Reinhard Mey in der Olympiahalle:Niemand schwätzt, niemand hustet

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Im Kontakt mit dem Publikum: Reinhard Mey, hier bei einer Veranstaltung 2019 in Berlin. (Foto: imago images/Photopress Müller)

Reinhard Mey wird bald 80. In der Münchner Olympiahalle lässt er sich das aber nie anmerken. Und die Zuschauer hängen an jedem Wort, jeder Pointe, jedem Ton des deutschen Liedermacherkönigs.

Von Michael Zirnstein

Er kommt als Sensenmann, als jüngstes Gericht, als der "grimme Schnitter", als "One-Way-Ticket nach Zürich", wo Sterbehilfe möglich ist. Der Tod beschäftigt Reinhard Mey andauernd in den Konzerten seiner 18-Städte-Tournee (er zählt sie alle der Reihe nach auf - sein "Gehirnjogging"). Die hat ihn nach fünf Jahren Pause mit 8728 Fans (wie er stolz verkündet) in der bestuhlten Münchner Olympiahalle zusammengebracht.

Er wird im Dezember 80. Die Buchverlage hätten erkannt, dass er sich "auf der Zielgeraden" befindet und drängten ihn, eine Biografie zu schreiben - "es eilt!" Der ewig fitte Liedermacherkönig der Deutschen denkt gar nicht dran. Er schreibe seine Memoiren, seit er einen Griffel halten könne, 500 Kapitel habe er schon, manchmal sogar schreibe er sein ganzes Leben in ein einziges dieser "Hörbücher".

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Dann spielt er das Titelstück des aktuellen Albums und der Tour: "Das Haus an der Ampel". Er ist das Haus seiner Kindheit in Berlin, und alles und alle werden darin lebendig: die Eltern, die steinalte Katze, der Igel, den sein Sohn Max aufgepäppelt hat. Max starb 2014 an einer Lungenentzündung. Wie der Vater in "Dann mach's gut" seine letzte Begegnung am Bahnhof mit seinem geliebten "Haderlumpen" besingt, ist noch so Meisterwerk klingender Erzählkunst: Man fühlt mit ihm den Schmerz, die Liebe, das Versöhnen mit dem Leben.

Er, Erstunterzeichner eines Briefs an Kanzler Scholz, keine Waffen an die Ukraine zu liefern, singt nicht sein Friedenslied: "Meine Söhne geb' ich nicht". Auf der Bühne ist Mey kein Aktivist, er spielt die Grundlagen des Menschseins vor: trösten, lieben, freuen. Er lehrt das Zuhören. Die Zuschauer hängen an jedem präzise gesetzten Wort, jeder Pointe, jedem Ton des Alleinunterhalters mit der Gitarre vor einem hallenhohen schwarzen Vorhang - hier leuchten keine LED-Wände, hier blitzt allein sein Ohrring. Keine Handys (bis auf die Zugaben mit "Über den Wolken", "Viertel vor Sieben" und "Gute Nacht Freunde"), niemand schwätzt, niemand hustet - erst als Mey sich nach fast zwei Stunden in "Was will ich mehr" selbst erstmals räuspert und sagt: "Jetzt könnten alle eigentlich mal ..."

Wer kann das noch im Land der Pöbel-Rapper (Mey kann auch doppelreimen: "Kuscheln mit Gartengeräten, Träumen vom Hacken und Jäten / Und dass den Rasen die Frau harkt / Männer im Baumarkt"). Niemand. Muss man sich Sorgen machen um das nahende Ende einer Ära? Nicht, solange Mey seinen ersten Hit "Orpheus" spielt und selbstverliebt wie -ironisch sagt: "Seit 60 Jahren singe ich das, ich kann unglaublich hartnäckig sein. Unter diesen Bedingungen erkläre ich mich bereit für weitere 60 Jahre."

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