Von Reinhard Brembeck

Am Anfang steht die Gier. Die Gier, ein Kunstwerk ganz allein für sich zu besitzen. Da das aber nicht so einfach möglich ist, Finanzielles wie die begrenzte Anzahl der begehrten Artefakte sind ein Hindernis, müssen sich die meisten Menschen mit Reproduktionen des Begehrten zufriedengeben, die möglichst die gleiche Größe und das gleiche Aussehen und die gleiche Papierbeschaffenheit haben sollten wie das Original. Aber solche Remakes sind und waren nie einfach herzustellen, Faksimiles sind meist nach wie vor teuer, und moderne Drucke in Büchern haben oft weder farblich noch von der Größe her viel mit den Originalen zu tun.

Wer derzeit das MFA besucht, das Museum für Abgüsse klassischer Bildwerke im Haus der Kulturinstitute, dem einstigen NSDAP-Verwaltungsbau, stößt gleich am Eingang auf etliche Gipsabformungen bekannter Skulpturen. Prominent steht hinten im Lichthof die Kopie der sich auf seiner Keule ausruhenden Herkules Farnese. Das riesige Stück überwältigt, macht Staunen. Es ist fast, als würde man in Neapel vor dem gleich großen Original stehen. Vor dieser Skulptur schrumpft die Frage, ob Original, ob Kopie, ob Fälschung auf eine unbedeutende Spiegelfechterei zusammen.

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Im ersten Stock des Lichthofs wird diese Frage vertieft in der Ausstellung "Unschuldige Betrügereien". Der Titel ist angelehnt an eine 1743 publizierten Druck von Reproduktionen, den "Impostures innocentes". Solche täuschend echten Reproduktionen von Gemälden und vor allem von Handzeichnungen wollten die Kunstmaniacs der Welt schon immer haben. Rafael stand und steht ganz oben auf der Wunschliste, gefolgt von Guercino, Sebastiano del Piombo, Watteau, Claude Lorrain und Boucher, der den Repro-Markt bereits ganz aktiv bediente. Handzeichnungen wurden, so die Ausstellungsmacherin Ulrike Keuper in ihrem begeisternden Essaykatalog, besonders und oft mehr als Gemälde geschätzt, weil sich darin "die mit einem Künstlerindividuum verbundene, sich spontan und unbewusst auf dem Blatt manifestierende Handschrift" zeigt, also etwas, "was eigentlich unwiederholbar ist."

Das spontan Hingeworfene und deshalb Unwiederholbare mit kalter Berechnung technisch zu wiederholen, das ist ein Widerspruch, der die Reprodukteure reizte. Anfangs war es unmöglich, die Feinheiten einer Handzeichnung, die Schraffuren, Schattierungen, Verwischungen, Intensitäten und Lavierungen zu reproduzieren, erst recht wenn mit Rötel, Pastellfarben, Kreide oder Zeichenkohle gearbeitet wurde.

Tastend zur vorgetäuschten Echtheit: Kupferstich, Tonholzschnitt, Radierung, Crayonmanier, Vielfarbendruck, Mezzotinto

Ein modernes Druckgerät, das zwischen den Ausstellungsvitrinen steht und vom hier untergebrachten Zentralinstitut für Kunstgeschichte fleißig genutzt wird, erinnert daran, wie einfach es seit den 1930er-Jahren und der Erfindung der Xerokopie ist, täuschend echten Kopien zu erstellen. Doch schon das späte 18. Jahrhundert brachte es da zur Meisterschaft. Die Ausstellung dokumentiert diesen großen Triumph der Technik- und Kunstgeschichte in etlichen Sammeldrucken wie dem legendären "Receuil Crozat", den genannten "Impostures", dem "Liber veritatis", den "Fragments chosis" und anderen teuren Prachtfolianten.

Vor allem die französischen Drucker tasteten sich in immer neuen und oft auch miteinander kombinierten Reproduktionstechniken an die vorgetäuschte Echtheit heran: Kupferstich, Tonholzschnitt, Radierung, Crayonmanier, Vielfarbendruck, Mezzotinto. Die Vollendung der behaupteten Originaltreue war dann erreicht in den 1760er-Jahren mit dem Aquatinta-Verfahren. Ein kurzes Ausstellungsvideo auf einem iPad zeigt, wie dabei auf eine Kupferplatte Kolophonium aufgestäubt, wie es eingebrannt, wie dann in es gezeichnet wird. Erst die Ende des 18. Jahrhunderts erfundene Lithografie ließ noch einfacher Kopien zu, es folgten Foto- und Xerografie.

Die Ausstellung zeigt nur Reproduktionen des 19. Jahrhundert, Originalvorlagen wären in diesem Rahmen nicht bezahlbar gewesen. Doch das ist kein Makel. Denn schnell begeistert sich die Besucherin für die sich raffiniert als Originale ausgebenden Remakes von Bibelszene, Portrait, Mythologie, Galatea, Rückenakt, Engel, Pferd, Daphne. Und ganz besonders für Gilles Demarteaus 1770 gedrucktes "Russisches Konzert", dessen fein schraffierte Rottöne die ausgefallenen Instrumente der drei Musiker, sie haben gerade erst gegessen und nicht getrunken, tatsächlich zum Klingen zu bringen scheinen. Das ganze ist ein Wunder. So lässt man sich gern betrügen.

Die Ausstellung "Unschuldige Betrügereien. Reproduktionsgrafik nach Handzeichnungen" ist bis zum 31.März im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Katharina-von-Bora-Straße 10, zu sehen. Der Eintritt ist frei, der gleichnamige Begleitessay kostet 10 Euro.

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