Isar:Obdachlose protestieren gegen Räumung an der Reichenbachbrücke

Isar: Weil die Stadt gesundheitliche Schäden im Winter fürchtet, wird das Lager unter der Reichenbachbrücke geräumt.

Weil die Stadt gesundheitliche Schäden im Winter fürchtet, wird das Lager unter der Reichenbachbrücke geräumt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Erst die Kälte, dann hat es gebrannt und nun soll ihr Lager geräumt werden. Die Obdachlosen wollen sich dagegen wehren - denn das Angebot der Stadt sei keine Alternative.

Von Thomas Anlauf

Die Gesichter der Männer und Frauen sind kaum zu erkennen, so dunkel ist es an diesem Abend unter der Reichenbachbrücke. Pfützen spiegeln fahl die Lichter der Stadt, am Brückenpfeiler lehnen Matratzen und Decken. Draußen geht gerade der Regen in Schnee über, doch Nikolai Batalfki sagt: "Mir ist hier nicht kalt." Sie haben es sich hier so gut es eben geht eingerichtet, Männer und auch zwei Frauen aus dem bulgarischen Pasardschik. Die meisten leben schon seit vielen Jahren in München unter den Brücken, tagsüber versuchen sie, Geld zu verdienen. Vor wenigen Tagen hat es gebrannt unter der Reichenbachbrücke, das Wenige, das sie hatten, haben sie jetzt auch noch verloren. Und nun sollen sie auch ihren Unterschlupf verlassen, an diesem Donnerstag lässt die Stadt das Lager räumen.

Es wird gefährlich kalt in den Nächten, Hunderten Obdachlosen drohen Krankheiten, Erfrierungen oder sogar der Tod. Deshalb hat München seit 2012 das Kälteschutzprogramm eingeführt, das in der ehemaligen Bayernkaserne für bis zu 850 Menschen kostenlos Übernachtungsplätze zur Verfügung stellt. Am Dienstag beschloss die Vollversammlung des Stadtrats mit breiter Mehrheit, das Schutzprogramm ganzjährig anzubieten. Von 1. Mai 2019 an sollen zunächst 350 Betten für Obdachlose zur Verfügung stehen, bei Bedarf können es auch mehr werden.

Zudem sollen die Gäste des Kälteschutzprogramms nun im Sommer auch Spinde erhalten, wo sie ihre Habseligkeiten einsperren können. Doch ein Wohnungsersatz soll der Kälteschutz explizit nicht sein. Möglichkeiten zum Kochen oder einen Aufenthaltsraum wird es nicht geben, schließlich müssen die Obdachlosen das Haus spätestens um neun Uhr vormittags verlassen, geöffnet ist der Kälteschutz erst ab 17 Uhr.

Doch die Männer und Frauen von der Reichenbachbrücke wünschen sich genau das: Sie fordern, sich ganztägig in den Räumlichkeiten aufhalten zu können, Kochmöglichkeiten und eine gewisse Privatsphäre zu haben, ihr bisschen Hab und Gut wie Ausweis und Kleidung sicher verwahren zu können und auch nicht Angst haben zu müssen, morgens von der Polizei kontrolliert zu werden. "Immer wieder werden dabei Personen verhaftet, zum Beispiel wenn wegen mehrmaliger Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültiges Ticket ein Haftbefehl vorliegt", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Obdachlosen. "Wir wohnen derzeit lieber unter der Reichenbachbrücke, als dass wir in der Kälteschutzeinrichtung in der Bayernkaserne übernachten müssen."

Es sind Männer und Frauen, die versuchen, hier ein menschenwürdiges Leben aufzubauen. Sie betteln nicht, sondern suchen nach Arbeit oder sammeln Pfandflaschen. "Wir arbeiten täglich acht Stunden", sagt eine Frau, die seit drei Jahren mit ihrem Mann unter der Brücke schläft. Sogar einen Arbeitsvertrag bei einer Putzfirma haben die beiden. Doch trotz Vollbeschäftigung bekämen sie lediglich 700 Euro im Monat. Auch der 38-jährige Nikolai Batalfki arbeitet nach seinen Angaben regelmäßig, "als Staplerfahrer, ich putze, ich mache alles", sagt der Mann. Er habe sogar schon mal eine Wohnung in München gehabt, 800 Euro habe die gekostet. Lange konnte er sich das nicht leisten, seither lebt er wieder mit seinen Landsleuten unter der Brücke.

Die Geschichten der Männer gleichen sich. Da ist Ismed Yasar, 48 Jahre alt, er lebt seit sieben Jahren unter der Reichenbachbrücke. Angel Banajanov ist 60, seit vier Jahren hier, Herkules Asenov ist 54, lebt ebenfalls im Freien. Einer der Männer hat eine Frau, die schwer herzkrank ist und seit vier Monaten in einem Münchner Krankenhaus liegt. Er zeigt ein Foto auf dem Handy, die Frau liegt mit Schläuchen in Nase und Arm in einem Krankenbett. "Wo soll sie, wo sollen wir hin?", fragt er.

Die Räumung des Lagers ist beschlossene Sache. "Wildes Campieren ist offiziell nicht geduldet", sagt Edith Petry vom Sozialreferat. "Wir wollen nicht, dass sich die Zustände unter den Brücken verfestigen. Wir wollen die Leute aber auch schützen", sagt die Sprecherin. Es gebe in München viele Möglichkeiten der Betreuung und der Beratung, in der Teestube Komm in der Zenettistraße und in der Schiller 25 können sich die Obdachlosen eine Meldeadresse für den Arbeitgeber geben lassen, es gibt dort auch kostenlose Duschen genauso wie in St. Bonifaz. Von kommenden Sommer an soll es in der Notschlafstätte der Bayernkaserne eine Sozialbetreuung geben, um zu sehen, wie den Menschen geholfen werden kann.

Doch das Problem ist, dass EU-Bürger zwar Freizügigkeit genießen, aber in Deutschland in der Regel erst nach fünf Jahren ins Sozialsystem kommen können. Dagegen hatte im vergangenen Jahr ein Obdachloser vor Gericht geklagt und Recht bekommen. Die Stadt musste ihm eine Notunterkunft in einer Pension anbieten. Kurze Zeit später starb Hristo Vankov. Die Menschen von der Reichenbachbrücke kannten Vankov gut. Sie wollen auch, dass die Stadt ihnen Zimmer gibt. Am Donnerstag wollen sie gegen die Räumung ihres Lagers protestieren. "Und wir werden später wiederkommen", sagt einer der Männer unter der Brücke.

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