Über Monate ging in der Debatte kaum etwas voran, nun steht fest: In München wird es auch in Zukunft keine Stolpersteine geben. Stattdessen hat sich die Rathauskoalition am Montagnachmittag auf einen Kompromiss geeinigt, der ein Gedenken auch ohne die Steine möglich machen soll. Für die Todesopfer der Nationalsozialisten sollen an Hauswänden Erinnerungstafeln angebracht werden - allerdings nur dann, wenn deren Angehörige dies ausdrücklich beantragen. Falls der Hauseigentümer das ablehnt, werden die Tafeln an Stelen befestigt und auf öffentlichem Grund vor dem Haus errichtet. Darüber hinaus plant die Koalition ein Mahnmal im Umfeld der sogenannten Ehrentempel nahe dem neuen NS-Dokumentationszentrum, auf dem die Namen aller Münchner NS-Opfer zu lesen sein werden.
Debatte um Stolpersteine in München:"Nichts aufwühlen, nicht stören"
Peter Jordan entkam den Nazis, seine Eltern wurden ermordet. Nun ist er bei der Anhörung zu den umstrittenen Stolpersteinen im Münchner Rathaus unter den Zuhörern. Er ist tief enttäuscht, denn die Gedenkplaketten für seine Familie ließ die Stadt vor zehn Jahren entfernen.
Von einem "Münchner Weg" spricht der Zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU), der mit den Stolpersteinen "größte Schwierigkeiten gehabt hätte". Diese Bedenken teilte er mit den meisten seiner Fraktionskollegen. Während sich die CSU-Stadträte überwiegend gegen die Steine gesträubt hatten, stand die SPD dieser Form des Gedenkens aufgeschlossener gegenüber. Absolute Einigkeit gab es aber in keiner der beiden Fraktionen. "Wenn man eine deutliche Mehrheit im Stadtrat haben will, dann kann die Lösung nur sein: Keine Stolpersteine, aber eine andere Form der Erinnerung", sagte CSU-Fraktionschef Hans Podiuk und sprach von einer "salomonischen Lösung". Auch in der SPD gab man sich zufrieden mit dem Kompromiss. "Wir sind sicher, dass wir damit eine würdige und angemessene Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel in Münchens Geschichte gefunden haben", sagte Fraktionschef Alexander Reissl.
Tiefe Gräben im Stadtrat
Wie tief die Gräben auch außerhalb des Stadtrats waren, war spätestens im Dezember deutlich geworden, als sich sowohl die Befürworter als auch die Gegner der Stolpersteine bei einem Hearing im Rathaus äußerten. "Den Opfern wird ihr Name wiedergegeben", hatte Stolperstein-Befürworter Terry Swartzberg gesagt. Charlotte Knobloch hingegen, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, hatte die Steine kategorisch abgelehnt - mit dem Argument, dass auf dem Boden kein würdiges Gedenken stattfinden könne, wenn die Steine "bewusst oder leichtfertig mit Füßen getreten" würden.
Mit der Entscheidung für Tafeln statt Steinen einerseits und für ein zentrales, personifiziertes Mahnmal andererseits, glauben SPD und CSU nun die Lösung gefunden zu haben, um allen Seiten gerecht zu werden. "Der Vorschlag respektiert die berechtigten Bedenken gegen ein Erinnern am Boden, gleichzeitig erfüllt er den nachvollziehbaren Wunsch eines individuellen, wohnortbezogenen Gedenkens auf Augenhöhe", sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).
Probleme mit dem Künstler
Ein Grund für das Nein der Koalition zu den Stolpersteinen dürfte auch die Hartnäckigkeit des Kölner Künstlers Gunter Demnig gewesen sein, der die Stolpersteine fertigt und in ganz Deutschland verlegt. Dass Demnig anderswo Nazi-Begriffe wie "Gewohnheitsverbrecher" oder "Volksschädling" auf die Steine hatte gravieren lassen, "hätten wir nie akzeptieren können", sagt Bürgermeister Schmid. Zwar hatte Demnig zuletzt angeboten, die Begriffe durch Zusätze wie "sogenannter" abzuschwächen, doch zu weiteren Kompromissen war er offenbar nicht bereit. Dass es unter diesen Umständen zwischen den Fraktionen keine Einigung geben werde, sagt Podiuk, sei bereits vor ein paar Wochen deutlich geworden, als bei einer Probeabstimmung im Ältestenrat 20 von 24 Stadträten gegen die Stolperstein-Idee gestimmt hatten. Tafeln statt Steinen sei nun der einzige Weg gewesen, um "die Dinge selbst in der Hand zu haben", sagt Schmid.
Kritik äußern dagegen die Grünen. Ihr Fraktionschef Florian Roth spricht von einem "Vertrauensbruch", da der Kompromiss nicht wie vereinbart im Ältestenrat ausgehandelt wurde, wo alle Fraktionen vertreten sind, sondern innerhalb der Koalition. Die Lösung sei nichts weiter als "ein Versuch, mit Gesichtswahrung aus dem Thema rauszukommen".